92 Themen zur Abstimmung Langer Tag im Bundesrat
19.09.2008, 12:56 UhrMit einem umfangreichen Programm hat der Bundesrat nach der Sommerpause seine Arbeit wieder aufgenommen. Die Länderkammer musste insgesamt 92 Tagesordnungspunkte abarbeiten. Heftige gestritten wurde über die Neufassung des VW-Gesetzes, mit dem der Einfluss Niedersachsens bei dem Autokonzern gesichert werden soll.
Niedersachsen, Baden-Württemberg und die Bundesregierung lieferten einen Schlagabtausch. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) will trotz der Klagedrohung der Europäischen Kommission an der Sperrminorität von 20 Prozent des Landes Niedersachsen bei VW festhalten. "Es gibt keinen Anlass, das VW-Gesetz komplett abzuschaffen. Das sollte die EU-Kommission akzeptieren", sagte Zypries.
Deutsches Recht nichts für Brüssel
Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff (CDU) dankte Zypries und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für die Unterstützung. Das deutsche Gesellschafts- und Aktienrecht gehe Brüssel nichts an, sagte Wulff. Die politische Flankierung bei VW habe sich in 50 Jahren bewährt. In dem Machtkampf bei Europas größtem Autobauer setzte Wulff eine verbale Spitze gegen Großaktionär Porsche.
Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) attackierte erneut die Sonderstellung Niedersachsens bei VW. Mit dem Festhalten an der 20-Prozent-Marke riskiere die Bundesregierung ohne Not ein neues Verfahren mit Brüssel. Die Stuttgarter Regierung, die mit Porsche an einem Strang zieht, war zuvor überraschend zurückgerudert. Zunächst sollte ein Gegenantrag im Bundesrat eingebracht werden, um das VW-Gesetz zu kippen.
Kontroverse über Mindestlöhne
Gestritten wurde auch über Mindestlöhne in Deutschland. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) verteidigte das Gesetzespaket der Bundesregierung in der Länderkammer als wichtigen Schritt für mehr existenzsichernde Löhne. Das CDU/FDP-regierte Land Baden-Württemberg erteilte dem Vorhaben eine klare Absage. Der Bundesrat regte Änderungen an.
In der Debatte kritisierte der baden-württembergische Bundesratsminister Wolfgang Reinhart (CDU) die Gesetzentwürfe für mehr Branchenmindestlöhne als wettbewerbsfeindlich und arbeitsplatzvernichtend. Scholz wies die Vorwürfe zurück und nannte das Vorhaben "verfassungskonform". Die Behauptung, Mindestlöhne vernichteten Arbeitsplätze, sei nirgends belegt. Scholz zeigte sich überzeugt, dass sich am Ende des Verfahrens die Zahl der Beschäftigten, die durch Mindestlöhne "geschützt werden", verdoppeln werde.
Familienrecht wird moderner
Ehescheidungen und alle Streitigkeiten in Familiensachen werden erheblich vereinfacht, die Rechte der Kinder zugleich gestärkt. Der Bundesrat billigte ohne Aussprache ein bereits vom Bundestag mit großer Mehrheit verabschiedetes Gesetz. Damit wird das mehr als 100 Jahre alte zersplitterte Verfahren der sogenannten freiwilligen Gerichtsbarkeit grundlegend neu geordnet. Neu geschaffen wird ein Großes Familiengericht, das allein für Ehescheidungen und Streitigkeiten in Familiensachen zuständig wird. Das Gesetz soll erst am 1. September 2009 in Kraft treten, um den Ländern ausreichend Zeit für die Umstellung zu geben.
Ausweitung des Kinderzuschlags
Rund 250 000 Kinder in Familien mit geringem Einkommen - mehr als doppelt so viele wie bisher - werden vom 1. Oktober an den Kinderzuschlag erhalten. Der Bundesrat billigte den Ausbau dieser staatlichen Familienleistung. Der Zuschlag von maximal 140 Euro pro Kind soll verhindern, dass arbeitende Eltern nur wegen der Ausgaben für ihre Kinder auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Jedes sechste Kind in Deutschland wächst derzeit in einer von Armut bedrohten Familie auf.
Abgelehnt wurde hingegen die Aufnahme des Kinderschutzes in das Grundgesetz. Ein entsprechender Vorschlag der SPD-regierten Länder Bremen und Rheinland-Pfalz fand keine Mehrheit. "Kinderrechte gehören in den Mittelpunkt allen Handelns von Staat und Gesellschaft", begründete Bremens Regierungschef Jens Böhrnsen (SPD) den Vorstoß. Auch im Bundestag gibt es bislang keine Mehrheit dafür, Grundrechte von Kindern in der Verfassung festzuschreiben. Vor allem die Union ist dagegen. In neun Landesverfassungen sind Kinderrechte bereits verankert.
Schutz vor Kinderpornografie
Mit einem neuen Gesetz sollen Kinder und Jugendliche besser vor sexuellem Missbrauch geschützt werden. Zudem werden Kinder- und Jugendpornografie schärfer verfolgt. Der Bundesrat billigte ohne Aussprache das vom Bundestag vor der Sommerpause verabschiedete Gesetz. Zugleich verabschiedete die Länderkammer ein Gesetz zur Bekämpfung der Computerkriminalität, das unter anderem auch ein schärferes Vorgehen gegen die Verbreitung von Kinderpornografie im Internet ermöglicht.
Die verschärfte Rechtslage soll auch 16- und 17-Jährige davor schützen, dass sie entweder durch das Ausnutzen einer Zwangslage oder gegen Entgelt zu sexuellen Handlungen und damit zur Prostitution getrieben werden. Bisher galt dies für diese Altersgruppe nicht. Das Gesetz zählt die Altersgruppe der 14- bis 18-Jährigen zu den Jugendlichen. Bei den Tätern wird das Mindestalter, bei dem sie wegen sexuellen Missbrauchs zur Verantwortung gezogen werden können, von 18 auf 14 Jahre heruntergesetzt.
GmbH-Reform beschlossen
Die Länder billigten die größte GmbH-Reform seit 1892. Mit nur einem Euro Startkapital können sich Unternehmensgründer in Deutschland künftig in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft selbstständig machen. Dafür wird eine neue "Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)" (UG) geschaffen. Mit der Novelle des mehr als 100 Jahre alten Gesetzes, die der Bundestag bereits im Juni verabschiedet hatte, soll außerdem der grassierende Betrug bei Firmenpleiten wirkungsvoller bekämpft werden.
Entgegen der ursprünglichen Planung der großen Koalition bleibt es bei der klassischen "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" (GmbH) dabei, dass die Gesellschafter ein Grundkapital von 25.000 Euro aufbringen müssen. Sie bekommt aber mit der UG eine kleine Schwester, die unkompliziert und preiswert ins Leben gerufen werden kann.
Schornsteinfeger-Monopol fällt
Das Schornsteinfeger-Monopol gehört der Vergangenheit an. Künftig soll die Berufssparte für den Wettbewerb geöffnet werden. Hauseigentümer können sich in Zukunft ihren Schornsteinfeger weitgehend selbst aussuchen. Alle Arbeiten in diesem Bereich, die keine Kontrollen beinhalten, werden im Wettbewerb angeboten. Zur Reinigung und Überprüfung sollen aber nur Betriebe berechtigt sein, die mit dem Schornsteinfeger-Handwerk in die Handwerksrolle eingetragen sind oder entsprechende Dienstleistungen ausführen dürfen.
Wer in Deutschland als Schornsteinfeger tätig werden will, muss in ein Register eingetragen werden, das beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle geführt wird. Die bisherigen Kehrbezirke werden beibehalten. Aus Gründen der Betriebs- und Brandsicherheit sowie des Umwelt- und Klimaschutzes muss weiterhin kontrolliert werden, ob die Eigentümer ihre Pflichten erfüllt haben.
Reform der Unfallversicherung
Der Bundesrat hat die Organisationsreform der gesetzlichen Unfallversicherung gebilligt. Die Neuregelung hat aber keine Auswirkungen auf die Leistungen für die Versicherten. Mit dem bereits vom Bundestag beschlossenen Gesetz soll der allein von den Arbeitgebern finanzierte Zweig der Sozialversicherung straffer organisiert werden. Statt 23 gibt es künftig nur noch 9 Berufsgenossenschaften.
Kampf gegen Schwarzarbeit
Das Vorhaben der Bundesregierung, Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung intensiver als bisher zu bekämpfen, wird vom Bundesrat unterstützt. Er stellte sich am Freitag hinter das Aktionsprogramm. Danach müssen Beschäftigte in von Schwarzarbeit betroffenen Branchen künftig immer einen Ausweis mitführen. Die Arbeitgeber müssen darauf achten. Andernfalls droht Bußgeld. Auf Großbaustellen soll es dauerhafte Prüfstützpunkte der Finanzkontrolle Schwarzarbeit geben. In bestimmten Branchen soll künftig die Aufnahme einer Beschäftigung sofort an die Sozialversicherung gemeldet werden, und nicht wie bisher bis zu sechs Wochen später.
Einschnitte bei Ministerpensionen
Die Bundesländer haben grünes Licht für Einschnitte bei den Pensionen für Minister und Staatssekretäre gegeben. Nach dem am Freitag von der Länderkammer gebilligten Gesetz wird für Regierungsmitglieder die Altersgrenze für den Bezug eines Ruhegehalts wie bei Arbeitnehmern und Beamten von 65 auf 67 Jahre angehoben. Die Mindestamtszeit für die Inanspruchnahme wird von zwei auf vier Jahre erhöht. Ein Übergangsgeld kann künftig nur noch zwei statt drei Jahre bezogen werden. Der Bundestag hatte dem Gesetz im Juni zugestimmt.
Quelle: ntv.de