Ausländische Experten für Deutschland Merkel will Hürden absenken
22.06.2011, 19:28 UhrDie Bundesregierung will auf den Fachkräftemangel in Deutschland reagieren, indem sie die Hürden für ausländische Experten absenkt. Zunächst sollen vor allem Ingenieure und Ärzte gezielt angeworben werden. Regierung, Wirtschaft und Unternehmen sind sich indes einig, dass der Bedarf an Fachkräften vorrangig aus dem Inland gedeckt werden soll.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat weitere Erleichterungen für den Zuzug angekündigt. "Wir werden weitere Schritte folgen lassen, um gezielte Zuwanderung zu ermöglichen", sagte die CDU-Chefin zu Beginn eines Spitzentreffens mit Vertretern von Wirtschaft und Gewerkschaften auf Schloss Meseberg. Bei dem Gespräch ging es darum, wie der steigende Fachkräftebedarf gedeckt werden kann.
Am Vormittag hatte das Bundeskabinett ein Fachkräftekonzept beschlossen. Weil besonders viele Stellen für Ärzte und Ingenieure für Maschinen- und Fahrzeugbau sowie für Elektrotechnik derzeit nicht besetzt werden können, sollen diese künftig unbürokratisch auch von außerhalb der EU angeworben werden können. Umstritten in der Koalition ist, ob die Einkommensgrenze für ausländische Experten von 66.000 Euro auf etwa 40.000 Euro reduziert wird.
Neuer Rekord im Fachkräftemangel
In einer gemeinsamen Erklärung zeigten sich alle Beteiligten des Meseberger Treffens einig, dass die Weichen heute gestellt werden müssten, damit es in Zukunft ausreichend Fachkräfte für nachhaltiges Wirtschaftswachstum gebe. An dem Gespräch nahmen neben Merkel sieben Bundesminister teil. Die Gewerkschaftsdelegation führte DGB-Chef Michael Sommer an, Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt stand an der Spitze der Wirtschaftsverbände.
Der Fachkräftemangel vor allem in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik hat nach Berechnungen der Wirtschaft im Mai einen Rekord erreicht. Es fehlten mehr als 150.000 Fachkräfte in diesem Bereich, heißt es. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) sieht einen Mangel vor allem im Ingenieursbereich und bei Ärzten sowie in den Gesundheits- und Pflegeberufen. Dagegen hieß es noch im November vergangenen Jahres vom , dass es überhaupt keinen Fachkräftemangel gebe.

Die große Runde traf sich im Gästehaus der Bundesregierung.
(Foto: dpa)
"Wir laden Fachkräfte gerade auch aus dem europäischen Ausland ein, bei uns tätig zu sein", sagte Merkel. Sie wies darauf hin, dass wegen der demografischen Entwicklung in den nächsten 15 Jahren die Zahl der Erwerbspersonen um rund 6,5 Millionen abnehmen werde. In einem ersten Schritt habe die Bundesregierung daher beschlossen, die Vorrangprüfung für Ärzte und Ingenieure zweier Fachrichtungen von außerhalb der EU fallen zu lassen. Erhöht werden sollen zunächst aber die Arbeitsmarktchancen von Jugendlichen, Frauen und Älteren, etwa durch eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Merkel wie auch Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt und DGB-Chef Michael Sommer betonten nach dem Treffen, dass sich Regierung und Sozialpartner gemeinsam bemühen wollten, die Fachkräftebasis zu sichern.
Einheimische Experten haben Vorrang
Vizekanzler und Wirtschaftsminister Philipp Rösler von der FDP sagte, Deutschland brauche in jedem Fall qualifizierte Zuwanderung. "Ich bin sicher, dass wir auch über den Tag heute hinaus weitere Maßnahmen auf den Weg bringen, um dem Fachkräftemangel in Deutschland erfolgreich begegnen zu können." Das sei nötig, um das derzeitige Wachstum verstetigen zu können.
Einig sind sich alle Beteiligten, dass der Bedarf an Fachkräften vorrangig mit einheimischen Arbeitskräften gedeckt werden soll. "Notwendig ist ein Konzept, das in erster Linie die inländischen Potenziale bestmöglich ausschöpft" und präventiv fördert, heißt es in der gemeinsamen Erklärung für das Meseberger Spitzentreffen. Darin wird das Thema Zuwanderung als ergänzende Maßnahme angeführt. "Das Konzept muss gleichzeitig und unterstützend die Potenziale von Zuwanderung in den Blick nehmen." Im Ausland solle dafür verstärkt für Deutschland als Arbeits-, Ausbildungs- und Studienort geworben werden, heißt es weiter. Es sollten bürokratische Hindernisse für Zuwanderung abgebaut und eine Willkommenskultur gefördert werden.
"Unqualifizierte brauchen wir nicht"
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen stellte bei n-tv klar, dass "Spitzenleute hier willkommen sind, ganz egal, woher sie kommen." Der Schwerpunkt ihres Fachkräftekonzepts liege auf der qualifizierten Zuwanderung. Das heißt, wir brauchen Spitzenleute hier für Spitzenleistung in Deutschland." Sie machte zugleich deutlich, dass auch in Deutschland ein großes Potential gut ausgebildeter Arbeitskräfte schlummere. "Wir haben viele gut qualifizierte Frauen, die würden gerne wieder einsteigen in den Beruf oder sie würden gerne mehr als Teilzeit arbeiten." Das große Thema sei die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, familienfreundliche Arbeitsplätze, Ganztagsschulen, Ganztagskindergärten.
Von der Leyen betonte, dass es vor allem um Spitzenleute gehe. "Unqualifizierte brauchen wir nicht, wir haben genug damit zu tun, unsere Geringqualifizierten weiterzubilden", sagte die CDU-Politikerin. Wohlwollend äußerte sich von der Leyen zur Forderung von Wirtschaftsverbänden und der FDP, die Zuwanderung nach bestimmten Kriterien wie etwa in Kanada zu steuern. "Teile solch eines Punktesystems sind klug, nämlich die klare Ansage, was jemand, der ins Land kommen will, können muss, damit er zu uns passt." Wie die FDP plädiert von der Leyen für eine niedrigere Gehaltsschwelle von etwa 40.000 Euro für ausländische Experten.
Kritik an "Billig-Hochqualifizierten"
Kritisch äußerte sich DGB-Chef Sommer zu einer niedrigeren Einkommensgrenze. "Die Unternehmen wollen Billig-Hochqualifizierte - gute Qualifikation erwünscht, aber schlecht bezahlt. Das ist eine Schande", sagt er der "Passauer Neuen Presse". Zudem forderte Sommer, dass zunächst inländische und europäische Potenziale ausgeschöpft werden sollten, bevor die Unternehmen außerhalb Europas suchten. Es müsse mehr Geld in die Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen und Alleinerziehenden investiert werden.
Verdi-Chef Frank Bsirske forderte Maßnahmen besonders für die Pflegebranche: "Gerade in der Alten- und Krankenpflege ist der Mangel an Fachpersonal derzeit besonders akut", erklärte er in der "Rheinischen Post".
Arbeitgeber-Präsident Hundt sagte: "Die Ausschöpfung des inländischen Potenzials sollte nicht gegen eine geregelte Zuwanderung ausgespielt werden." Fachkräftesicherung erfordere auch gesteuerte Zuwanderung: "Es geht der Wirtschaft dabei nicht um billige Arbeitskräfte aus dem Ausland." SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte, Fachkräfte in Deutschland zu fördern, und eine "klare und mutige Zuwanderungspolitik".
Quelle: ntv.de, ghö/dpa/rts