Debatte nach Migrationsvotum Merz: "Es wird nicht mehr taktiert, es muss jetzt gehandelt werden"
30.01.2025, 07:17 Uhr Artikel anhören
Merz schließt eine Koalition mit der AfD weiter aus.
(Foto: picture alliance/dpa)
Im Bundestag verhilft die AfD der Union zu einer Mehrheit bei einem Antrag zur Migrationspolitik. Bundeskanzler Scholz spricht von einem "Tabubruch". Der CDU-Chef verteidigt sich und schließt eine Koalition mit den Rechtsaußen weiter aus.
Freude ist auf den Gesichtern vieler Abgeordneter der Union am Mittwochnachmittag nicht zu sehen - obwohl eine Mehrheit im Bundestag für den Antrag für einen verschärften Kurs in der Migrationspolitik stimmte. Auch nicht bei Thorsten Frei, dem ersten Parlamentarischen Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion.
Geschickt drückt er sich am Mittwochabend bei Markus Lanz im ZDF vor der Frage, ob die Union in eine Falle der AfD getappt sei. Dreimal versucht es Lanz. Denn noch im vergangenen November hatte CDU-Fraktionschef Merz versprochen, keine Anträge im Bundestag zu stellen, die nur mit den Stimmen der in Teilen rechtsextremen AfD eine Mehrheit bekommen könnten. Seit Mittwoch gilt das Versprechen offensichtlich nicht mehr.
"Wir haben eine andere Situation. In der Zwischenzeit ist Magdeburg und Aschaffenburg passiert", sagt Thorsten Frei bei Markus Lanz im ZDF. "Wenn alles gesagt ist, wenn SPD und Grüne auf nichts eingehen, dann brauchen wir auch nicht länger an einem Tisch zu sitzen, wo nicht gesprochen wird."
Scholz: "Das ist ein Tabubruch"
Scharfe Kritik kommt aus einer der Regierungsparteien. "Wir alle haben verloren", sagt Bundeskanzler Olaf Scholz bei Sandra Maischberger in der ARD. "Denn das ist ein Tabubruch, wahrscheinlich ein ganz bedeutender Tag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland", so der SPD-Politiker. "Ich hoffe, er wird sich nicht fortsetzen in der gleichen Richtung, denn das war ein Konsens, den wir in der ganzen Nachkriegsgeschichte, in der ganzen Zeit, wo wir die Demokratie in Deutschland wiedererobert haben, hatten: Den Konsens nämlich, dass es keine Zusammenarbeit der demokratischen Parteien mit der extremen Rechten gibt. Heute ist das passiert."
Scholz ist sicher: Merz und die Union hätten nicht mit der AfD stimmen müssen. Während der Ampel-Koalition habe es Gespräche gegeben, bei denen Merz immer gleich vom Verhandlungstisch aufgestanden sei. "Diesmal hat er gleich eröffnet. Er hat einen Vorschlag, dem kann man zustimmen, und wer ihm da zustimmt, ist ihm sowieso egal. Das war die Eröffnung letzte Woche am Donnerstag", so Scholz. "Und damit war alles klar. Es ist bewusst kalkuliert hingenommen worden, dass es eine Zustimmung von dort gibt, also von ganz rechts. Und das die von der SPD und von mir nicht zu bekommen war, weil da auch rechtswidrige, verfassungswidrige, europarechtswidrige Teile drin sind, war sowieso klar", erläutert der Bundeskanzler.
"Niederträchtig und infam" nennt Merz während der Bundestagsdebatte eine Bemerkung in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers. Scholz hatte gesagt, er traue Merz nach der Wahl eine Koalition mit der AfD zu. Merz habe immer wieder erklärt, dass das, was am Nachmittag im Bundestag passiert sei, nicht geschehen würde, so Scholz bei Maischberger. "Deshalb, finde ich, kann ich ihm nicht mehr trauen, was ich bis vor einer Woche getan habe", so Scholz weiter.
Scharfe Vorwürfe gegen die Union
Die Union belüge das Volk, wirft die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch dem CDU-Politiker bei Lanz vor: "Mit rot und grün werden Sie niemals Mehrheiten gegen diesen Massenmigrationswahnsinn herstellen, und Sie wissen es. Und trotzdem machen Sie Wahlkampf und sagen, wir werden das Problem lösen, aber wir machen es nicht zusammen mit der AfD. Sie lügen den Menschen vor, Sie könnten das Problem ohne die AfD lösen. Und Sie können es nicht."
Und dann macht die AfD-Politikerin ihrem CDU-Kollegen ein Angebot: "Wir erklären den Menschen, was möglich ist. Und die Menschen haben das heute gesehen. Die Rückmeldungen, die wir bekommen, sind die von großer Erleichterung, denn man könnte das machen, was erforderlich ist, und man kann es sogar machen, ohne vorher viel darüber zu sprechen. Die Union braucht nur Anträge zu stellen, dann kann das beschlossen werden." Klartext: Die AfD könnte der Union zu Mehrheiten verhelfen, auch nach der Bundestagswahl.
CDU-Politiker Frei schließt unterdessen eine Koalition mit der AfD aus. Zu unterschiedlich seien die Ansichten der Parteien. Eine Koalition mit "Putin-Freunden", die die Europäische Union auflösen und den Euro abschaffen wollten, sei mit der Union unmöglich.
Scholz will nicht verhandeln
Glaubt man Bundeskanzler Scholz, ist der Vertrauensverlust bei den Sozialdemokraten riesengroß. Eine mögliche Koalitionsbildung zwischen Union und SPD könnte sehr schwierig werden. Doch darüber will Frei nicht sprechen: "Wir hoffen, dass wir ein starkes Wahlergebnis bekommen. Über die Brücke machen wir uns erst Gedanken, wenn wir an der Brücke stehen."
Dabei könnte es einen Weg geben, um die Wogen wieder ein wenig zu glätten. Am Freitag stimmt der Bundestag über einen Gesetzentwurf ab, der zum Beispiel den Familiennachzug zu Ausländern mit eingeschränktem Schutzstatus stoppen soll. Noch während der Bundestagsdebatte hatte CDU-Chef Merz der SPD Verhandlungen über das Gesetz angeboten, die er bisher ausgeschlossen hatte. Die SPD-Fraktion hat sich noch nicht dazu geäußert. Scholz schon. Er lehnt Verhandlungen ab. Das Gesetz werde ohnehin den Bundesrat nicht passieren, sagt er, und es verstoße teilweise gegen das Grundgesetz.
Sicher ist sich Scholz: Das Verhalten der Union am Mittwoch werde sich auf den Wahlausgang auswirken. "Natürlich spielt es eine Rolle, ob man befürchten muss, dass es hinterher eine schwarz-blaue Koalition, eine schwarz-blaue Mehrheit gibt im Bundestag, die dann Konsequenzen hat", so der Kanzler.
Und Merz? Der erklärt am Mittwochabend in den ARD-Tagesthemen zur Gesetzesvorlage am Freitag: "Es wird nicht mehr taktiert, es muss jetzt gehandelt werden." Von Verhandlungen ist nicht mehr die Rede. Dennoch wünscht er sich für die Abstimmung am Freitag gemeinsame Lösungen mit SPD und Grünen. Und zur Koalitionsfrage: "Es wird keine Zusammenarbeit mit mir und der AfD, mit der CDU und der AfD geben."
Quelle: ntv.de