"Das ist das Aus für Hillary" Obama jubelt nicht
01.06.2008, 17:28 UhrEs war der aufwühlendste, der emotionalste Tag im gesamten US-Vorwahlkampf - und der alles entscheidende. Fünf Monate lang hatte der Marathon zwischen Hillary Clinton und Barack Obama gedauert, selten hatten die USA ein solches Vorwahl-Drama erlebt. Historisches stand auf dem Spiel: Tritt erstmals ein Schwarzer im Rennen um das Weiße Haus an - oder erstmals eine Frau? Da ist es mehr als ein Schönheitsfehler, dass die Entscheidung vom "Regelausschuss" der Partei in einem schmucklosen Konferenzraum eines Hotels gefällt wird. Bitter meint denn eines der Mitglieder des Gremiums: "Wir haben ein völlig irrationales System zur Nominierung unserer Präsidentschaftskandidaten." Schon jetzt stellt sich die Frage: Könnte die Entscheidung am "grünen Tisch" zum Makel des Kandidaten werden?
Samstagabend, im schicken Washingtoner Woodley-Park-Viertel, zahlreiche Clinton-Anhänger sind vor dem Marriot-Hotel versammelt. "Bitterkeit" ist das Wort der Stunde. "Meine Stimme zählt nicht die Hälfte", hat eine Frau auf ihr Transparent geschrieben. Doch das sind eher noch harmlose Worte, im Konferenzsaal macht sich die Wut ungehemmt Luft. "Das ist ein Verbrechen", schleudert eine Frau in weißem T-Shirt dem Gremium entgegen. "Entführung von Wählerstimmen", meint selbst ein ansonsten eher abgeklärter Clinton-Mann im Ausschuss. Die Nerven sind bis zum Reißen gespannt.
Was auf den ersten Blick wie eine "salomonische Lösung" erscheint, als Kompromiss zur Rettung der Einheit der Partei, ist zugleich ein Todesstoß für die Ambitionen der Ex-First Lady (und ihres Ehemannes Bill), nach acht Jahren "Diaspora" wieder ins Weiße Haus zurückzukehren.
Lediglich die Hälfte der Delegiertenstimmen aus den Vorwahlen in Florida und Michigan, die Clinton beide mit klarer Mehrheit gewonnen hatte, werden beim Nominierungsparteitag zugelassen - viel zu wenig, um Clinton mehr als noch eine "theoretische Chance" zu lassen. "Schlag für Clinton", kommentiert die "New York Times" am Sonntag. "Ihre Nominierung rückt immer mehr außer Reichweite." Ein TV-Mann bei CNN sagte es noch klarer: "Das ist das Aus für Hillary."
Ganz Amerika fragt sich, wie es jetzt weitergeht, seit Wochen sorgen sich die Parteigranden um die Einheit der Partei. "McCain - 08", steht auf dem Plakat einer der "Clinton-Frauen" - eine ungeschminkte und hässliche Warnung, dass Obama am 4. November auf ihr Stimme nicht zählen könne. Schon kürzlich hatten Umfragen den Alptraum der Demokraten an die Wand gemalt: Rund ein Fünftel aller Clinton-Anhänger drohen demnach, bei der Präsidentenwahl im Herbst lieber für den Republikaner John McCain zu stimmen - wenn Obama und nicht ihre Favoritin antreten sollte. "Die Partei sieht sich einem großen Drama gegenüber", orakelt die "New York Times" düster. Schwere Zeiten für Obama.
Schon sprechen flinke TV-Männer von der "Millionen Dollar Frage": Was will Clinton wirklich? Zwar ließ ihr Vertreter während der Sitzung des Regelauschusses anklingen, sie wolle möglicherweise bis zum bitteren Ende kämpfen, das Schiedskomitee der Partei anrufen, die Schlacht bis zum Parteitag Ende August in Denver weiterführen. Aber Zweifel sind angesagt. Insider berichten, längst seien hinter den Kulissen Gespräche in Gang. Clinton sei viel zu kühl, um sich von Emotionen davontragen zu lassen.
Obama, der Charismatiker und "Menschenfänger", dessen kometenhafter Aufstieg selbst engste Vertraute überraschte, meidet geflissentlich jeden öffentlichen Triumph. Der Mann, dessen strahlende Jugendlichkeit viele Amerikaner an John F. Kennedy erinnert, weiß, was er zu tun hat, wenn er seine Chance wahren will, als erster Schwarzer ins Weiße Haus einzuziehen - er muss die Zustimmung der zornigen und verbitterten Frauen für sich gewinnen, die an diesem Samstag vor dem Hotel in Washington demonstriert haben. Vielleicht sogar mit einer Vizepräsidentin Hillary Clinton.
Von Peer Meinert, dpa
Quelle: ntv.de