Protest gegen Rechtsextremismus Merz warnt vor "Nazi-Keule" gegen die AfD
22.01.2024, 08:17 Uhr Artikel anhören
Hunderttausende machen sich am Wochenende bundesweit gegen Rechtsextremismus stark. Der große Protest beeindruckt die Politik. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Schwesig sieht die AfD mit bislang ungekannter Ablehnung konfrontiert. CDU-Chef Merz dagegen mahnt.
Das große Protest-Wochenende mit Hunderttausenden Teilnehmern in ganz Deutschland ist vorbei, fast jedenfalls: Auch am Montag wollen in einigen Städten viele Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen. Angemeldet sind Demonstrationen etwa in Bayreuth, im sächsischen Freiberg und im ostwestfälischen Paderborn. Der Soziologe Klaus Hurrelmann wertet die große Teilnahmebereitschaft als Beleg für einen Stimmungswandel in der Bevölkerung: "Die Proteste gegen rechts wirken auf mich wie ein Befreiungsschlag von Gruppen, die wegen Corona und der vielen anderen Herausforderungen sehr lange mit sich selbst beschäftigt waren und fast übersehen hätten, was alles auf dem Spiel steht", sagte er der "Augsburger Allgemeinen".
In München musste der Protest am Sonntag wegen zu großen Andrangs abgebrochen werden, die Polizei sprach von rund 100.000 Teilnehmern. In Berlin kamen nach Schätzungen der Polizei ebenfalls bis zu 100.000 Menschen zusammen. Auch in Städten wie Frankfurt, Hannover, Köln, Bremen und Leipzig gingen Zehntausende auf die Straße. In kleineren Städten wie Erfurt machten sich nach Angaben der Polizei 6000 Menschen gegen rechts stark, in Kassel 12.000, in Halle waren es 16.000.
"Dürfen AfD-Wähler nicht als Nazis beschimpfen"
Politiker zeigten sich beeindruckt von der großen Zahl an Demonstrierenden. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nannte die Aktionen "eine beeindruckende Demonstration einer selbstbewussten Zivilgesellschaft". Es sei wichtig, dass der Schwung der letzten Tage nicht abebbe, sagte Kühnert der "Rheinischen Post" aus Düsseldorf. "Aus den vielen Kundgebungen muss ein noch viel nachhaltigerer Einsatz für unsere Demokratie werden."
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer nannte die Proteste "bewegend". Die Bundesregierung müsse handeln, forderte der CDU-Politiker im "Bericht aus Berlin" der ARD. "Wir alle haben eine staatsbürgerliche Verantwortung, mitzutun." Er sei überzeugt, dass es gelingen könne, "diesem Land weitere Jahrzehnte von Stabilität und Wohlstand zu geben".
Auch CDU Friedrich Merz freute sich über die bundesweiten Demonstrationen, warnte aber gleichzeitig davor, die AfD wie NRW-Ministerpräsident und Parteifreund Hendrik Wüst (CDU) als "Nazi-Partei" abzutun. "Natürlich gibt es da richtige Nationalsozialisten", sagte Merz am Abend in der ARD-Sendung Caren Miosga. "Aber deswegen sind die Wählerinnen und Wähler dieser Partei nicht alles Nazis. Und wenn wir die zurückgewinnen wollen für die demokratischen Parteien unseres Landes, dann dürfen wir sie nicht beschimpfen."
Wichtiger sei, die Probleme im Land zu lösen, dann werde der Zuspruch für die Rechtspartei wieder kleiner. "Die Nazi-Keule, die bringt uns nicht weiter", sagte Merz. Er erneuerte die Zusage, mit der AfD nicht politisch zusammenarbeiten zu wollen, räumte aber ein, dass eine Abgrenzung auf kommunaler Ebene manchmal schwierig sei - dies gelte aber für alle Parteien.
Schwesig sieht AfD unter Druck
Auslöser für die Proteste sind die Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen von Rechtsextremisten am 25. November, an dem AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion in Potsdam teilgenommen hatten. Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte bei dem Treffen nach eigenen Angaben über "Remigration" gesprochen. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig erklärte im Berliner "Tagesspiegel", sie habe den Eindruck, dass die AfD durch die Demonstrationen unter Druck gerate. "Wir erleben etwas ganz Neues: Einen massenhaften Protest gegen eine in Teilen rechtsextreme Partei. Die vielen Demos machen den Demokraten Mut."
Ein Teil der Bevölkerung teile Inhalte und Parolen der AfD, er sei auch mit einer besseren Arbeit der Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP nicht zu überzeugen, sagte Schwesig. "Entscheidend aber ist, wie stark die AfD Protestwähler für sich gewinnt. Genau diese Wähler wollen und können wir zurückgewinnen", sagte sie. Geeignet dazu seien "Bürgerdialoge, Investitionen in Infrastruktur, Gespräche auf Augenhöhe statt Entscheidungen über die Köpfe hinweg".
Quelle: ntv.de, chr/dpa/rts