Panorama

"Übertriebene Heftigkeit" Papst-Bruder entschuldigt sich

Georg Ratzinger kannte nach eigenem Bekunden die Züchtigungs-Praktiken bei den Regensburger Domspatzen - glaubte aber nicht, "etwas unternehmen zu müssen". Der frühere Domkapellmeister betont jedoch erneut, von sexuellem Missbrauch nichts gewusst zu haben.

Der Leiter der Regensburger Domspatzen, Domkapellmeister Georg Ratzinger, bei einer Chorprobe am 11. November 1989.

Der Leiter der Regensburger Domspatzen, Domkapellmeister Georg Ratzinger, bei einer Chorprobe am 11. November 1989.

(Foto: dpa)

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger lehnt eine Verlängerung der Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch nicht mehr grundsätzlich ab. Zudem ruft sie dazu auf, Opfer freiwillig zu entschädigen. Es brauche ein klares Signal wie zum Beispiel das Gespräch über freiwillige Wiedergutmachungen in den Fällen, die rechtlich verjährt seien, sagte die FDP-Politikerin der "Süddeutschen Zeitung".

Freiwillige Leistungen wären "ein Stück Gerechtigkeit, auch wenn sich das erlittene Unrecht materiell nicht aufwiegen lässt", sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Ähnlich äußerte sich SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Symbolische Entschädigungen wären ein "angemessenes Angebot an die Opfer von damals", sagte sie der SZ.

Georg Ratzinger wusste von Prügel

Von dem sexuellen Missbrauch bei den Schutzbefohlenen will Ratzinger nichts gewusst haben.

Von dem sexuellen Missbrauch bei den Schutzbefohlenen will Ratzinger nichts gewusst haben.

(Foto: dpa)

Der Bruder von Papst Benedikt XVI., der frühere Regensburger Domkapellmeister Georg Ratzinger, distanzierte sich von früheren Prügel-Praktiken in der Internatsvorschule der Regensburger Domspatzen. "Wenn ich gewusst hätte, mit welch übertriebener Heftigkeit er vorging, dann hätte ich schon damals etwas gesagt", sagte er der "Passauer Neuen Presse" mit Blick auf den Internatsleiter. Er verurteile das Geschehene und bitte die Opfer um Verzeihung.

Ratzinger räumte zwar ein, einige seiner Sänger hätten ihm auf Konzertreisen erzählt, wie es ihnen in der Vorschule ergangen sei. Doch seien bei ihm diese Berichte nicht so angekommen, "dass ich glaubte, etwas unternehmen zu müssen". Außerdem sei die Internatsvorschule eine völlig selbstständige Institution gewesen, in die man nicht habe hineinregieren können.

Hin und wieder Ohrfeigen

Der frühere Domkapellmeister gab der Zeitung zufolge zu, bis zum Ende der 70er Jahre in den Chorproben selbst hin und wieder Ohrfeigen verteilt zu haben, doch habe er nie jemanden grün und blau geschlagen. Zur Begründung seiner damaligen Verhaltensweise sagte der langjährige Chorleiter: "Früher waren Ohrfeigen einfach die Reaktionsweise auf Verfehlungen oder bewusste Leistungsverweigerung." Doch sei er froh gewesen, als zu Anfang der 80er Jahre körperliche Züchtigungen vom Gesetzgeber ganz verboten wurden: "Daran habe ich mich striktissime gehalten, und ich war innerlich erleichtert." Das sogenannte Züchtigungsrecht für Lehrkräfte war allerdings bereits in den 1970er Jahren abgeschafft worden.

Ratzinger bekräftigte in dem Interview, dass er von den bekannt gewordenen Fällen sexuellen Missbrauchs bei den "Regensburger Domspatzen" nichts gewusst habe - auch nicht gerüchteweise. Der Papst-Bruder betonte ausdrücklich, wie leid ihm die betroffenen Opfer täten, deren körperliche und seelische Integrität verletzt wurde. Über die Rolle seines Bruders, Papst Benedikt XVI., bei der Bewältigung der Missbrauchsaffäre sagte Ratzinger, der könne nur die Verantwortlichen der einzelnen Länder, also etwa Deutschlands, ansprechen und mit ihnen eine klare Verurteilung aller Missbrauchsfälle formulieren.

Zivilrechtliche Fristen sollen verlängert werden

In der schwarz-gelben Koalition wird derweil eine deutliche Ausweitung der Verjährungsfristen für Schadenersatz und Schmerzensgeld bei Missbrauch erwogen. Die zivilrechtlichen Fristen sollten verlängert werden, sagte Leuheusser-Schnarrenberger der "Passauer Neuen Presse". Zuvor hatte sie sich skeptisch zu längeren strafrechtlichen Fristen geäußert.

Skeptisch äußerte sich Leutheusser-Schnarrenberger zu dem von Familienministerin Kristina Schröder und Bildungsministerin Annette Schavan (beide CDU) einberufenen Runden Tisch gegen Kindesmissbrauch. Die konkrete Aufarbeitung der Missbrauchsfälle der katholischen Kirche gehöre bei allen berechtigten Fragen der Prävention in den Vordergrund, sagte sie der "Passauer Neuen Presse". Scharfe Kritik übte die Initiative Kirche von unten (IKvu). "Die Vermischung von Tatkontexten ist ein unverschämtes Ablenkungsmanöver zugunsten der Bischöfe", erklärte der IKvu-Bundesgeschäftsführer Bernd Hans Göhrig mit Blick auf das breite Teilnehmerfeld des Rundes Tischs.

Übergriffe auch bei Limburger Dom-Singknaben

Unterdessen hat der Missbrauch-Skandal in katholischen Institutionen nun auch die Limburger Dom-Singknaben erreicht. Nach Informationen der "Nassauischen Neuen Presse" hat ein ehemaliges Chormitglied in den vergangenen Tagen Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst angeschrieben und ihm von Übergriffen des damaligen Dirigenten berichtet. Dabei geht es um den Zeitraum nach der Gründung des berühmten Knabenchors zwischen 1967 und 1973. Der beschuldigte Domkapellmeister und Priester ist 2002 gestorben.

Vatikan lobt deutsche Bischöfe

Nach Ansicht des Vatikans hat die katholische Kirche in Deutschland "schnell und entschlossen" auf die Missbrauchsvorwürfe reagiert. Das treffe auch auf die Kirchen in Österreich und den Niederlanden zu, sagte Vatikansprecher Federico Lombardi in Radio Vatikan. Die Bischofskonferenzen hätten einen "Willen zur Transparenz" bewiesen und die Enthüllungen in gewisser Hinsicht sogar befördert, indem sie die Missbrauchsopfer aufgefordert hätten, ihr Schweigen zu brechen - auch wenn es um lange zurückliegende Fälle gegangen sei.

Der Kirchenführung in Irland, wo hunderte Kinder von Geistlichen sexuell missbraucht worden waren, hatte Papst Benedikt XVI. im Februar Versagen vorgeworfen. Den Missbrauch von Kindern innerhalb der katholischen Kirche hatte der Papst generell bedauert, ohne jedoch ausdrücklich auf die Vorfälle in seinem Heimatland einzugehen.

In Deutschland hatten sich nach Berichten über Missbrauch an der Berliner Jesuitenschule Canisius-Kolleg weitere Fälle gehäuft, nicht nur an kirchlichen Einrichtungen. Alle "objektiven und gut informierten" Menschen wüssten, dass das Problem über die katholische Kirche hinausgehe, sagte Lombardi. Die Vorwürfe nur auf die Kirche konzentrieren, verzerre die Perspektive. So habe es in Österreich im gleichen Zeitraum 17 kirchliche Missbrauchsfälle und 510 andere gegeben. Gleichwohl sei der Missbrauch durch Geistliche angesichts der "erzieherischen und moralischen Verantwortung der Kirche" besonders schlimm.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP

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