"Wahrheit und Klarheit über alles" Küng fordert "mea culpa"
17.03.2010, 18:00 UhrDie Katholiken in Deutschland erwarten von Papst Benedikt XVI., dass sein für Freitag angekündigter Hirtenbrief an die irischen Bischöfe nicht nur die tausenden Missbrauchsfälle in Irland aufgreift, sondern auch Konsequenzen für die katholische Kirche in Deutschland zieht. Im Bundestag verlangt Kanzlerin Merkel schonungslose Aufklärung.
Benedikt XVI. hat für Freitag die Unterzeichnung und Veröffentlichung eines Hirtenbriefes an die irischen Bischöfe angekündigt. Erwartet wird, dass der Brief nicht nur die tausenden Missbrauchsfälle in Irland aufgreift, sondern auch Konsequenzen für die katholische Kirche in Deutschland zieht.
Bei der Generalaudienz in Rom sagte Benedikt, nach der schweren Krise der katholischen Kirche in Irland habe er als Zeichen seiner "tiefen Sorge einen Hirtenbrief zu dieser schmerzvollen Situation verfasst". Vatikankreisen zufolge verzögerte der Skandal an katholischen Einrichtungen in Deutschland das Erscheinen des Briefes. Immer mehr Katholiken hatten in den vergangenen Tagen das öffentliche Schweigen des Papstes zu dem Thema kritisiert.
Küng fordert Schuldeingeständnis des Papstes
Der Theologe Hans Küng fordert vom Papst ein persönliches Schuldeingeständnis für den Missbrauch in der Kirche. Benedikt XVI. trage als Papst und langjähriger Präfekt der Glaubenskongregation die Verantwortung dafür, dass die Kirche solche Fälle jahrzehntelang geheim gehalten habe.
"Die Wahrhaftigkeit würde es verlangen, dass der Mann, der seit Jahrzehnten die Hauptverantwortung für die weltweite Vertuschung hatte, eben Joseph Ratzinger, sein eigenes "mea culpa" (meine Schuld) spricht", schrieb der katholische Tübinger Theologe in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung". "Bei keinem Menschen in der Kirche gingen so viele Missbrauchsfälle über den Schreibtisch wie gerade bei ihm." Die katholischen Bischöfe in Bayern nahmen unterdessen ihre Beratungen zum Missbrauchsskandal auf.
Bischofskonferenz plant keinen Fonds
Die Deutsche Bischofskonferenz plant derzeit keinen eigenen Fonds zur Entschädigung von Opfern sexuellen Missbrauchs. Der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, dementierte entsprechende Berichte: "Das mit dem Fond ist schlichtweg eine Behauptung."
Die "Süddeutsche Zeitung" hatte unter Berufung auf Kirchenkreise berichtet, die katholischen Bischöfe erwögen, einen eigenen Fonds einzurichten oder sich an einem gemeinsamen Fonds mehrerer Institutionen zu beteiligen.
Über Hilfe, die über die bereits angebotene und geleistete hinausgehe, "müssen wir mit Sorgfalt beraten", sagte Kopp. Über einen Fonds sei aber bisher nicht gesprochen worden. In den Leitlinien der Bischofskonferenz von 2002 stehe, dass die Kirche Hilfen im menschlichen, therapeutischen und seelsorgerischen Bereich gewähren, also Therapien bezahle.
Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete, im Gespräch sei neben einem Fonds auch die Beteiligung der Bischöfe an einem Topf mehrerer Einrichtungen und des Staates. Das Geld solle Opfern sexueller Gewalt helfen, aber auch der Vorbeugung und der Aufklärung dienen. Vorbild sei offenbar der Fonds, den die Bischöfe im Jahr 2000 für ehemalige Fremd- und Zwangsarbeiter in katholischen Einrichtungen im Zweiten Weltkrieg eingerichtet haben. Er war mit zehn Millionen Mark ausgestattet worden.
Auch der Leiter des katholischen Büros in Berlin, Prälat Karl Jüsten, schloss finanzielle Hilfen für Opfer ausdrücklich nicht aus. Es werde mit Hochdruck an Lösungen gearbeitet. Jüsten betonte, die meisten Opfer, die sich meldeten, wollten gar kein Geld: "Sie wollen, dass wir sie endlich hören und ihnen endlich glauben." Auch seien zunächst einmal die Täter in der Pflicht, bei Ordensleuten die betreffenden Orden. Erst wenn Täter oder Orden zu finanziellen Hilfen nicht in der Lage seien, "sind die Bischöfe gefragt", sagte Jüsten.
Sonderbeauftragter räumt Versäumnisse ein

Bischof Ackermann spricht von Vertuschung und falscher Rücksichtsnahme.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Sonderbeauftragte der katholischen Kirche für die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in Deutschland, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, räumte derweil schwere Versäumnisse der Kirche ein. "Da wo kein wirklicher Aufklärungswille vorhanden war und Täter einfach nur versetzt wurden, müssen wir in einer ganzen Reihe von Fällen gestehen, dass vertuscht worden ist", sagte Ackermann der "Rhein-Zeitung". Die Schuldfrage sieht der Bischof dabei weniger bei der Kirche als Institution, sondern bei den Tätern und denjenigen, die als Vorgesetzte ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden seien.
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, versprach eine Aufklärung der Vorwürfe und möglichst vollständige Transparenz der Fälle. Dies wurde nach seinem Treffen mit den kirchen- und religionspolitischen Sprechern der Bundestagsfraktionen in Berlin mitgeteilt.
Merkel fordert Klarheit
"Es gibt nur eine Möglichkeit, dass unsere Gesellschaft mit diesen Fällen klar kommt, und das heißt: Wahrheit und Klarheit über alles, was passiert ist", sagte die Kanzlerin im Bundestag. Man müsse über Verjährung und könne über Entschädigung sprechen. Die Kanzlerin räumte aber ein: "Völlige Wiedergutmachung wird und kann es nicht geben." Merkel sieht eine Bewährungsprobe für die gesamte Gesellschaft darin, "dass Menschen, die so etwas erfahren haben, sich in dieser Gesellschaft wieder anerkannt, aufgehoben fühlen und wenigstens ein Stück Wiedergutmachung bekommen". Die Diskussion über die Aufarbeitung der "verabscheuungswürdigen Verbrechen" dürfe sich aber nicht auf die katholische Kirche beschränken.
Runder Tisch geplant
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hält den Einsatz unabhängiger Persönlichkeiten für sinnvoll, um Missbrauchsfälle in katholischen und anderen Einrichtungen aufzuarbeiten. "Ich halte auch das für einen richtigen Zugang und Ansatz", sagte sie in Berlin. Zuvor hatten sich Leutheusser-Schnarrenberger, Familienministerin Kristina Schröder und Bildungsministerin Annette Schavan (beide CDU) darauf geeinigt, gemeinsam einen Runden Tisch zur Aufarbeitung der Vorfälle zu bilden.
Es werde derzeit in der Bundesregierung erörtert, ob zusätzlich - nach dem Vorbild anderer Länder - unabhängige Persönlichkeiten eingesetzt werden sollen, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Der Runde Tisch werde präventive und rechtliche Fragen sowie Fragen der Aufarbeitung behandeln. Das Kabinett wolle in der kommenden Woche über das gemeinsame Konzept zum Thema Aufarbeitung von Missbrauchsfällen beraten.
Zugleich sprach sich die Ministerin abermals gegen eine Aufhebung oder deutliche Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfristen für sexuellen Missbrauch aus. Man müsse sich vor Augen halten, was es für ein Opfer bedeute, wenn es sich nach 20 bis 30 Jahren an eine Vertrauensperson wende, Ermittlungen in Gang bringe und es nicht zu einer Verurteilung komme, weil weitere Anhaltspunkte fehlten. Entscheidend sei, dass die Fälle früh aufgeklärt würden und die Staatsanwaltschaft frühzeitig ermitteln könne.
Quelle: ntv.de, dpa/rts