Politik

Debatte um getötete Radfahrerin Luisa Neubauer verteidigt Klimaprotest - teilweise

"Ziviler Ungehorsam steht und fällt mit dem 'Zivil' dadrin. Das heißt, gewaltfrei", sagt Luisa Neubauer.

"Ziviler Ungehorsam steht und fällt mit dem 'Zivil' dadrin. Das heißt, gewaltfrei", sagt Luisa Neubauer.

(Foto: picture alliance / Flashpic)

Der Tod einer Radfahrerin in Berlin bringt Klimaaktivisten massive Kritik ein. Ihnen wird die Schuld an der erschwerten Rettung eines Unfallopfers gegeben. Zu Recht? Luisa Neubauer sieht keinen Anlass, sich von diesen Protestformen zu distanzieren. Sie versucht einen rhetorischen Spagat.

Die Protestformen unterscheiden sich, aber sie kämpfen für die gleiche Sache: Sowohl Fridays For Future (FFF) als auch die "Letzte Generation" setzen sich für einen vehementeren Klimaschutz und drastischere Maßnahmen im Kampf gegen die Erderwärmung ein. Doch während die einen vor längerer Zeit die Schlagzeilen bestimmten, weil sie landesweit Tausende Schülerinnen und Schüler mobilisierten, stehen die anderen wegen radikalerer Aktionen aktuell im Kreuzfeuer der Kritik. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Kanzler Olaf Scholz und Innenministerin Nancy Faeser sehen sich zu Statements gezwungen, die sich klar gegen die Aktivisten richten.

Luisa Neubauer vertritt als prominentestes Gesicht die Massenbewegung Fridays For Future und kennt sich damit aus, im Gegenwind zu stehen. Doch nun wird sie in die Rolle einer moderateren Unterstützerin der Klimabewegung gedrängt, die die "Taten" der in den Augen vieler Beobachter "schwarzen Schafe" beurteilen soll. Am Donnerstagabend versuchte die 26-Jährige in einem Interview mit dem ZDF den Spagat zwischen Anteilnahme am Tod einer Radfahrerin in Berlin und einer Rechtfertigung des zivilen Ungehorsams, den Gruppierungen wie die "Letzte Generation" derzeit verkörpern.

"Der Protest, für den wir als Klimabewegung einstehen und für den wir auch als Fridays For Future einstehen, ist kategorisch friedlich", sagte sie und gab an, manchmal das Gefühl zu haben, "dass Menschen friedlich mit sozusagen 'gemütlich' oder 'bequem' verwechseln. Denn das heißt es eben nicht. Protest kann nerven, manchmal muss er nerven. Manchmal stört er auch, manchmal regen sich Menschen darüber auf. Aber er ist und bleibt friedlich. Auch das sehen wir ja überall."

Einsatzfahrzeug brauchte sieben Minuten länger

Dass Neubauer und Co. unter Rechtfertigungsdruck stehen, hängt mit einem tödlichen Verkehrsunfall zusammen. Dazu ist Folgendes bekannt: Eine 44 Jahre alte Radfahrerin wurde am Montagmorgen von einem Betonmischer auf der Berliner Bundesallee erfasst. Sie stürzte und wurde von dem Laster überrollt. Ein Spezialfahrzeug der Berliner Feuerwehr, das zum Unglücksort gerufen wurde, erreichte diesen durch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen nur verspätet und konnte zur Rettung der eingeklemmten Frau nicht mehr eingesetzt werden.

Der Stau ging maßgeblich auf den morgendlichen Berufsverkehr auf der Autobahn 100 und eine Protestaktion der "Letzten Generation" zurück. Der "Tagesspiegel" hat die Fahrt des Einsatzfahrzeugs rekonstruiert. Demnach brauchte es statt der 10 bis 12 Minuten zum Unglücksort, die bei normalen Verkehrsbedingungen ausgereicht hätten, 19 Minuten. Zwar gab es eine Rettungsgasse, aber die schiere Breite des Wagens erschwerte demnach ein Durchkommen. Am Donnerstagabend erlag die Frau ihren schweren Verletzungen in einem Krankenhaus. Sie ist laut der Zeitung die achte Radfahrerin, die in diesem Jahr in Berlin durch einen Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist.

Was nicht bekannt ist: Hätte das Leben der Frau gerettet werden können, wenn das Feuerwehr-Spezialfahrzeug früher am Unfallort eingetroffen wäre? Diese Frage wird gegenwärtig von den zuständigen Behörden geklärt. Die Polizei ermittelt gegen die zwei 63 und 59 Jahre alten Klimaaktivisten, die auf ein Autobahnschild geklettert waren und dort stundenlang ausharrten, wegen unterlassener Hilfeleistung beziehungsweise der Behinderung hilfeleistender Personen.

Durch einen aktuellen Bericht werden sie allerdings entlastet: Wie die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf einen internen Vermerk der Feuerwehr schreibt, kam die behandelnde Notärztin an jenem Montagmorgen zu dem Schluss, dass das Anheben des Betonmischers durch ein Spezialfahrzeug nicht nötig ist. Das Unfallfahrzeug sollte sich stattdessen mit "eigener Motorkraft fortbewegen". Selbst wenn ein Kran oder Rüstwagen sofort zur Verfügung gestanden hätten, sei deren Einsatz "medizinisch nicht angezeigt gewesen", schreibt die SZ. Die Begründung: "Ein Anheben wurde kurz erwogen, hätte aber wohl länger gedauert wie auch die medizinische Situation verschlechtert."

Wer trägt die Verantwortung?

In einem Pressestatement schildert die "Letzte Generation" ihre Sicht auf den Unfall, der mehrere Kilometer entfernt von jedem der gewählten Aktionsorte stattgefunden habe. "Auf der A100 befanden wir uns auf einer Schilderbrücke", heißt es. Die Polizei habe den Verkehr darunter selbstständig geregelt und auf eine Fahrspur reduziert. "Wir hatten die Polizei vor Betreten der Schilderbrücke informiert und um eine Umleitung von Einsatzfahrzeugen und das komplette Sperren der A100 für den Autoverkehr gebeten." Und weiter: "Wir haben in all unseren Protesten immer eine Rettungsgasse."

Auch Neubauer muss deshalb unangenehme Fragen beantworten. Wer trägt die Verantwortung für den Tod der Radfahrerin? Verurteilt sie den Straßenprotest der "Letzten Generation"? Nicht so richtig. "Ziviler Ungehorsam steht und fällt mit dem 'Zivil' da drin. Das heißt, gewaltfrei", sagte sie am Donnerstagabend, als die Einschätzung der Notärztin noch nicht öffentlich war. "Und Menschen sollen nicht gefährdet werden. Das ist, wofür wir als Klimabewegung einstehen." Das schließe auch die "Letzte Generation" mit ein. Ganz grundsätzlich sei die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland nun einmal unsicher, vor allem auch für Radfahrerinnen und Radfahrer, so Neubauer.

Was das Sicherheitskonzept bei der "Letzten Generation" anbelangt, wolle sie nicht für die Gruppierung sprechen. Im Gegensatz zu FFF gehe es dieser mehr um die "Drastik der Lage" und mehr "Aufmerksamkeit auf diese akute Krise". Das kann man als Kritik lesen. Dass damit keine Mehrheiten generiert würden, sei dabei nicht entscheidend, erklärte Neubauer weiter. Das sei im Zweifel auch nicht das Ziel dieser Aktionsformen. "Mehrheiten zu schaffen, das ist etwas, worin Fridays For Future sehr gut ist."

Die "Letzte Generation" formuliert es so: "Wir sind auf die Straße getreten, weil wir das unfassbare Unrecht in unserer Gesellschaft nicht mehr hinnehmen wollen. Weil wir uns moralisch verpflichtet fühlen, zu handeln und nicht sehenden Auges in den Abgrund zu gehen. Und weil die Geschichte gezeigt hat, dass friedlicher ziviler Widerstand funktioniert." Dass sie sich mit ihren Aktionen "Feinde" machen würden, sei ihnen bewusst gewesen, schreiben die Aktivisten. "Weil wir Menschen unterbrechen. Weil wir stören. Weil wir das Schreckliche an die Öffentlichkeit bringen."

"Der Widerstand geht weiter"

Doch mit dem Ausmaß der Empörung, das die Verkettung der Ereignisse rund um den Tod der Radfahrerin auslöst, haben die Klimaaktivisten nach eigenen Angaben nicht gerechnet. "Dass die Radfahrerin im Straßenverkehr verunglückt ist, ist furchtbar. Wir sind bestürzt und in Trauer." Ihr Tod dürfe aber nicht instrumentalisiert werden.

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So sieht es auch Luisa Neubauer. Am Vormittag twittert sie: "Es sollte möglich sein, den Tod einer Radfahrerin zu betrauen, innezuhalten, Empathie zu zeigen." Es müsse möglich sein, die Todesumstände zu untersuchen - "ohne ihn zu instrumentalisieren, ohne ihn in längst widerlegten Vorwürfen gegen Klimaproteste zu tränken." Was sie damit meint, schreibt sie nicht. "Der Widerstand geht weiter", stellte die "Letzte Generation" in ihrem Statement klar. So lange, bis die Bundesregierung die Klimakrise in den Griff bekomme.

Hinweis: Nach Veröffentlichung dieses Artikels wurde der Bericht über die Einschätzung der behandelnden Notärztin ergänzt.

Quelle: ntv.de

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