Wird Afghanistan-Abzug vorverlegt? Panetta sorgt für Irritationen
02.02.2012, 18:02 Uhr
Ab 2013 wollen die USA nur noch als Berater in Afghanistan bleiben.
(Foto: REUTERS)
2013 oder 2014? Übergabe der Sicherheitsverantwortung oder kompletter Abzug? Äußerungen von US-Verteidigungsminister Panetta, die Truppen bereits bis Ende 2013 aus Afghanistan abzuziehen, sorgen in der Nato für Verwirrung. Schließlich werden die bisherigen Abzugspläne damit um ein Jahr vorverlegt. Verteidigungsminister de Maiziere reagiert erstaunt.
Die USA haben mit ihrem beschleunigten Zeitplan zum Ende des Kampfeinsatzes in Afghanistan für Irritation über die Nato-Ausstiegsstrategie gesorgt. US-Verteidigungsminister Leon Panetta erklärte wenige Stunden vor einem Treffen mit seinen Nato-Kollegen überraschend, die amerikanischen Truppen würden sich vor Ende 2013 aus dem Kampfeinsatz zurückziehen und dann nur noch eine unterstützende Rolle bei der Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte spielen. Nach den bisherigen Nato-Plänen ist das erst bis Ende 2014 vorgesehen. Dabei werde es auch bleiben, betonte Verteidigungsminister Thomas de Maiziere nach einem Gespräch mit Panetta in Brüssel.
Zudem relativierte Washington Panettas Äußerungen. Demnach sei über die Rolle der US-Soldaten bislang keine Entscheidung gefallen. Die Äußerungen von Panetta seien kein Kursschwenk, sagte ein Regierungssprecher. Der Zeitplan für einen Truppenabzug stehe im Einklang mit den Nato-Plänen, die eine Übergabe der Sicherheitsverantwortung bis Ende 2014 vorsähen. Der Minister habe lediglich eine Einschätzung abgegeben, was im Zusammengang mit diesen Plänen passieren könne, sagte der Sprecher.
Bislang war nur bekannt, dass die USA bis zum Herbst dieses Jahres 22.000 ihrer rund 90.000 Soldaten am Hindukusch abziehen wollen. Bis Ende 2014 sollten demnach alle US-Truppen das Land verlassen haben. Zuletzt hatte allerdings auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy erklärt, dass die französischen Soldaten bis Ende 2013 abziehen sollen. Wie Sarkozy kämpft US-Präsident Barack Obama in diesem Jahr um seine Wiederwahl. Ein rascheres Ende des kostspieligen Kampfeinsatzes könnte beiden Auftrieb in der Wählergunst verschaffen.
Afghanistan reagierte überrascht auf die Ankündigung Panettas. "Die Entscheidung, dies ein Jahr vorzuziehen, wirft die gesamten Planungen für die Übergangsphase über den Haufen", hieß es in afghanischen Regierungskreisen. Damit müssten alle Vorbereitungen drastisch beschleunigt werden. Die afghanische Regierung sei vorab nicht informiert worden. "Wenn sich die USA aus den Kämpfen zurückziehen, wird das sicher Konsequenzen für unsere Bereitschaft, Ausbildung und die Ausrüstung der Polizei haben", hieß es.
De Maiziere zeigt sich erstaunt
Die Nato-Verteidigungsminister berieten unter anderem über den Einsatz in Afghanistan und die Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen betonte in Brüssel, dass die Militärallianz bei ihrem vereinbarten Zeitplan für den Afghanistan-Einsatz bleibe. Der Übergabeprozess sehe allerdings vor, dass die letzten Gebiete Mitte 2013 in die Verantwortung der afghanischen Sicherheitskräfte übergingen.
"Ab diesem Zeitpunkt sind die afghanischen Sicherheitskräfte in ganz Afghanistan in der Führung, und ab diesem Zeitpunkt wird unsere Aufgabe sich nach und nach vom Kampf zur Unterstützung wandeln", erklärte Rasmussen. Dabei müsse die Sicherheitslage allerdings berücksichtigt werden. Bisher gibt es noch keine vollständigen Truppenabzugspläne der knapp 50 am Afghanistan-Einsatz beteiligten Länder. Rasmussen sprach von "Fortschritten" am Hindukusch. Die afghanischen Sicherheitskräfte führten inzwischen rund 40 Prozent aller Kampfeinsätze.
Die US-Regierung hatte bisher versprochen, keinen "Wettlauf zum Ausgang" aus Afghanistan in Gang zu setzen. De Maiziere sagte kurz vor Beginn der Sitzung der Nato-Verteidigungsminister, er verfolge die von Panetta ausgelöste Diskussion mit Erstaunen. Er rechne damit, dass der US-Verteidigungsminister sich zu der Frage noch öffentlich äußern werde. Ein Nato-Diplomat sagte, Panetta habe am Mittwochabend nicht Neues gesagt, sondern nur die internen Planungen der USA erstmals öffentlich erwähnt. Panetta nannte den Abzug der US-Streitkräfte aus dem Irak als Beispiel für Afghanistan. Dort waren die Soldaten am Ende auf großen Militärbasen zusammengezogen worden, während der Kampfeinsatz vom irakischen Militär geführt wurde.
"Das ergibt überhaupt keinen Sinn"
De Maizière sprach sich dagegen aus, die Nato-Pläne zum Truppenabzug aus Afghanistan zu beschleunigen. "Es bleibt bei der Strategie, dass wir die Mission bis Ende 2014 durchführen und bis dahin schrittweise abziehen im Blick auf die Lage, im Blick auf den Übergangsprozess", sagte er. "Bis dahin brauchen wir eine angemessene Truppenstärke, auch deutscher Soldaten, um die Übergabe in Verantwortung seriös durchführen zu können und um den Abzug geordnet zu organisieren", so der Minister.
Die Nato hatte sich bei ihrem Gipfel 2010 in Lissabon darauf verständigt, den Kampfeinsatz in Afghanistan bis Ende 2014 zu beenden. Der neue Zeitplan stimme mit diesem Beschluss überein, betonte Panetta. "Bei den Beratungen in Lissabon war es immer klar, dass einmal ein Punkt kommen würde, an dem wir den Übergang machen - um dann in der Lage zu sein, den erzielten Erfolg 2014 zu festigen".
Panettas Ankündigung erntete auch Kritik von Obamas möglichen Gegner im Rennen um die Präsidentschaft, dem Republikaner Mitt Romney. "Warum in aller Welt präsentiert man den Leuten, gegen die man kämpft, den Tag des Abzugs auf dem silbernen Tablett?", erklärte er. "Das ergibt überhaupt keinen Sinn".
Einem zufolge gehen die radikal-islamischen Taliban davon aus, dass sie künftig wieder das Land beherrschen werden. Eine Rückkehr der Taliban nach dem Abzug der Isaf wäre eine politische Katastrophe für die internationale Gemeinschaft, die Milliarden dafür ausgegeben hat, die Taliban zu stürzen und ein demokratisches System in dem Land zu etablieren.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP