Merz erklärt Zusagen an Ukraine"Wir würden auch russische Übergriffe und Angriffe erwidern"
Von Sebastian Huld
Einen Tag nach dem bemerkenswerten Ukraine-Gipfel in Berlin ordnet Kanzler Merz die Ergebnisse in einem ZDF-Interview ein. Merz bremst Erwartungen an einen schnellen Frieden und sieht dennoch substanzielle Fortschritte - die Deutschland gefährlich in die Pflicht nehmen.
Eines macht Bundeskanzler Friedrich Merz gleich eingangs deutlich: An Tag eins nach dem Ukraine-Gipfel in Berlin ist ein Frieden in der Ukraine weiterhin nicht absehbar. "Sie haben es an der Reaktion von Russland gesehen: Es wird noch kein Ende dieses Krieges bedeuten", sagt Merz am Dienstagabend in der ZDF-Sendung "Was nun?" über das Einigungspapier des Gipfels. Die ersten Reaktionen aus Moskau fielen skeptisch aus, der Kreml wollte aber zumindest prüfen, was denn da genau in der deutschen Hauptstadt besprochen worden ist am Sonntag und Montag unter der Ägide des Bundeskanzlers.
"Wir sind einen deutlichen Schritt weitergekommen, und zwar im Hinblick auf die Bereitschaft der Amerikaner, mit den Europäern nach einem Waffenstillstand Sicherheitsgarantien zu geben", erläutert Merz den aus seiner Sicht größten Erfolg. "Wir hatten während des Abendessens eine längere Zeit den amerikanischen Präsidenten am Telefon, der das auch von sich aus bestätigt hat: Wir Amerikaner und Europäer zusammen sind bereit der Ukraine Sicherheitsgarantien zu geben."
An beiden Tagen hatten der US-Sondergesandte Steve Witkoff und der Schwiegersohn des US-Präsidenten, Jared Kushner, mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dessen Delegation verhandelt. Am Abend kamen neun europäische Staats- und Regierungschefs hinzu sowie Nato-Chef Mark Rutte und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. In diesem Rahmen hatte es das Telefonat zwischen Berlin und Washington gegeben.
Merz beschreibt robusten Einsatz in Ukraine
Merz betonte, die Sicherheitsgarantien seien schriftlich vereinbart und in ihrer Qualität "ähnlich" dem Beistandsversprechen, das sich die Nato-Mitglieder nach Artikel 5 des Allianzvertrags geben. Eine Mitgliedschaft der Ukraine ist vor allem wegen Russlands ablehnender Haltung vom Tisch. Die Erklärung von Berlin enthielt zudem die Zusage, dass die USA die Überwachung eines Waffenstillstands anführen wollten, während mehrere europäische Staaten die Bereitschaft zur Entsendung einer multinationalen Truppe zum Schutz der Ukraine bekundeten.
Merz ist sehr direkt dazu, was das bedeuten würde: "Wir werden in diesem Fall zum Beispiel eine entmilitarisierte Zone zwischen den Kriegsparteien absichern und - sehr konkret - wir würden auch russische Übergriffe und Angriffe erwidern." Merz betont die Wichtigkeit einer entmilitarisierten Zone, in der sich keine der Kriegsparteien bewegen dürfe.
Ausgerechnet an dieser Stelle gibt es keine weiteren Erläuterungen. Da dieses "wir" die Bundeswehr und eine Entsendung auch die Bereitschaft zu einer schlimmstenfalls direkten Konfrontation Deutschlands mit Russland umfasst, wäre es für sich schon eine ganze Sendung wert. Oder mehrere.
Merz hat offenbar konkrete Ideen im Kopf zu Europas militärischem Beitrag, etwa "dass der Luftraum über der Ukraine geschützt wird". Das sei überfällig, so Merz, "Aber das können wir ja jetzt nachholen". Was Merz da exakt vorschwebt, würde man gerne genauer wissen. Sehr viele Bomben und Marschflugkörper feuern russische Flugzeuge über russischem Territorium in Richtung Ukraine ab.
Selenskyj zu Gebietsverzicht "bereit"
Allerdings ist das alles eben auch "Zukunftsmusik", wie es Merz selbst formuliert. Erst einmal soll die US-Seite die Erklärung von Berlin am Wochenende in Moskau vorstellen. Diese enthält ja auch ein Lockmittel: die mögliche Abtretung ukrainischen Territoriums an Russland. "De facto erkennt er an, dass dies jetzt zunächst erstmal russisches Territorium ist, dazu ist er bereit", sagt Merz über Selenskyj und die von Russland besetzten Gebiete. Moskau verlangt aber mehr als das, will auch die noch nicht eroberten Teile des Donbass für sich haben, was für Kiew unannehmbar ist - noch.
Merz setzt erkennbar darauf, dass die neuen Sicherheitsgarantien Selenskyj auch größeres Zugehen auf Moskau ermöglichen, so ungerecht das auch ist. "Noch einmal auf das Wort Russlands zu vertrauen: Das kann man den Ukrainern nicht zumuten", sagt Merz. Sicherheitsgarantien seien "unverzichtbar" für die Ukraine und für den Rest des von Russland bedrohten Europas.
Allerdings ist gerade die Stationierung westeuropäischer oder Nato-Truppen in der Ukraine bislang ebenfalls ein rotes Tuch für Russlands Machthaber Wladimir Putin. Merz entgegnet im ZDF: "Putin hat zu vielem Njet gesagt, er wird irgendwann auch mal ja sagen müssen, wenn es darum geht, den Krieg zu beenden" Bis dahin gelte es, Europa zusammenzuführen und den Druck auf Russland zu erhöhen. Europas Einigkeit herbeizuführen, das macht Merz gar nicht schlecht, findet Merz. "Ich glaube, das habe ich auch in den letzten Wochen mit einigem Erfolg getan", sagt er.
Merz will Europa "springen" sehen
Das Echo von Medien und Experten auf die diplomatischen Tage von Berlin fiel tatsächlich positiv aus für den innenpolitisch so unter Druck stehenden deutschen Kanzler. Der Applaus dürfte noch einmal deutlich anschwellen, sollte Merz sich mit den Europäern auch auf eine Nutzung eingefrorener russischer Vermögen für die Finanzierung der Ukraine verständigen können. Die Europäer sollen gemeinsam Belgien absichern, wo allein mehr als 200 Milliarden Dollar aus Russland eingefroren sind. Es geht darum, dass die EU-Staaten gemeinsam einspringen, müsste das an die Ukraine geliehene Geld doch nach Moskau zurücküberwiesen werden.
"Es gibt in ganz Europa Vorbehalte", sagt Merz über seinen Plan. Die Ukraine sei auf die Co-Finanzierung durch Europa angewiesen, und das noch mindestens ein oder zwei Jahre. "Die Ukraine ist für das erste Quartal finanziert, aber für die Zeit danach wird es kritisch", blickt Merz aufs kommende Jahr. Fließt dagegen das russische Geld nun auf Umwegen an Kiew, wäre das ein kraftvolles Signal. Das Land wäre zumindest nicht gezwungen, wegen leerer Kassen vor dem Aggressor zu kapitulieren.
Der Kanzler wirbt mit einiger Dramatik für eine Entscheidung in seinem Sinne, absehbar auch am Donnerstag und Freitag beim EU-Rat in Brüssel. Dann nämlich soll eine Entscheidung fallen. "Wenn wir jetzt nicht springen und die Entscheidungen treffen, die wir treffen können, um diesem Vormarsch der russischen Armee Einhalt zu gebieten: Wann denn dann?", fragt Merz. Er selbst beziffert die Chancen mit fünfzig zu fünfzig. Das ist nicht viel, aber vielleicht höher als die Aussichten vor dem Treffen in Berlin, Europäer, Amerikaner und Ukrainer noch einmal auf eine gemeinsame Haltung zu verpflichten. Vielleicht also hat Merz ja gerade einen Lauf.