Politik

Ex-GDL-Chef Schell zum Chaos bei der Bahn "Man ließ Mehdorn gewähren"

Schnee und Eis haben für massive Verspätungen und Ausfälle bei der Bahn geführt.

Schnee und Eis haben für massive Verspätungen und Ausfälle bei der Bahn geführt.

(Foto: dpa)

Für das Bahnchaos sind nach Ansicht des ehemaligen GDL-Chefs vor allem Ex-Bahnchef Mehdorn und seine Börsenpläne verantwortlich. "Es ging nur noch darum, einen exorbitant guten Jahresabschluss zu erreichen", sagt Manfred Schell im Interview mit n-tv.de. "Das war die Maxime der Mehdornschen Ära." Er fordert die Aufspaltung der Bahn und wirft dem Bund vor, seine Verantwortung vernachlässigt zu haben.

n-tv.de: Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hat die jahrelange Sparpolitik und den Renditedruck für die Probleme bei der Deutschen Bahn verantwortlich gemacht. Teilen Sie seine Einschätzung?

Manfred Schell: Das Problem ist, dass man die Situation bei der Deutschen Bahn immer nur tagesaktuell bewertet. Wenn Herr Ramsauer heute als Verkehrsminister so schlau ist, die vier bis fünf Jahre alten Versäumnisse zu erkennen, müsste er auch die Namen der Verantwortlichen dafür nennen. Wir als Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) haben schon damals während der Vorbereitungen für den Börsengang die Situation bei der Bahn beklagt. Wir hielten das Unternehmen für nicht börsenfähig. Aber der damalige Bahnchef Hartmut Mehdorn hat in Verbund mit der Bundesregierung die Pläne durchgedrückt. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat zu keinem Zeitpunkt interveniert haben. Man ließ Herrn Mehdorn gewähren. Wahrscheinlich, weil sich die Regierung aus dem Börsengang eine nicht unerhebliche Summe an Mitteln für den Bund versprach.

Die Bahn kämpft also jetzt mit den Folgen aus der Ära Mehdorn und den gescheiterten Plänen für einen Börsengang?

"Ständiges Chaos": Die Berliner S-Bahn ist derzeit nicht voll einsatzbereit.

"Ständiges Chaos": Die Berliner S-Bahn ist derzeit nicht voll einsatzbereit.

(Foto: dpa)

Richtig. Exemplarisch lässt sich das am Beispiel der Berliner S-Bahn festmachen. Seit über zweieinhalb Jahren herrscht dort ein ständiges Chaos. Züge fallen aus, Züge müssen mit weniger Wagen fahren, manche Strecken werden gar nicht mehr bedient und bei anderen werden die Intervalle auf 20 oder 30 Minuten erhöht. Zwar sind nicht alle Fehler, etwa beim Material, nur der Bahn anzulasten. Aber der Preisdruck, mit der Schließung von Werkstätten und dem Abbau von Personal, hat letztlich zu dem Chaos geführt. Es ging nur noch darum, einen exorbitant guten Jahresabschluss zu erreichen, um damit den Gang zur Börse zu ermöglichen. Das war die Maxime der Mehdornschen Ära.

Wer hat denn bei Grundsatzfragen wie dem Börsengang letztlich das Sagen bei der Bahn: Der Bund als Eigentümer oder der Konzernchef?

Der Bund, vertreten durch die Regierung und den Verkehrsminister, hat als Eigentümer immer noch eine Aufgabe, die man im Grundgesetz nachlesen kann: Eigentum verpflichtet. Diese Eigentümerverpflichtung hat die Regierung sträflichst vernachlässigt. Man hat die strategische Ausrichtung der Bahn dem Konzernchef überlassen. Das halte ich für ein elementares Versäumnis der Politik.

Waren die Probleme mit den Klimaanlagen im Sommer und das Winterchaos also vorhersehbar, oder hat Sie das Ausmaß überrascht?

"Man ließ Herrn Mehdorn gewähren": Der ehemalige Bahnchef wollte das Unternehmen an die Börse bringen.

"Man ließ Herrn Mehdorn gewähren": Der ehemalige Bahnchef wollte das Unternehmen an die Börse bringen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Was die Probleme mit den Klimaanlagen angeht, kann ich nicht beurteilen, wer letztlich dafür die Verantwortung trägt. Fakt ist aber doch, dass jeder, der ein Auto konstruiert, das Fahrzeug unter großer Hitze fährt, in Kältekammern testet und bis hin zu Elchtests die Tauglichkeit überprüft. Das kann im Fall der Bahn offensichtlich ja so nicht der Fall gewesen sein. Wenn man technische Geräte so auslegt, dass sie bei einer Temperatur von 28 Grad die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreichen, kann etwas nicht stimmen. Das sind Fehler, die in der Absprache zwischen dem Hersteller der ICE-Züge und der Bahn gemacht worden sind.

Und was das Verkehrschaos im Winter betrifft: Haben wir als Kunden zu hohe Ansprüche an die Bahn? War der Winter wirklich so hart, wie Verkehrsminister Ramsauer betont?

Also mir ist bekannt, dass der Winter jedes Jahr kommt. Genauso wie der Herbst, und jedes Jahr, zumindest seit ich lebe, fallen im Herbst auch die Blätter von den Bäumen. Sie fallen auch auf die Schienen, da müssen Bremsen und Sand im Zug stimmen. Natürlich kann man sich nicht auf alles vorbereiten, wenn etwa wie am Flughafen das Enteisungsmittel ausgeht. Und die Technik ist auch anfälliger als früher – niemand kann etwas dafür, wenn die Oberleitungen einfrieren und keine Spannung mehr übertragen wird. Aber wenn dann der Schnee kommt, und ich nicht genügend Mitarbeiter habe, die die Weichen reinigen oder reparieren können, sind das Fehler, die nicht vorkommen dürfen.

Wie muss die Konsequenz aus diesen Fehlern lauten?

Ich halte es für absolut erforderlich, dass ein Stück mehr Verantwortungskultur in dem Unternehmen Einzug erhält. Man kann nicht jede defekte Weiche oder jedes kaputte Signal Bahnchef Rüdiger Grube anlasten. Wir haben fünf Unternehmensbereiche innerhalb der Bahn mit fünf Vorständen. Warum müssen wir diese Holding erhalten? Ich halte es für sinnvoll, zumindest die Infrastruktur, die maßgeblich ist für den Schienenverkehr, wie von Brüssel vorgegeben vom Bahnbetrieb zu trennen. Die Aufspaltung ist wichtig, um auch die Verantwortungen für Schiene, für Werkstätten, Züge und so weiter klar zu machen. Der Gemischtwarenladen Bahn gehört aufgelöst.

Verkehrsminister Ramsauer hat eingeräumt, dass die Bahn derzeit keinen hundertprozentig funktionierenden Betrieb leisten kann. Welche Schritte wären notwendig, um diesen Zustand wieder zu erreichen?

Bahnchef Grube hat einen Kurswechsel versprochen. Schell glaubt allerdings nicht daran.

Bahnchef Grube hat einen Kurswechsel versprochen. Schell glaubt allerdings nicht daran.

(Foto: dapd)

In jedem gut geführten Unternehmen treten mal Fehler auf. Dann kommt es zu Rückrufaktionen oder Korrekturen in der Produktion. Nach all den Jahren müsste auch die Bahn in der Lage sein, die Schwachpunkte zu benennen und zu erklären, wie diese behoben werden können. Diese in die Zukunft gerichteten strategischen Überlegungen sind mir aber bei der Bahn nicht bekannt. Es geht immer nur ums Geld, auch bei den Politikern von Bund und Ländern. Sie verlangen nicht konkrete Schritte, wie die Probleme gelöst werden können, sondern begnügen sich mit der Frage, ob die Bahn mehr Geld braucht oder für nicht erbrachte, aber vertraglich zugesicherte Leistungen Strafe zahlen muss.

Verkehrsminister Ramsauer wie auch Bahnchef Grube beteuern, das Unternehmen steuere nun um, der Kurswechsel sei eingeleitet, milliardenschwere Investitionen …

Schell war von 1989 bis 2008 Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, deren Ehrenvorsitzender er heute ist. 1993 und 1994 saß er für die CDU im Bundestag. Bundesweit bekannt wurde der 67-Jährige während der Lokführerstreiks 2007. Seine Autobiografie "Die Lok zieht die Bahn" erschien im Februar 2009.

Schell war von 1989 bis 2008 Vorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, deren Ehrenvorsitzender er heute ist. 1993 und 1994 saß er für die CDU im Bundestag. Bundesweit bekannt wurde der 67-Jährige während der Lokführerstreiks 2007. Seine Autobiografie "Die Lok zieht die Bahn" erschien im Februar 2009.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

… entschuldigen Sie mal, das ist doch alles abgedroschen. Schon Mehdorn hat behauptet, dass noch nie so viel Geld in die Bahn investiert worden sei wie unter seiner Führung. Ich vermag keine Neuigkeit in solchen Versprechen erkennen. Ich glaube erst dann an einen Kurswechsel, wenn konkret benannt wird, was die Schritte sind und wofür Geld ausgegeben wird. Dann kann die Bahn auch sagen, ob sie es aus eigenen Mitteln schafft oder die Dividende von 500 Millionen Euro braucht, die der Bund jedes Jahr abziehen will. Nur zu sagen, man kaufe jetzt neue Züge, das reicht nicht.

Was halten Sie denn von Bahnchef Grube?

Er pflegt völlig andere Umgangsformen als sein Vorgänger. Mehdorn habe ich nicht nur wegen seines Umgangs mit Politikern und Medien einmal als Rumpelstilzchen bezeichnet. Grube dagegen ist verbindlich und er kann zuhören. Natürlich steht er, was aber falsch ist, als Vorstandvorsitzender für alles gerade, bis hin zum verstopften Wasserabfluss in irgendeinem ICE.

Nach all dem Chaos und dem Ärger: Wie ist die Stimmung unter den Mitarbeitern?

Ich will kein Szenario des Leidens entwerfen, aber: sie stehen an der Front. Insbesondere die Kolleginnen und Kollegen in den Zügen, die tagtäglich über die Reisenden mit den Umständen der Bahn konfrontiert werden. Das sind nun einmal die Hauptleidtragenden. Denen helfen alle Beteuerungen eines Bahnvorstandschefs nichts, egal wie er heißen mag. Das Beste für Mitarbeiter ist es doch, wenn ein Unternehmen ruhig läuft. Und wenn wir das mal bei der Bahn verwirklichen würden, unabhängig von den Jahreszeiten, wäre schon viel geholfen.

Mit Manfred Schell sprach Till Schwarze

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen