Immer neue Vorwürfe Schwesig und die "verlorene" Steuererklärung
27.04.2022, 08:32 Uhr (aktualisiert)
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig gerät immer weiter unter Druck.
(Foto: dpa)
Die Ministerpräsidentin in Schwerin wird mit immer neuen Vorwürfen im Zusammenhang mit jener Landesstiftung konfrontiert, die zum Bau von Nord Stream 2 gegründet worden war. Besonders skurril ist ein Vorgang um mehrere Steuermillionen.
Es passiert nicht oft, dass Regierungschefs der Länder im Bundestag sprechen. Am 18. September 2020 war das der Fall. Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, ließ es sich nicht nehmen, schließlich ging es um ihr politisches Lieblingsprojekt: Nord Stream 2. Dem Parlament lagen zwei Anträge vor. Die Grünen wollten den Bau der Trasse sofort stoppen, die AfD warb für den Weiterbau.
"Die Pipeline untergräbt die strategische außenpolitische Souveränität. Und sie konterkariert die europäischen Klima- und Energieziele", begründete Annalena Baerbock, damals Parteichefin und heute Außenministerin, die Forderung ihrer Grünen-Fraktion. "Was für ein Blödsinn", rief der Sozialdemokrat Carsten Schneider, jetzt Ost-Beauftragter der Bundesregierung, dazwischen. Baerbock konterte, die SPD beklage stets fatale Auswirkungen der Moskauer Außenpolitik. "Aber zeitgleich konterkarieren Sie mit Ihrer politischen Unterstützung dieser Pipeline jegliche Sanktionen gegen Russland und unterstützen über den Gaskonzern Gazprom auch noch den Kreml mit Milliardeneinnahmen."
Dann war Schwesig dran. Sie habe kurz überlegt, im Bundestag zu reden, sagte die Ministerpräsidentin. Sie habe sich dafür entschieden. Denn es gehe nicht nur um "ein russisches Projekt, sondern ein Infrastrukturprojekt im Interesse von Deutschland, von Westeuropa, milliardenschwer, 97 Prozent bereits fertiggestellt". Auf kritische Nachfragen der Grünen antwortete Schwesig nicht, weil die Grünen "viele Themen aufschnappen, in einen Topf werfen, richtig rumrühren. Und dann kommt so ein Antrag raus wie dieser." Deshalb "bin ich gar nicht bereit", auf diverse von den Grünen angesprochene Aspekte einzugehen. Das Protokoll vermerkt an der Stelle Beifall aus den Reihen von SPD, Union, FDP und AfD.
Ansonsten schimpfte die Ministerpräsidentin abermals auf die Sanktionsdrohungen der USA gegen deutsche Unternehmen, die die Pipeline bauen wollten. Sie erklärte, dass die Amerikaner nur ihr Fracking-Gas verkaufen wollten und russisches Gas eine Übergangstechnologie der Energiewende sei. Den Grünen empfahl Schwesig "Sachlichkeit und Differenzierung".
Kritik an Schwesigs Landesstiftung hält an
Inzwischen sind es die Grünen, die Schwesig Sachlichkeit und Differenzierung empfehlen, vor allem aber Offenheit und Transparenz. Sie werfen der Sozialdemokratin vor, mit "fortgesetzter Intransparenz gegenüber dem Parlament" demokratische Grundregeln zu untergraben, um dem Rücktritt zu entgehen. Der Schweriner Landtagsabgeordnete Hannes Damm beklagt, Schwesig, ihre Minister und ihre Verwaltung rückten nur zögerlich oder gar nicht Details heraus.
Der Druck auf die SPD-Politikerin hält unvermindert an, weil trotzdem immer neue Hinweise auftauchen, die zeigen, wie nah Gazprom-Vertraute an ihr dran waren. Die Transparenz-Plattform "Frag den Staat" veröffentlichte eine E-Mail aus der Kommunikationsabteilung von Nord Stream an die Ministerpräsidentin unmittelbar nach deren Auftritt im Bundestag. Ihr wurde für die "starke Unterstützung" gedankt. Das Schreiben enthielt zudem Argumentationshilfen zur Abwehr weiterer Kritik. Schwesig solle anführen, das privat finanzierte Projekt "verbessert neben der Versorgungssicherheit auch den Wettbewerb auf dem europäischen Gasmarkt mit den entsprechenden positiven Effekten".
Auch die Kritik an der maßgeblich von Schwesig eingerichteten Landesstiftung reißt nicht ab. Mindestens Indizien sprechen dafür, dass die Einrichtung nur dazu diente, mit einem "Geschäftsbetrieb" US-Sanktionen zu umgehen und die Pipeline zu vollenden. Schwesig hat dies nie bestritten, aber stets Klima- und Umweltschutz als "Hauptzweck" der Einrichtung benannt. Das ist nun zweifelhaft.
Nord Stream 2 - eine Gazprom-Tochter - brachte 20 Millionen Euro in die Stiftung ein. Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern erhielt von dem Unternehmen PR- und Organisationstipps, die Trasse öffentlich zu rechtfertigen und zu vollenden. Schwesig sagte, angesichts der Größe des Projekts sei "völlig klar, dass eine Landesregierung und auch die Ministerpräsidentin Gespräche mit den Investoren führen". Zugleich benannte sie Innenminister Christian Pegel als Ideengeber zur Gründung der Stiftung, was öffentlich wirkte, als wolle sie ihren Parteikollegen zum Bauernopfer machen.
Ist eine Steuerschuld offen?
Der jüngste Vorwurf an die Landesregierung ist, die Abführung einiger Millionen Euro an das Finanzamt "vergessen" zu haben, wie es Grünen-Politiker Damm bissig formulierte. Auf seine Anfrage räumten Schwesigs Beamte ein, dass die Stiftung "nicht gemeinnützig ist, sondern steuer- und gebührenpflichtig". Das heißt, der Fiskus müsste sowohl bei den 20 Millionen Euro der Nord Stream 2 AG als auch bei der Zahlung von 200.000 Euro aus Steuergeldern an die Einrichtung hinlangen - immerhin wären das an die zehn Millionen Euro für die Staatskasse. Der Grünen-Politiker befragte nach eigenen Angaben am 7. April Finanzminister Heiko Geue, früher Chef der Schweriner Staatskanzlei und Schwesigs Vertrauter, ob eine millionenschwere Steuerschuld offen sei. Geue habe nichts Konkretes dazu gesagt.
Das Magazin "Cicero", das den Vorgang öffentlich machte, zitierte die Stiftung wie folgt: "Es wurden Schenkungsteuererklärungen abgegeben." Mit Hinweis auf das Steuergeheimnis seien keine weitergehenden Aussagen möglich. Laut "Cicero" erklärte das zuständige Finanzamt Ribnitz-Damgarten, dass die Steuererklärungen "verloren gegangen" seien. Daraufhin habe die Stiftung eigenen Angaben zufolge Kopien nachgereicht. Anfang 2022 soll das Finanzamt den Eingang eines positiven Bescheids angekündigt haben, der die Stiftung von der Schenkungsteuer befreie. Geue wies Angaben zurück, er habe "seine Hand auf der Angelegenheit" und halte den positiven Bescheid zurück. "Das trifft nicht zu", zitierte "Cicero" den SPD-Mann.
Wie der "Wirtschaftsbetrieb" genau agierte, ist ebenfalls unklar. Die Opposition im Landtag rätselt, ob das Konstrukt für die Pipeline Material eingekauft und - eventuell über Tochterfirmen - Aufträge vergeben hat. Der Spezialfrachter "Blue Ship" etwa gehört seit Juli 2021 der Stiftung. Aber was er genau gemacht hat, ist genauso unklar wie die Frage, ob die 20 Millionen Euro von Nord Stream 2 wirklich nicht - wie von der Stiftung angegeben - in den "Geschäftsbetrieb" geflossen sind. Ein Vermerk in den Akten der Schweriner Staatskanzlei deutet auf das Gegenteil hin.
Der Grünen-Politiker Volker Beck erstattete Strafanzeige gegen unbekannt. Auf Twitter sprach er vom Verdacht verschiedener steuerrechtlicher Straftatbestände "und womöglich sogar" von der "Tätigkeit für eine ausländische Macht gegen das staatliche Interesse der Bundesrepublik Deutschland".
(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 24. April 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de