
Linken-Chefin Kipping spricht in versöhnlichem Ton über ihre innerparteiliche Rivalin, Fraktionschefin Wagenknecht. Doch sie macht klar: Wagenknecht und auch Lafontaine sprechen mit ihren flüchtlingspolitischen Positionen nicht für die Partei.
Für Katja Kipping geht es auf diesem Parteitag um viel. Sie und ihr Co-Vorsitzender Bernd Riexinger wollen sich heute in Leipzig als Linken-Chefs bestätigen lassen. Gegenkandidaten gibt es nicht, aber ein schlechtes Wahlergebnis würde sie im innerparteilichen Dauerclinch mit der Fraktion - vor allem mit Fraktionschefin Sahra Wagenknecht - erheblich schwächen.
Die Linkspartei fordert offene Grenzen zur Aufnahme von Flüchtlingen. Die rund 580 Parteitagsdelegierten verabschiedeten in Leipzig mit großer Mehrheit einen von den Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger vorgelegten Leitantrag, in dem "legale Fluchtwege", "offene Grenzen" und die Aufnahme von Geflüchteten verlangt werden. Kipping wertete den Beschluss als Entscheidung im Streit mit der Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht. Dabei geht es um Aussagen Wagenknechts, Deutschland solle Armutsflüchtlinge im Gegensatz zu Flüchtlingen vor Gewalt und Krieg nicht unbegrenzt aufnehmen.
Entsprechend kämpferisch ist die Rede, mit der Kipping sich für die Wiederwahl bewirbt. Unüberhörbar ist der optimistische Grundtun, den sie als Signal zu verkünden versucht. "Zukunft, wir kommen!", ruft sie am Ende ihrer Rede und winkt in den Saal, als sei die Zukunft schon da und müsse begrüßt werden.
Dass es für Optimismus für die Linken derzeit kaum Anlass gibt, verschweigt Kipping nicht. "Wir leben in Zeiten des Rechtsrucks" ist einer ihrer ersten Sätze. "Das Autoritäre" habe Aufwind, der Sozialstaat werde geschwächt, die Bundesregierung sei "das letzte Aufgebot des Neoliberalismus". Noch sei nicht entschieden, was darauf folgen werde. "Aktuell sieht es eher danach aus, als ob die autoritäre Rechte den Kurs vorgibt."
Kipping setzt auf ein "Trotzdem". Die Linke nennt sie "eine Stimme des Widerstands", die "an der Seite der Entrechteten" stehe. Und sie fügt hinzu: "Aller Entrechteten, wohlgemerkt".
"Muss ich mich entscheiden?"
Das ist einer der Kerne des Konflikts zwischen Kipping und Sahra Wagenknecht. Die Fraktionschefin hält linke Politik, die erklärtermaßen "allen" helfen will, für "einen Fall von Doppelmoral" wie sie zusammen mit dem Dramaturgen Bernd Stegemann in der aktuellen "Zeit" schreibt. Doppelmoral, weil jene Menschen in Deutschland, die unter den Folgen des Zuzugs von Flüchtlingen besonders litten, ohnehin benachteiligt seien. Über "die Vertreter der Moral" schreiben Wagenknecht und Stegemann: "Ihre Weltsicht fühlt sich gut an, und sie sind darüber mit sich selbst im Reinen." Diese Moral blende "offensichtliche Zusammenhänge" aus, "wenn sie ihr eigenes gutes Gefühl in einer Willkommenskultur pflegt, um dann die realen Verteilungskämpfe in ein Milieu zu verbannen, das sich weit weg vom eigenen Leben befindet". Also Doppelmoral.
Kipping nähert sich dem Thema in ihrer Rede analytisch. Sie unterscheidet Modernisierungsoptimisten und Modernisierungsskeptiker - jene, "die sich überall zuhause fühlen" und jene, "die Weltoffenheit als Bedrohung empfinden". Die Chance der Partei liege darin, "dass wir beide Tiefenströmungen in uns abbilden". Dadurch sei die Linke gezwungen, "die verschiedenen Gruppen der Arbeiterinnenklasse in gemeinsamen Kämpfen zusammenzubringen, statt ihre Vorurteile gegeneinander zu bestärken".
Ausdrücklich spricht sie ihren Konflikt mit Wagenknecht an. Dass es ihn gibt und dass es dabei auch um persönliche Animositäten geht, bestreitet sie nicht. Eine Genossin habe sie gefragt, ob sie sich jetzt für und gegen eine Seite entscheiden müsse. Kippings Antwort: Jeder müsse die Möglichkeit haben, sich in der Sachfrage zu positionieren. "Aber niemand muss sich hier für oder gegen eine Seite entscheiden, denn wir sind alle Teil der Linken." Als Friedenssignal an Wagenknecht fügt sie hinzu: "Ich möchte eines unmissverständlich klarstellen: In unserer Partei gibt es weder Rassisten noch Neoliberale." Wagenknecht hatte beklagt, wer so argumentiere wie sie, werde als "Büttel der AfD" bezeichnet.
Doch Kipping stellt auch klar: Inhaltlich gibt es keinerlei Kompromiss. In Leipzig werde die Flüchtlingspolitik der Linken entschieden. "Ich rufe alle auf, diese Klärung dann zu akzeptieren." Das bedeute nicht, dass jemand schweige, der eine andere Meinung habe.
Dann hat sie noch eine Botschaft für den Ehemann von Sahra Wagenknecht: "Aber ich möchte an dieser Stelle Oskar Lafontaine doch mal persönlich ansprechen: Nach dieser Klärung muss doch einmal Schluss damit sein, dass die demokratische Beschlusslage unserer Partei in der Flüchtlingspolitik ständig öffentlich in Zweifel gezogen wird." Dafür gibt es starken Beifall. Wenn Applaus ein Gradmesser ist, dann haben Wagenknecht und Lafontaine auf diesem Parteitag für ihre Position keine Mehrheit.
Quelle: ntv.de