Politik

Kein "Streit unter Freunden" McCain setzt auf Frontalangriff

Die Samthandschuhe sind abgestreift, John McCain, der Vietnamkriegsveteran, setzt auf Frontalangriff. Seit Wochen schon belegt der Republikaner seinen Rivalen Barack Obama mit einem Sperrfeuer unverhohlen abschätziger Fernsehspots. Vorbei die Zeit, als der 72-Jährige das Rennen ums Weiße Haus einen "Streit unter Freunden" nannte. Das US-Magazin "Time" konstatiert: "Ein völlig neuer McCain." Die Giftpfeile treffen: Plötzlich steht er wieder im Rampenlicht. McCain macht seinem Ruf als zähes Stehaufmännchen abermals alle Ehre - für seinen jungen Kontrahenten bleibt er brandgefährlich. Umfragen unmittelbar vor dem republikanischen Parteitag in St.Paul/Minneapolis im US-Staat Minnesota sehen beide Kontrahenten praktisch Kopf-an-Kopf.

Der Senator aus Arizona muss sich dem Kampf an vielen Fronten stellen: Da ist das Alter. "Ich bin älter als Dreck, mit mehr Narben als Frankenstein", scherzt er selbst. Da sind die Zweifel über seine Gesundheit, sein Kampf gegen den Hautkrebs. Hinzu kommt McCains aufbrausendes Temperament. Den Rechten der Partei ist er nicht fromm genug, liberale Republikaner stoßen sich an seiner Unterstützung für den Krieg im Irak, wo er sich auch in 100 Jahren noch US-Truppen vorstellen kann. Und nicht zuletzt sitzt ein Amtsinhaber und Parteifreund im Weißen Haus mit den schlechtesten Umfragewerten seit Richard Nixon.

Verbale Ausrutscher

Immer wieder für Erstaunen sorgen auch seine verbalen Ausrutscher, sei es, dass er die Tschechoslowakei mehrfach wieder auferstehen ließ, Sunniten und Schiiten verwechselte oder von einer Grenze zwischen dem Irak und Pakistan fabulierte. Seine Reden, zahllos gespickt mit der Anrede "Meine Freunde", wirken betulich bis einschläfernd. Beim Thema Wirtschaft, das die krisengeschüttelten Amerikaner derzeit besonders umtreibt, räumt er Defizite ein. Mit dem Internet machte sich der Senator erst dieses Jahr vertraut. Dass McCain unlängst die Anzahl seiner Familienimmobilien nicht parat hatte, war ein gefundenes Fressen für die Demokraten.

Doch lag McCain - seit einem Vierteljahrhundert Mitglied des US- Kongresses und hochdekorierter Bomberpilot, der über fünf Jahre nordvietnamesische Gefangenschaft überlebte - allen Hürden zum Trotz in Umfragen selten mehr als ein paar Prozentpunkte hinter Obama. Seinen militärischen Verdiensten und seiner politischen Erfahrung zollen selbst McCains ärgste Gegner höchsten Respekt - beides ist sein wichtigstes Kapital im Wettbewerb mit Obama. Und viele Amerikaner hegen tatsächlich Zweifel, ob der schwarze Senator auch wirklich das Zeug für den wichtigsten Job der Welt hat. Es sind genau diese Vorbehalte, die McCain nun ins Zentrum seiner Kampagne rückt und massiv ausschlachtet. Seine Strategie, die Wahl zum Referendum über den jungen Aufsteiger zu machen, scheint aufzugehen.

Viele der Vorwürfe gegen Obama sind allerdings "falsch oder wild übertrieben", wie das britische Magazin "Economist" befindet. "In mancher Hinsicht folgt McCain dem Plan, der George W. Bush 2004 half, John Kerry zu schlagen - indem er ihn als windsurfendes Mitglied der Elite hinstellt", urteilt "Time". Wirft man einen Blick auf die politische Programmatik, steht der Senator aus Arizona dem derzeitigen Präsidenten nicht allzu fern, so gerne sein Lager ihn auch als unabhängigen Geist darstellt. "Obwohl man ihn wohl nur schwer als doktrinären Republikaner oder Konservativen einstufen kann, scheint McCain einiges von seinem sorgsam kultivierten Ruf als Querkopf aufgegeben zu haben", schreibt die "New York Times".

Auf einer Linie mit Bush

Bei den zentralen Themen Wirtschaft, Irakkrieg und Gesundheitsversorgung liegt der Senator auf einer Linie mit Bush, ermittelte die "Times". Praktisch identisch sind ihre Auffassungen zu Abtreibung und dem Typus Richter, den sie im Höchsten US-Gericht sehen möchten. Beim heißen Eisen Einwanderung favorisiert McCain inzwischen die Auffassung der Partei, die zuerst die Grenze sichern und sich erst danach um Eingliederung kümmern will. Der Republikaner will Bushs Steuerpolitik fortsetzen, die die Reichen favorisiert. Als probates Mittel gegen den Klimawandel sieht er einen massiven Ausbau der Kernkraft. Um der Energiekrise Herr zu werden, soll in den Küstengewässern nach Öl gebohrt werden.

Kaum jemand zweifelt daran, dass sich McCain die Nominierung seiner Partei vor allem deshalb sichern konnte, weil das Feld der Mitbewerber allzu dürftig war. Für den Senator war es eine späte Genugtuung, nachdem er sich vor acht Jahren bereits nach einer brutalen Schmutzkampagne Bushs hatte geschlagen geben müssen. Vor einem Jahr hatte niemand mehr einen Cent auf ihn gewettet, als alle Welt einen Sieg von New Yorks Ex-Bürgermeister Rudolph Giuliani erwartete und McCains Wahlkampf finanziell ausgeblutet war.

McCain nicht vorzeitig abschreiben

Auch mit Blick auf die Wahl am 4. November, da sind sich Kommentatoren jeder Couleur sicher, wäre es ein Fehler, John McCain vorzeitig abzuschreiben. Mit 72 Jahren wäre der ABBA-Fan und Bewunderer Ernest Hemingways beim Amtsantritt am 20. Januar der älteste Präsident, der erstmals ins Weiße Haus einzieht. Doch noch immer ist er für parteiunabhängige Wähler attraktiv, denen der schwarze Senator zu jung und zu unerfahren ist. McCains Botschaft vom Luftikus Obama scheint dort Früchte zu tragen. Und die Unabhängigen gelten als durchaus wahlentscheidend, haben beide Kandidaten ihre jeweiligen Parteigänger doch im Großen und Ganzen hinter sich.

"Der Parteitag der Republikaner ist McCains größte Chance, sich besser in Positur zu stellen", meint Karl Rove, der als Vater republikanischer Wahlsiege der jüngeren Vergangenheit gilt. "Jeder weiß, dass die Parteiversammlungen nichts als Show sind. Aber die Wähler wollen eine gute sehen, eine die gut klingt." McCains Rede, heißt es, soll allerdings nur etwas länger als 20 Minuten dauern.

Frank Brandmaier, dpa

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen