Politik

"Das Risiko ist sehr hoch" NATO rechnet mit Großangriff Russlands

Im ukrainischen Lemberg kündigen Demonstranten ihren Widerstand gegen einen russischen Einmarsch an.

Im ukrainischen Lemberg kündigen Demonstranten ihren Widerstand gegen einen russischen Einmarsch an.

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Die NATO rechnet mit einem Angriff der russischen Armee auf die Ukraine. "Alle Zeichen" deuteten darauf hin, sagt Generalsekretär Stoltenberg. Das sind vor allem Truppenbewegungen. Aber auch, dass Russland mit dem Narrativ eines "Genozid" versucht, einen Vorwand für einen Einmarsch zu schaffen.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg befürchtet einen russischen Großangriff auf die Ukraine. "Das Risiko eines Angriffs ist sehr hoch", sagte Stoltenberg am Abend in der ARD. "Alle Zeichen deuten darauf hin, dass Russland einen vollständigen Angriff auf die Ukraine plant." Auch nach Einschätzung von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat Russland alle Vorbereitungen getroffen, um angreifen zu können. "Wir sind gut beraten, vorbereitet zu sein", sagte die SPD-Politikerin im ZDF.

Stoltenberg begründete die Einschätzung mit dem "fortgesetzten militärischen Aufmarsch" Russlands an der Grenze zur Ukraine. "Es werden keine Truppen zurückgezogen, wie Russland das angibt, sondern es kommen neue Truppen hinzu", sagte der NATO-Chef. Darüber hinaus gebe es Anzeichen, dass "Russland sich darauf vorbereitet, einen Vorwand für einen Angriff auf die Ukraine zu schaffen".

Die zunehmenden Verstöße gegen die Waffenruhe in der Ostukraine, die "falschen Anschuldigungen" eines "Genozids" im Donbass und die Evakuierung der Bevölkerung aus den von den Separatisten kontrollierten Gebieten seien "beunruhigende Zeichen". Dennoch müsse weiter versucht werden, eine politische Lösung für den Konflikt zu finden, betonte Stoltenberg. "Wir wollen Russland dazu bringen, den Kurs zu ändern und sich mit uns zusammenzusetzen."

Ein massiver russischer Truppenaufmarsch mit nach westlichen Angaben inzwischen rund 150.000 Soldaten schürt seit Wochen Befürchtungen vor einem Einmarsch Russlands in die Ukraine. US-Präsident Joe Biden hatte am Freitag gesagt, er rechne mit einem Angriff "in den kommenden Tagen".

NATO sieht keinen baldigen Ukraine-Beitritt

Die NATO zog am Samstag aus Sicherheitsgründen ihre Mitarbeiter aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew ab. Sie werden ins westukrainische Lemberg (Lwiw) und nach Brüssel verlegt. Die Sicherheit der Mitarbeiter habe "oberste Priorität", erklärte ein Sprecher. Zuvor hatten bereits mehrere westliche Länder ihre Diplomaten aus der ukrainischen Hauptstadt abgezogen. Auch Deutschland reduzierte sein Botschaftspersonal in Kiew. Die Ukraine ist kein NATO-Mitglied, doch die Allianz unterhält seit Ende der 1990er-Jahre ein Verbindungsbüro sowie ein Informations- und Dokumentationszentrum in Kiew.

Auf die Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der bei der Münchner Sicherheitskonferenz einen "klaren" Zeitrahmen für einen NATO-Beitritt seines Landes verlangt hatte, reagierte Stoltenberg in dem ARD-Interview zurückhaltend. Die NATO unterstütze die Ukraine bei Reformen, um sie einer Mitgliedschaft in dem Bündnis näherzubringen. Es sei aber nie ein "Zeitrahmen" in Aussicht gestellt worden, sagte Stoltenberg. Es gehe in der aktuellen Krise auch weniger "um die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO", sondern darum, "ob wir es akzeptieren, dass eine Großmacht wie Russland versucht, einem anderen Land zu diktieren, was es tun kann und nicht tun kann, mit Gewalt".

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht begrüßte die Entscheidung der NATO, die Bereitschaftszeiten für mehrere Zehntausend Soldaten der Militärallianz drastisch zu verkürzen. Auf die Frage, ob denn auch ein russischer Angriff auf NATO-Mitglieder, etwa die baltischen Staaten oder Polen, zu befürchten sei, sagte die Ministerin: "Die Bedrohung ist sehr groß in dieser Region." Und die NATO-Verbündeten hätten ein Anrecht, "entsprechend gesichert zu sein".

Republikaner Banks wirft Deutschland "Kapitulation" vor

Als Demonstration der Stärke hatte Russland am Samstag atomwaffenfähige Raketen getestet. Angesichts der Zuspitzung forderte der US-Kongressabgeordnete Jim Banks Deutschland auf, die Gas-Pipeline Nord Stream 2 sofort zu stoppen und Waffen an die Ukraine zu liefern. "Deutschlands Kapitulation vor Russland bei Nord Stream und anderen Themen ist etwas, bei dem sich der Rest der Welt - vor allem die Amerikaner - an den Kopf fassen", sagte der oppositionelle Republikaner im US-Repräsentantenhaus der Deutschen Presse-Agentur am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. Viele Amerikaner zweifelten Deutschlands Verlässlichkeit an, sagte Banks. Er forderte konkret, dass Deutschland die Waffen an die Ukraine liefert, die die Regierung in Kiew fordert. Die USA haben der Ukraine seit Jahren immer wieder schwere Waffen zur Verfügung gestellt. Deutschland schließt das kategorisch aus.

Mehr zum Thema

US-Außenminister Tony Blinken äußerte sich verständnislos über die Motive von Kremlchef Wladimir Putin. Alles, was Putin angeblich verhindern wollte, habe er beschleunigt, sagte Blinken der "Süddeutschen Zeitung". So habe sich etwa die Mehrheit der Ukrainer von Russland abgewendet und befürworte nun eine NATO-Mitgliedschaft. Und auch die Stärkung der NATO sei allein Ergebnis der "aggressiven Maßnahmen" Russlands.

Blinken warnte Moskau eindringlich vor einem Einmarsch in die Ukraine und kündigte für diesen Fall erneut "viele schwere Sanktionen" gegen Russland an. Zugleich erneuerte er aber auch sein Verhandlungsangebot. Er werde sich, wenn Russland nicht vorher mit dem Krieg beginne, am Mittwoch mit Russlands Außenminister Sergei Lawrow in Europa treffen. Er gehe aber davon aus, dass Putin seine Entscheidung für einen Krieg schon getroffen habe.

Quelle: ntv.de, ino/AFP/dpa

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