
Seit Monaten kommen wieder mehr Migranten mit Booten über das Mittelmeer - eine lebensgefährliche Fahrt.
(Foto: AP)
Seit Monaten steigt in Italien die Zahl der Migranten. Die italienischen Geheimdienste schließen nicht aus, dass dahinter der Kreml steckt - mit dem Ziel, die anstehenden Wahlen im September zu beeinflussen.
"Libyen ist eine auf die italienischen Parlamentswahlen gerichtete Kanone", zitierte die Tageszeitung "La Repubblica" unlängst eine anonyme Quelle des italienischen Geheimdienstes. Die Kanone steht als Metapher für die seit Jahresbeginn zunehmende Zahl von Migranten, die an den süditalienischen Küsten stranden. Vergangenes Jahr waren es insgesamt knapp 28.000, dieses Jahr sind es schon jetzt 39.000. Am 25. September wählen die Italiener ein neues Parlament, die Migranten werden zum Wahlkampfthema.
Der Großteil von ihnen kommt auf der sizilianischen Insel Lampedusa an, sie ist der libyschen Küste am nächsten. Das dortige Auffanglager verfügt über 350 Plätze. In den vergangenen Wochen waren es aber manchmal bis zu 2000 Migranten, die dort ausharren mussten, bevor sie anderswo untergebracht werden konnten. Warum die Zahl so plötzlich und so drastisch gestiegen ist, darüber gibt es einige Spekulationen. Indizien weisen darauf hin, dass der Kreml seine Finger im Spiel hat.
Die meisten Migranten stechen nach Aussage des Geheimdienstinformanten vom östlichen Küstenabschnitt Libyens ins Meer. In der Kyrenaika-Region hat nicht nur die von der internationalen Staatengemeinschaft nicht anerkannte Tobruk-Regierung ihr Hauptquartier, sondern auch der rebellische Befehlshaber Chalifa Haftar. Er genießt seit Jahren die Unterstützung Russlands. Vier Stützpunkte soll es in der Region geben, in denen insgesamt 2000 Söldner der von Russland finanzierten Wagner-Gruppe stationiert sind.
Ukraine-Krieg führt zu Unruhen in Libyen
Der Kreml könnte Haftar dazu ermutigt haben, die Menschen zu 500, 600 auf schrottreife Schiffe zu verfrachten und auf hohe See zu schicken. "Die Vermutung, dass er die Migranten nutzt, um die EU zu destabilisieren, ist mehr als berechtigt", sagt der ehemalige italienische Innenminister Marco Minniti im Gespräch mit ntv.de. Heute ist Minniti Präsident der Stiftung Med-Or, die sich für Kooperationen im Bildungs-, Kultur- und Unternehmensbereich mit Partnern im mittleren Osten und Nordafrika einsetzt.
Ähnliche Befürchtungen wie Minniti äußerte vor Wochen schon Salvatore Vella, Staatsanwalt in der sizilianischen Stadt Agrigent, gegenüber Lokaljournalisten. "Wie immer im Sommer versuchen bei schönem Wetter mehr Menschen die Überfahrt. Was wir jetzt aber beobachten, ist, dass der Krieg in der Ukraine zu tiefgreifenden politischen Unruhen in Libyen führen könnte." Russland verfolge in Nordafrika geopolitische Interessen und die Migranten könnten ein Druckmittel gegen den Westen darstellen.
Putin würde Rechts-Mitte-Regierung begrüßen
Minniti hält die Strategie Russlands aber für weitaus gewiefter und langfristiger. "Blicken wir auf die weltweiten Krisen, die der Krieg in der Ukraine ausgelöst hat", sagt er. "Die Energiekrise einerseits und die Ernährungskrise andererseits könnten eine dramatische humanitäre Krise auslösen." Dies könne nicht nur zu politischer Instabilität und gesellschaftlichen Unruhen in Afrika, sondern auch im Westen führen.
Minniti erinnert an ein Interview des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit der "Financial Times" kurz vor dem G20-Gipfel 2019 in der japanischen Stadt Osaka. Darin sagte er, der Liberalismus habe ausgedient, die Bürger würden sich vermehrt gegen Migration, offene Grenzen und eine multikulturelle Gesellschaft stellen. Eine Vision, die er unlängst anhand eines an die Medien und Staatsapparate verteilten Strategiepapiers bestätigte. Darin geht es auch um den gottlosen Westen.
Der Sieg einer Rechts-Mitte-Koalition in Italien würde Putins langfristiger Strategie zugutekommen. Im nationalpopulistischen Lega-Chef Matteo Salvini weiß er einen Verbündeten. Wie auf Zuruf hat Salvini das Thema Migranten wieder zu einem seiner Topthemen gemacht. Vergangene Woche flog er selbst nach Lampedusa, quartierte sich in Silvio Berlusconis Villa ein und versprach, dass er bei einem Wahlsieg sofort dafür sorgen werde, die Küsten Italiens wieder für Migranten dichtzumachen.
Quelle: ntv.de