Sechs Monate nach dem 7. Oktober Wie der Krieg gegen die Hamas den Gazastreifen verwüstet
06.04.2024, 12:22 Uhr Artikel anhören
Der Krieg im Gazastreifen wütet bereits seit einem halben Jahr: Das dicht besiedelte Küstengebiet gleicht nach sechs Monaten Dauerbeschuss einer riesigen Trümmerwüste. Selbst aus dem All sind die Spuren der militärischen Offensive erkennbar, wie aktuelle Satellitenfotos zeigen.
Auslöser des Krieges war ein brutaler Überfall: In den frühen Morgenstunden des 7. Oktober 2023 - vor einem halben Jahr - durchbrachen Kommandotrupps der radikalislamischen Hamas-Organisation in einer konzertierten Aktion an Dutzenden Stellen gleichzeitig die israelischen Grenzanlagen.
Raketensalven nahmen israelische Städte unter Feuer, gleichzeitig drangen mit Sturmgewehren bewaffnete Hamas-Kämpfer auf Motorrädern tief ins israelische Hinterland vor, um "so viele Menschen zu töten oder als Geisel zu nehmen wie möglich", wie es in einem aufgefundenen Notizbuch eines Hamas-Terroristen heißt. Schnell war klar: Israel wird auf diesen Angriff reagieren. Im Nahen Osten herrscht seitdem Krieg.
Wie hat sich die Lage im Gazastreifen seitdem verändert? Bilder europäischer Erdbeobachtungssatelliten deuten auf großflächige Verwüstungen hin. Im Vorher-Nachher-Vergleich wird das ungefähre Ausmaß der Kriegsschäden am Boden erkennbar. Das linke Satellitenfoto - aufgenommen im Infrarotspektrum - zeigt die Situation im Gazastreifen am 27. September, also zehn Tage vor Kriegsbeginn.
Das rechte Bild dagegen stammt vom 2. April. Intakte Vegetation erscheint in den Falschfarben-Fotos in Rot, bebautes Gelände in Dunkelgrau. Trümmer und frisch planierte Flächen heben sich in helleren Farbtönen deutlich ab. An mehreren Stellen ziehen sich breite Nachschubwege des israelischen Militärs durch den dicht bebauten Küstenstreifen. Wie breite Schneisen unterteilen sie das Kampfgebiet in mehrere Zonen.
Die ersten Eindrücke aus dem All decken sich mit den Ergebnissen der satellitengestützten Schadensanalyse. Seit den ersten Kriegswochen werten US-Forscher um Corey Scher und Jamon Van Den Hoek Sentinel-1-Aufnahmen aus dem europäischen Copernicus-Programm aus, um die voranschreitenden Zerstörungen nachzuzeichnen.
Die Bilanz ist erschütternd: Nach knapp sechs Monaten Dauerbeschuss liegen weite Teile des Gazastreifens in Trümmern. In der Karte sind all jene Stadtgebiete rot hervorgehoben, in denen die Satellitenaugen ein beschädigtes oder gar zerstörtes Gebäude ausgemacht haben. Deutlich wird: Die Kampfhandlungen haben längst auch den Süden des Gazastreifens voll erfasst.

Blick aus dem All: Der Gazastreifen am Tag des Großangriffs gegen Mittag des 7. Oktober 2023 (Verlauf des Grenzzauns hervorgehoben).
(Foto: © ESA / Sentinel Hub)
Das menschliche Leid ist aus der Distanz nur zu erahnen. Der durch die Hamas ausgelöste Krieg trifft die palästinensische Bevölkerung in voller Härte. Seit sechs Monaten leben die rund 2,3 Millionen Einwohner in der gut 40 Kilometer langen und nur rund sechs Kilometer breiten Küstenregion in aussichtsloser Lage unter Dauerbeschuss.
Straße für Straße, Haus für Haus
Ein rasches Ende des Krieges ist bisher nicht abzusehen. Die erste Phase der israelischen Bodenoffensive konzentrierte sich vor allem auf den Norden. Die Einwohner von Gaza-Stadt wurden kurz nach Kriegsbeginn aufgefordert, über den Flusslauf des Wadi Gaza in den Süden zu fliehen. Auf der Suche nach Hamas-Anhängern durchkämmten israelische Soldaten anschließend Haus für Haus.
In Phase zwei der Militäroperation trennte anschließend ein israelischer Vorstoß von Osten Richtung Küste den Gazastreifen in zwei Teile. Die Belagerung des Schifa-Krankenhauses, unter dem die Israelis einen wichtigen Hamas-Stützpunkt vermuten, begann. Phase drei der Offensive brachte den israelischen Angriff auf Chan Junis. Zuletzt rückten israelische Truppen auf die Stadt Rafah vor.

Satellitenfoto in hoher Auflösung: Rund um das Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt liegen ganze Wohnblocks in Trümmern.
(Foto: picture alliance/dpa/Maxar Technologies/AP)
Hier, nahe des von Ägypten versperrten Grenzübergangs im äußersten Süden, harrt mittlerweile knapp die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung in improvisierten Zeltstädten aus. Die Versorgungslage ist katastrophal. Hilfslieferungen erreichen die Menschen im Gazastreifen nur sporadisch. Es mangelt vor allem an Nahrung und Medikamenten.
Das israelische Militär kämpft sich bislang weiter systematisch und planmäßig durch die eng bebauten Stadtgebiete im Gazastreifen vor. Das Ziel der Bodenoffensive: die vollständige Vernichtung der Hamas.
Quelle: ntv.de