
"So viel Diplomatie wie möglich, ohne naiv zu sein - das ist der Anspruch", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz.
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Auf der Münchner Sicherheitskonferenz weist Bundeskanzler Scholz den russischen Anspruch auf die Ukraine kategorisch zurück. "Wenn wir in den Geschichtsbüchern lange genug zurückgehen, dann haben wir Grund für Kriege, die ein paar hundert Jahre dauern können und unseren ganzen Kontinent zerstören."
Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Bereitschaft des Westens zu Verhandlungen mit Russland unterstrichen und zugleich vor einer Eskalation des aktuellen Konflikts gewarnt. "In Europa droht wieder ein Krieg und das Risiko ist alles andere als gebannt", sagte Scholz in einer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
Scholz rief dazu auf, alle Gesprächskanäle zu nutzen: den NATO-Russland-Rat, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, direkte Gespräche zwischen Russland und den USA und das Normandie-Format, in dem Deutschland und Frankreich seit 2014 zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln.
Ähnlich wie am Vortag Bundesaußenministerin Annalena Baerbock machte Scholz deutlich, dass der aktuelle Konflikt aus seiner Sicht von Russland ausgeht. "Russland hat die Frage einer möglichen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zum Casus Belli [Kriegsgrund] erhoben. Das ist paradox, denn hierzu steht gar keine Entscheidung an." Putin sei das auch klar, ergänzte Scholz später auf eine Frage des ehemaligen US-Senators Joe Lieberman. "Putin weiß, dass ein NATO-Beitritt der Ukraine nicht auf der Tagesordnung steht."
Der Aufmarsch von weit über 100.000 russischen Soldasten rings um die Ukraine sei "durch nichts gerechtfertigt", so Scholz. Zugleich betonte der Kanzler, der Grundsatz der freien Bündniswahl stehe "nicht zur Disposition".
"Putin hat sich ja als Historiker betätigt"
Scholz beschrieb seine Haltung so: "So viel Diplomatie wie möglich, ohne naiv zu sein - das ist der Anspruch." Dabei müsse zwischen legitimen Sicherheitsinteressen Russlands und unhaltbaren Forderungen unterschieden werden. Die Doppelstrategie des Westens sei richtig: Sanktionen für den Fall eines russischen Angriffs auf die Ukraine vorzubereiten und gleichzeitig zu verhandeln.
"Putin hat sich ja als Historiker betätigt", sagte Scholz im anschließenden Gespräch mit dem Leiter der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, das habe auch beim gemeinsamen Gespräch im Kreml eine große Rolle gespielt. Der Bundeskanzler spielte damit auf einen Artikel an, den Putin im vergangenen Jahr unter dem Titel "Über die historische Einheit der Russen und der Ukrainer" veröffentlicht hatte. Dieser Artikel stellt ganz unverhohlen die Staatlichkeit der Ukraine infrage.
Scholz betonte dazu: "Der Frieden in Europa kann nur gewahrt werden, wenn die Grenzen nicht mehr verschoben werden, wenn sie akzeptiert werden. Wenn wir in den Geschichtsbüchern lange genug zurückgehen, dann haben wir Grund für Kriege, die ein paar hundert Jahre dauern können und unseren ganzen Kontinent zerstören. Es muss klar sein, dass wir die Grenzen, wie sie sind, und die Souveränität und Integrität der Staaten akzeptieren, die da sind, und das ist das einzige Prinzip, das Sicherheit in Europa gewährleistet."
Scholz sagte, es sei immer wichtig, zuzuhören, was andere sagen. Mit Blick auf Putin fügte er allerdings hinzu: "Würden wir ihn beim Wort nehmen, hätten wir keinen Grund, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Aber ich weigere mich, das zu tun."
Scholz nennt Putins Völkermord-Vorwurf "lächerlich"
Scholz unterstrich, dass weder die NATO noch die EU aggressiv gegen Russland auftrete. Wenn er das zu Putin sage, argumentiere dieser immer mit dem Konflikt im ehemaligen Jugoslawien, wo die NATO unschuldige Menschen angegriffen habe. Er selbst weise dann darauf hin, dass die NATO dort einen Völkermord verhindern wollte, so Scholz weiter. Putin behaupte dann, dass im Donbass ein Völkermord geschehe, was "lächerlich ist, um das deutlich zu sagen".
Einen solchen Wortwechsel zwischen den beiden gab es am vergangenen Dienstag öffentlich, bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Putin und Scholz im Kreml. In München ergänzte Scholz, Putin müsse verstehen, dass die Menschen im westlichen Balkan bereit seien, Mitglied der Europäischen Union zu werden.
Die Münchner Sicherheitskonferenz hat am gestrigen Freitag begonnen, am Sonntag geht sie zu Ende. Nach Scholz hielt US-Vizepräsidentin Kamala Harris eine Grundsatzrede über den Zusammenhalt der NATO. Am Nachmittag soll der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in München sprechen. Erstmals seit über 30 Jahren hat Moskau keine Delegation zur Sicherheitskonferenz geschickt.
Quelle: ntv.de