Hormon-Skandal schier grenzenlos Künast rät zu Fleischverzicht
16.07.2002, 00:00 UhrDer Skandal um hormonverseuchte Futtermittel und Getränke nimmt immer größere Ausmaße an. Es handele sich um eine "Dimension, die wir bisher nicht hatten", sagte Nordrhein-Westfalens Agrarministerin Bärbel Höhn. Die Bundesministerin für den Verbraucherschutz, Renate Künast (beide Grüne), riet den Verbrauchern angesichts der Unklarheit, welche Betriebe alles betroffen sind, zunächst auf den Verzehr von Fleisch zu verzichten. Es sei ratsam, auf Produkte auszuweichen, bei denen man sicher sein könne, "dass nichts drin ist", sagte Künast.
Nach Angaben der EU-Kommission sind inzwischen elf der 15 EU-Staaten von dem Hormon-Skandal betroffen. Die Zahl der deutschen Bundesländer, in die vermutlich verunreinigtes Futter gelangt ist, stieg inzwischen auf zwölf. Nicht betroffen sind bislang lediglich Hessen und Sachsen sowie die Stadtstaaten Berlin und Bremen.
Allein in Deutschland mussten Hunderte von Betrieben gesperrt werden. Sie waren über mindestens eineinhalb Jahre mit Produkten beliefert worden, die möglicherweise mit dem verbotenen Wachstumshormon Medroxy-Progesteron-Acetat (MPA) verseucht waren.
Behörden überfordert
Die Dimension des Skandals droht die deutschen Behörden zu überfordern. Nach Angaben von Landesregierungen gibt es mittlerweile erhebliche Probleme, die Verbreitung der Verseuchung zu erfassen.
Die EU sieht trotz der Ausmaße des Skandals derzeit keinen Anlass für ein verschärftes Vorgehen. Der Lebensmittelausschuss der Union bestätigte das bereits eingeschlagene Verfahren: Möglicherweise verunreinigtes Futter solle aufgespürt, zurückgezogen und beseitigt werden, hieß es in Brüssel. Alle Betriebe, die eventuell mit dem verseuchten Futter beliefert wurden, sollten weiterhin unter staatliche Aufsicht gestellt werden. Labortests sollten verschärft und die Untersuchung der Vertriebswege der belgischen Firma, die als Ursprung des Skandals gilt, vorangetrieben werden.
Verseuchungen in Deutschland
Allein in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wurden nach Behördenangaben mehr als 330 Betriebe gesperrt. In Nordrhein-Westfalen sind zudem zwölf Futtermittelhändler gesperrt worden. Die Höfe sind nach Angaben der Landes-Verbraucherschutzministerin Bärbel Höhn (Grüne) überwiegend Schweinemastbetriebe im Münsterland. Lieferungen wurden inzwischen von sieben Bundesländern bestätigt.
Als Reaktion fordert Höhn die Einführung einer Positivliste. In dieser sollten verzeichnet werden, welche Stoffe verwendet werden dürfen, statt wie bisher die verbotenen Stoffe aufzuführen, sagte Höhn in der ARD.
"Der Fantasie sind ja keine Grenze gesetzt, was könnte man sonst noch alles ins Futtermittel rein tun", sagte Höhn. "Deshalb brauchen wir eine Positivliste. Nur die Stoffe auf der Liste dürfen rein ins Futtermittel und nichts anderes." Darüber sei eine offene Deklaration nötig. "Das heißt, das was drin ist, muss auch auf den Futtermitteln deklariert werden", sagte Höhn.
Merkel kritisiert Künast
CDU-Chefin Angela Merkel warf im Zusammenhang mit dem Hormon-Skandal Künast vor, sie setze die falschen Akzente. Die CDU habe bereits im vergangenen Jahr eine Positivliste für Futtermittel gefordert. Künast habe dies bei der EU aber nicht durchsetzen können. Die Grünen-Politikerin, so Merkel, tue bislang nur, was sie immer tue: "Protestieren und schnell Schuldige finden. Aber passieren tut nichts."
Verursacher pleite
Auslöser der Affäre ist das inzwischen Pleite gegangene Unternehmen Bioland aus Belgien. Bioland soll nach Angaben der dortigen Behörden möglicherweise hormonbelastetes Futtermittel an Schweinemastbetriebe in den Niederlanden und verdächtigen Sirup unter anderem auch an Getränkehersteller in Deutschland geliefert haben.
Quelle: ntv.de