Nach dem sechsten Integrationsgipfel Merkel hat keine Lösungen
28.05.2013, 19:04 Uhr
Pressekonferenz nach dem Integrationsgipfel. V. l. Viktor Ostrowski vom Bundesverband russischsprachiger Eltern, Integrationsbeauftragte Maria Böhmer, Kanzlerin Angela Merkel, Recep Keskin vom türkischen Unternehmerverband, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig.
(Foto: dpa)
Es ist bereits der sechste Integrationsgipfel zu dem Angela Merkel geladen hat – und seit langem sind die Probleme die gleichen. Deutschland schrumpft, Deutschland braucht Einwanderer, so weit so gut – wenn da nur das Problem mit der Integration nicht wäre. Neue Lösungen bringt der Gipfel nicht.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat (l), der Vorsitzende des Verbandes Griechischer Gemeinden, Konstantinos Dimitriou (M.), und Erzpriester Apostolos Malamoussis unterhalten sich vorm Beginn des Integrationsgipfels.
(Foto: dpa)
Viel hat Angela Merkel nicht im Angebot. Die Kanzlerin hat gerade ihren sechsten Integrationsgipfel hinter sich gebracht. Mehr als aufmunternde Worte hat sie zum Abschluss des Treffens allerdings nicht parat. Da wären einige wohlklingende Appelle: Vorurteile müssten aus den Köpfen verschwinden, Deutschland müsse Unternehmern mit ausländischen Wurzeln gleiche Chancen geben und der öffentliche Dienst mehr Migranten einstellen. Das war allerdings bereits beim Integrationsgipfel im vergangenen Jahr die Losung. Mit Lösungen aber geizt die Kanzlerin. Um die großen Brocken der Integrationspolitik - die Frage nach leichteren Einbürgerungen und Doppel-Pass - macht die CDU-Chefin einen Bogen.
Die Bundesregierung hat allen Grund, sich angestrengt Gedanken über Einwanderer und deren Integration zu machen. Schon heute stammt ein Fünftel der Bevölkerung aus Zuwandererfamilien. Die Alterung der Gesellschaft schreitet voran; das Land verliert auf lange Sicht massenhaft Einwohner - und damit auch jene, die arbeiten und in die Sozialkassen einzahlen. Das heißt: Deutschland braucht Einwanderer.
Derzeit kommen so viele wie lange nicht mehr: Vor allem junge Leute aus krisengeplagten Staaten wie Griechenland oder Spanien strömen ins Land - in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Viele von ihnen sind gut ausgebildet. Aber die Zuwanderer - die alten wie die neuen - müssen auch eingegliedert werden und sich zu Hause fühlen. Daran hapert es bislang. Migranten haben in Deutschland immer noch Nachteile - etwa auf dem Arbeitsmarkt. Sie sind besonders von Arbeitslosigkeit betroffen. Und in vielen Branchen, aber auch im öffentlichen Dienst sind sie hoffnungslos unterrepräsentiert.
Wieder eine Million Zuwanderer
Die Zahl der Zuwanderer ist 2012 nach Angaben des Statistischen Bundesamts auf über eine Million Menschen gestiegen. Dabei wanderten im vergangenen Jahr 369.000 Menschen mehr ein als aus. Dies führte dazu, dass die Gesamtbevölkerung in Deutschland wieder auf mehr als 82 Millionen stieg.
Hinzu kommen ganz andere Probleme: Die erschütternden Morde der rechtsextremen Terrorzelle NSU haben neue Verunsicherung unter Migranten geschürt. Viele fühlen sich ohnehin nicht recht willkommen, weil der Weg zur Einbürgerung lang ist. Und bislang müssen sich die meisten irgendwann für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Vor allem junge Türken stehen oft vor der schwierigen Wahl: Sind sie in Deutschland geboren und haben ausländische Eltern, müssen sie bis zum Ende des 23. Lebensjahres zwischen dem deutschen Pass und dem ihrer Eltern wählen.
Die Opposition ruft seit langem lautstark danach, mehr Menschen ins Land zu holen - und den Weg für Doppelpässe frei zu machen. Auch die FDP ist dafür offen. Die Partei von Philipp Rösler meldet sich passend zum Integrationsgipfel zu Wort, um Merkel und die Union zu drängeln: Rösler wirbt eindringlich dafür, mehr qualifizierte Zuwanderer für Deutschland zu gewinnen und eine doppelte Staatsbürgerschaft zu erlauben.
Auch FDP-Vize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hebt den mahnenden Zeigefinger in Richtung Union. "Deutschland ist Einwanderungsland, an dieser Erkenntnis führt kein Weg mehr dran vorbei", sagt die Justizministerin. Die Zulassung einer doppelten Staatsangehörigkeit sei der Schlüssel zu einer deutschen Willkommenskultur. Die Union möge sich bitteschön dafür öffnen.
Migranten bekommen seltener Kredite
Wie der Vorsitzende des Verbandes Türkischer Unternehmer und Industrieller in Europa, Recip Keskin, beklagte auch die Kanzlerin, dass es für Unternehmensgründer mit ausländischen Wurzeln oft keinen Zugang zu Kapital gebe. Keskin forderte eine veränderte Vergabepraxis der Förderbanken, die überproportional viele Anträge von Migranten ablehnten.
In der CDU gibt es einzelne Stimmen, die für Bewegung werben. Die CSU aber stemmt sich dagegen. Merkel will sich mit der unliebsamen Debatte beim Integrationsgipfel nicht lange aufhalten. Erfahrungsgemäß entscheide sich die Mehrheit derer, die vor der Wahl stünden, für den deutschen Pass, sagt sie. Und was zähle, sei ohnehin die Teilhabe im Land, und nicht die Frage nach der Staatsbürgerschaft.
Die Debatte über Integration habe sich verändert, erklärt Merkel zum Schluss. Sie könne sich durchaus vorstellen, dass sich manche Migranten fragten: "Was soll ich jetzt noch machen? Ich habe Deutsch gelernt, ich habe einen deutschen Pass (...), was muss ich tun, damit ich als integriert wahrgenommen werde?" Es gehe nicht mehr um Defizite bei der Integration, sondern um Partizipation, Teilhabe, Respekt. Vielleicht sei es sinnvoll, die Veranstaltung in der nächsten Legislaturperiode umzubenennen, sagt sie. Ein "Partizipationsgipfel" also? Zumindest in Sachen Namensgebung liefert Merkel einen konkreten Vorschlag.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts