Aktivisten droht Todesstrafe Lukaschenko verbietet sein "Handbuch"


Viele Menschen sehen das Leben in Belarus als eine Dystopie.
(Foto: picture alliance / NurPhoto)
Der Alltag in Belarus ähnelt immer mehr der Handlung des dystopischen Romans "1984" von George Orwell. Der Staat verbreitet Hass gegen die Nationalsprache. Jeder, der sich gegen Diktator Lukaschenko erhebt, riskiert die Todesstrafe. Kein Wunder, dass Orwells Buch in Belarus nicht mehr verkauft werden darf.
Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine gehen die Behörden im autoritär regierten Belarus immer härter gegen die Zivilgesellschaft vor. Vor wenigen Tagen unterzeichnete der Machthaber Alexander Lukaschenko ein Gesetz über die Ausweitung der Todesstrafe. Zugleich wird im Land die ideologische Säuberung fortgesetzt. Eine neue, auf die belarussischsprachige Literatur spezialisierte Buchhandlung in der Hauptstadt Minsk wurde nach nur einem Tag geschlossen, die Mitarbeiter festgenommen. Und auch ein Klassiker der Weltliteratur ist ab sofort verboten.
George Orwells dystopischer Roman "1984" darf in Belarus nicht mehr verkauft werden. Das berichtet die oppositionelle Zeitung "Nascha Niwa" unter Berufung auf eine entsprechende staatliche Verfügung, die der Redaktion vorliegt. Demnach müssten "alle Versionen" des Buchs bis zum 19. Mai aus dem Verkauf genommen werden. Einige staatliche Buchhandlungen bestätigten bereits das Verbot.
Der Roman, in dem ein totalitärer Überwachungsstaat dargestellt wird, erfreut sich seit den Massenprotesten gegen die umstrittene Wiederwahl Lukaschenkos im August 2020 wieder großer Beliebtheit. In der staatlichen Buchhandlungskette "Belkniga" stand Orwells Dystopie bis zuletzt auf Platz vier der Bestsellerliste, mehr als 70 Jahre nach der Veröffentlichung des Werks. In den Jahren 2020 und 2021 wurde das Buch auf Belarussisch neu aufgelegt.
"Soll der Präsident wieder zur Maschinenpistole greifen?"
Der Verleger Andrej Januschkewitsch, der die Neuausgabe auf den Markt gebracht hatte, sitzt aktuell im Gefängnis. Seine Festnahme hat jedoch nicht mit "1984" zu tun. Auch wenn man sich ein ähnliches Szenario auf den Seiten von Orwells Roman durchaus vorstellen könnte. Am 16. Mai eröffnete Januschkewitsch im Zentrum von Minsk eine belarussischsprachige Buchhandlung. Bereits wenige Stunden später musste sie ihre Türen wieder schließen. Belarussisch ist neben Russisch Staatssprache in der postsowjetischen Republik, wird jedoch seitens des Regimes unterdrückt.
Unmittelbar nach der Eröffnung kamen drei prominente Propagandisten in das Geschäft, um die Bücherauswahl und überhaupt die Existenz einer belarussischen Buchhandlung in Minsk zu kritisieren. "Auf Russisch gibt es hier kein einziges Buch", monierten sie in einem Video auf Telegram. Es gebe auch keine Abteilung, "die dem Großen Vaterländischen Krieg gewidmet ist", regte sich Stanslaw Jaskewitsch auf, ein regimetreuer Blogger.
Ljudmila Gladkaja von der größten Zeitung des Landes, "Sowjetskaja Belorssija" (Sowjetisches Belarus), kritisierte auch die Behörden, die den "ideologischen Diversanten" die Eröffnung einer solchen Buchhandlung erlaubten. Sie warnte vor der Wiederholung von Protesten. "Wenn sich 2020 wiederholt, werdet ihr euch fragen, wie das nur passieren konnte", sagte Gladkaja. Und Ryhor Azaronak vom Fernsehsender STV fügte hinzu: "Soll der Präsident wieder zur Maschinenpistole greifen?" Am 23. August 2020 zeigte sich Lukaschenko in schwarzer Montur und mit einer Kalaschnikow-Maschinenpistole in der Hand, als sich Zehntausende friedliche Demonstranten vor seinem Palast in Minsk versammelten.
Lukaschenkos Gegnern droht die Todesstrafe
Nur wenige Stunden nach den Beschwerden der Propagandisten kam auch die Polizei in die Buchhandlung und durchsuchte sie. Der Verleger Januschkewitsch und eine Mitarbeiterin der Buchhandlung wurden festgenommen. Oppositionspolitiker Franak Viacorka verglich das Vorgehen gegen das Geschäft mit der Handlung eines weiteren dystopischen Romans, "Fahrenheit 451". In diesem Buch von Ray Bradbury besteht die Aufgabe der Feuerwehr darin, Bücher zu verbrennen, anstatt Brände zu löschen. "Lukaschenko betrachtet dystopische Bücher als Handbücher", schrieb Viacorka auf Twitter. Die Verkäuferin der Buchhandlung wurde wegen "Rowdytums" zu 13 Tagen Haft verurteilt. Januschkewitsch muss 10 Tage hinter Gitter. Die Behörden beschlagnahmten 200 Bücher und verordneten die Schließung des Geschäfts.
Deutlich höhere Strafen drohen künftig oppositionellen Politikern und Aktivisten. Vor wenigen Tagen unterzeichnete Lukaschenko ein neues Gesetz, demzufolge die Vorbereitung und der "Versuch eines Terrorakts" mit der Todesstrafe geahndet werden können. Die Verschärfung des Strafrechts dient laut Experten der Verfolgung politischer Gegner Lukaschenkos. In Belarus kann "alles unter Terrorismus eingeordnet werden", sagte etwa der belarussische Jurist Dmitry Laevsky in einem Interview mit dem Onlineportal "Mediazona". "Unter anderem fallen politische Proteste unter diese Beschreibung".
Quelle: ntv.de