Gut Zähne putzen soll ausreichen Krankenkassenchef will Zahnbehandlungen nicht mehr bezahlen
01.06.2023, 20:27 Uhr Artikel anhören
Theoretisch könnten Krankenkassen Milliarden sparen, wenn sie Zahnfüllungen, Vorsorgeuntersuchungen und Co. nicht mehr zahlen müssten.
(Foto: imago/photothek)
Um das Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung zu bekämpfen, stellt der Chef der IKK-Kasse drei Forderungen auf. Er will unter anderem Zahnbehandlungen nicht mehr bezahlen. Minister Lauterbach erteilt solchen Überlegungen sofort eine deutliche Absage.
In der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein milliardenschweres Defizit vorhanden. Allein für 2023 wird ein Minus von 17 Milliarden Euro erwartet. Trotz aller bereits getroffenen Maßnahmen ist den Verantwortlichen um Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach klar: Es muss auch in Zukunft weiter etwas getan werden. Nur was? Um das Minus zu bekämpfen, gibt es mehrere Möglichkeiten, von denen manche extrem unpopulär sind. Dazu gehören vor allem Leistungskürzungen, denn sie treffen die Versicherten. Eben solche Leistungskürzen bringt jedoch Ralf Hermes, Chef der gesetzlichen IKK-Innovationskasse, im Gespräch mit dem "Handelsblatt" ins Spiel. Besonders seine Forderung, die zahnärztliche Versorgung aus dem Leistungskatalog zu streichen, sorgt für Aufsehen. Von Lauterbach folgt prompt eine Absage.
Laut Hermes hat die gesetzliche Krankenversicherung 2022 knapp 13 Milliarden Euro für zahnärztliche Behandlungen ausgegeben. Darunter fallen zum Beispiel Zahnfüllungen, Wurzelkanalbehandlungen und Vorsorgeuntersuchungen, die zuzahlungsfrei sind. Gegenüber dem "Handelsblatt" sagt Hermes, der Bereich sei "stark durch Prävention beeinflussbar". Und weiter: "Wer sich im Wesentlichen zweimal am Tag ordentlich die Zähne putzt, bekommt fast keine Probleme."
Ausnahmen könnten unverschuldete Unfälle und schwere Erkrankungen sein, die weiterhin von der Kasse übernommen werden sollten. Als zweiten Punkt hat Hermes Zahnersatz auf dem Kieker. Hier habe die gesetzliche Krankenversicherung im letzten Jahr knapp vier Milliarden Euro ausgegeben.
Homöopathische Mittel sollen ebenfalls wegfallen
Daneben nennt der IKK-Chef zudem noch einen dritten Ansatz für mögliche Leistungskürzungen: homöopathische Mittel. Also zum Beispiel Produkte wie Globuli. Bei diesen gibt es keinen wissenschaftlich nachgewiesenen medizinischen Effekt. Auch Karl Lauterbach hat sich in der Vergangenheit kritisch darüber geäußert, dass homöopathische Mittel in Deutschland von Kassen bezahlt werden. Sie gehören zu den Satzungsleistungen, die Krankenkassen zusätzlich zu den gesetzlich festgeschriebenen Leistungen gewähren können. Allerdings sind die Ausgaben dafür äußerst gering. Auf das Milliarden-Defizit in der gesetzlichen Krankenversicherung würde eine Kürzung also so gut wie keinen Effekt haben. Die Homöopathie-Streichung gilt indes unter den Forderungen von Kassenchef Hermes noch als die realistischste.
Denn Karl Lauterbach hat auf Twitter auf die Aussagen des IKK-Chefs reagiert: "Leistungskürzungen werden nicht kommen. Rezession, Inflation und jahrelanger Reformstau. Die Patienten werden wir nicht auch noch zur Kasse bitten. Für einen 'Kassenchef' keine nette Position." In einem weiteren Beitrag schreibt er zudem: "Zahnbehandlungen bleiben eine Kassenleistung. Wir können Geld sparen, wenn wir überflüssige Operationen vermeiden oder mehr notwendige Eingriffe ambulant erbringen. Gesundheitsminister müssen Lobbygruppen konfrontieren, nicht die Patienten und Bürger."
Für nächstes Jahr erwarten die gesetzlichen Krankenversicherungen nach abgesicherten Finanzen 2023 wieder ein Defizit. Es sei damit zu rechnen, dass es voraussichtlich eine Lücke zwischen 3,5 Milliarden und 7 Milliarden Euro geben werde, sagte die Chefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer. Ohne Maßnahmen zum Gegensteuern würde daraus rechnerisch ein Anstieg beim durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 0,2 bis 0,4 Prozentpunkten resultieren. Für dieses Jahr hatte der Bundestag wegen eines sonst erwarteten Defizits von 17 Milliarden Euro eine extra Finanzspritze für die Kassen beschlossen.
Quelle: ntv.de, rog/dpa