Brüsseler Spitzen Machtkampf um Barroso
18.06.2009, 08:59 UhrUm eine zweite Amtszeit von EU-Kommissionspräsident Barroso entbrennt bei der Europäischen Union ein Machtkampf. Die Sozialdemokraten im EU-Parlament gehen auf Konfrontationskurs zu den mehrheitlich konservativen und liberalen Regierungschefs.
Die sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament torpediert eine rasche Wiederwahl von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Die Fraktion lehnt eine Abstimmung bereits im Juli über eine zweite Amtszeit des konservativen Portugiesen strikt ab. Die konservativen und christdemokratischen Regierungschefs beharren jedoch auf eine rasche Abstimmung. Sie verständigten sich in Brüssel vor dem EU-Gipfel darauf, entsprechende Beratungen mit den Fraktionen im Europaparlament aufzunehmen.

Barroso auf dem Weg zu einem Treffen der Europäischen Volkspartei, der auch CDU und CSU angehören.
(Foto: REUTERS)
Vor allem die Sozialisten und die Grünen lehnen bislang eine Wahl Barrosos ab und verlangen eine Verschiebung der Abstimmung auf den Herbst. Die europäische Volkspartei ist zwar stärkste Kraft im Europaparlament. Sie hat aber keine eigenständige Mehrheit.
"Wir sind nicht willens, im Juli zu entscheiden", sagte der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Martin Schulz, in Brüssel. "Es ist unmöglich, im Juli abzustimmen", so der Chef der zweitgrößten Fraktion im EU-Parlament unmittelbar vor Beginn von Beratungen der EU-Staats- und Regierungschefs über Barroso. Dies würde eine Verschiebung auf September bedeuten und den gewünschten Fahrplan der mehrheitlich konservativen Staats- und Regierungschefs über den Haufen werfen.
Das Parlament braucht Zeit
Schulz sagte, das Parlament brauche Zeit, um mit dem Kandidaten zu reden. So erwarte man Klarheit über die Rechtsgrundlage, auf der die Kommission gebildet werden soll, aber auch über die Zusammensetzung, die Verteilung der Ressorts und über die kommenden Kommissare.
"Ich kann die Staats- und Regierungschefs nicht daran hindern, sich zu dieser Frage zu äußern", sagte Schulz. Er hoffe, dass es keine Entscheidung gebe und rechne mit einer "überwältigenden Mehrheit" für Barroso. Dabei habe er auch Verständnis dafür, dass sozialdemokratische Regierende für Barroso seien. "Wir erwarten aber auch Respekt für das Parlament." Es gebe derzeit im Parlament "keine Mehrheit für Barroso".
Merkel will schnell zum Zuge kommen
Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel dringt dagegen wie ihre konservativen Kollegen auf eine schnelle Entscheidung über eine zweite Amtszeit für Barroso. "Europa muss handlungsfähig sein und kann jetzt nicht monatelang eine Hängepartie haben", sagte Merkel zum Auftakt des EU-Gipfels. Sie werbe deshalb dafür, dass sich das europäische Parlament "schon im Juli" mit dieser Personalentscheidung befasse.
Merkel bekräftigte, dass sie ein zweites Mandat für den 53-jährigen Portugiesen unterstütze. "Ich hoffe, dass wir heute Abend hierzu einen politischen Beschluss fassen können", sagte sie mit Blick auf das Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU. Im Anschluss müssten Konsultationen mit dem Parlament aufgenommen werden.
Ziel bleibt 15. Juli als Wahltag
Laut dem scheidenden Präsidenten des Europaparlaments, Hans-Gert Pöttering (CDU), wollen die Fraktionschefs am 9. Juli darüber entscheiden, ob sich das Parlament noch im Juli mit der Personalfrage befasst. "Das warten wir mit Gelassenheit ab", sagte Pöttering. "Ich habe mit Barroso exzellent zusammengearbeitet und ich hoffe, dass er Erfolg haben wird."
Wenn im Parlament eine Mehrheit für Barroso gesichert ist, soll der Personalvorschlag durch die 27 EU-Staaten formalisiert werden. Ziel bleibt nach dem Willen der EVP, dass am 15. Juli das Europaparlament Barroso wählt.
Die deutsche Gipfel-Delegation trat dem Eindruck entgegen, dass die EU-Staats- und Regierungschefs das Parlament mit der Personalie Barroso unter Druck setzten. Nach dem noch geltenden Vertrag von Nizza seien Konsultationen mit dem Parlament vor der Nominierung eines Kommissionschefs nicht vorgesehen. Man habe extra den jetzt eingeschlagenen Verfahrensweg gesucht, um dem Parlament entgegen zu kommen, wurde betont.
Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) rechnet damit, dass Barroso am Abend von den Staats- und Regierungschefs das Mandat erhält, "mit den Gruppierungen des Europäischen Parlaments zu sprechen". Wie Steinmeier in Brüssel sagte, geht es um "ein Meinungsbild" und ausdrücklich "keine formelle Entscheidung".
Steinmeier will Spitzenposten für Sozialdemokraten
Steinmeier mahnte gleichzeitig EU-Spitzenposten auch für die Sozialdemokraten an. Er rechne im übrigen damit, "dass bei den europäischen Spitzenpositionen die unterschiedlichen Richtungen im EP berücksichtigt werden". Steinmeier sagte, dabei gehe es ihm um "die drei hochrangigen Positionen, über die in den nächsten Monaten zu entscheiden sein wird". Neben dem Kommissionspräsidenten gehe es um den Ratspräsidenten, dessen Amt nach dem Lissabon-Vertrag geschaffen werden soll, sowie um den europäischen Außenminister.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP