Philosophische Rede Papst in Berlin umjubelt
22.09.2011, 21:55 Uhr
"In der Kirche gute und schlechte Fische, Weizen und Unkraut."
(Foto: REUTERS)
Benedikt XVI. ruft die Katholiken auf, trotz schwerer Zeiten zu ihrer Kirche zu stehen. Manche würden mit ihrem "Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen bleiben" und somit das "schöne Mysterium" nicht mehr sehen. Den Parlamentariern schreibt er ins Stammbuch, ihrer Rolle zu dienen, nämlich der Gerechtigkeit und dem Frieden – jenseits von Eitelkeit.
Begleitet von Protesten hat Papst Benedikt XVI. am ersten Tag seines Deutschlandbesuchs zur Rückbesinnung auf christliche Werte aufgerufen. Bei einer mit Spannung erwarteten Rede im Bundestag sagte er, im Glauben liege der Schlüssel, Gutes und Böses unterscheiden zu können und der Gerechtigkeit und dem Frieden zu dienen. Zugleich appellierte der Pontifex an die Politiker, ihrer Verantwortung für Gerechtigkeit und Frieden gerecht zu werden.
Zahlreiche Abgeordnete von Linken, SPD und Grünen blieben der Rede allerdings fern, weil sie die religiöse Neutralität des Staates gefährdet sahen und so gegen Positionen des Papstes protestieren wollten. Die anwesenden Parlamentarier spendeten dem Papst minutenlangen stehenden Applaus.
Für Benedikt XVI. ist es seine dritte Reise nach Deutschland, aber sein erster Staatsbesuch. Dieser fällt in eine Zeit, in der sich die katholische Kirche nach den Missbrauchsfällen in ihrer wohl schwersten Krise befindet.
Demokratie zeigt offenkundig Grenzen
In einer vor allem philosophisch gehaltenen Rede beklagte der Papst im Reichstag, gegenwärtig werde die Welt fast nur noch in Kategorien wissenschaftlicher Erkenntnisse bewertet. Diesem fehlenden moralischen Kompass setzte er die Identität Europas entgegen, die auf der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht beruhe. Dieses müsse auch Richtschnur für Politiker sein. Erfolg und schon gar nicht materieller Gewinn dürften der Grund für deren Arbeit sein.
Der Papst ging nicht direkt auf die bioethischen Debatten über Stammzellforschung und Präimplantationsdiagnostik ein, betonte aber: "Der Mensch kann die Welt zerstören. Er kann sich selbst manipulieren. Er kann sozusagen Menschen machen und Menschen vom Menschsein ausschließen." Politiker und Wissenschaftler seien daher besonders gefordert, ihre Entscheidungen auch moralisch zu bedenken.
Als Beispiel für ein Aufbegehren gegen eine materialistische Weltsicht nannte der Papst die in den 70er Jahren aufgekommene ökologische Bewegung. Jungen Menschen sei bewusst geworden, dass die Erde selbst ihre Würde in sich trage. So etwas sei auch heute nötig.
Proteste bleiben friedlich
In der Nähe des Reichstags, der fast hermetisch abgeriegelt war, protestierten Opfer von Missbrauch in katholischen Einrichtungen für Jugendliche. Am Potsdamer Platz versammelten sich nach Polizeiangaben zudem rund 9000 Protestler, um gegen die Sexuallehre des Papstes zu demonstrieren. Das Bündnis von knapp 70 Organisationen, initiiert vom Schwulen- und Lesbenverband, hatte unter dem Motto "Keine Macht den Dogmen" zu dem Protest aufgerufen.
Ein Polizeisprecher sagte am Abend, der Tag sei ohne Störungen verlaufen. Es seien nur einige Platzverweise erteilt worden, weil Demonstranten Absperrungen ignorierten. Ein Demonstrant sei wegen Beleidigung angezeigt worden, weil er ein Plakat mit der Aufschrift "Schweinepriester" trug. Rund 6000 Polizisten waren im Einsatz, darunter zahlreiche Beamte aus anderen Bundesländern sowie von der Bundespolizei.
Von "guten und schlechten Fischen"
Bei einem umjubelten Gottesdienst am Abend im Berliner Olympiastadion mit mehr als 60.000 Gläubigen ging der Papst in seiner Predigt indirekt auf die Kritik und die jüngsten Missbrauchsskandale ein. "Manche bleiben bei ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen." Er spricht von der leidvollen Erfahrung, "dass es in der Kirche gute und schlechte Fische, Weizen und Unkraut gibt". Er warnt aber auch, dass "der Blick auf das Negative fixiert bleibt" und sich somit der Blick für "das große und schöne Mysterium der Kirche" nicht mehr erschließe. Er will Mut machen, sich als Teil des "Weinstocks Kirche" zu fühlen. Die Katholiken rief er auf, der Kirche nicht den Rücken zu kehren, denn sie verbinde mit Christus.
Bundespräsident Christian Wulff hatte bereits beim Empfang für Benedikt XVI. Herausforderungen für die Kirche angesprochen. Sie müsse sich fragen lassen, wie barmherzig sie etwa mit Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen und mit dem Fehlverhalten von Amtsträgern umgehe. Der in zweiter Ehe verheiratete Katholik spielte damit auf die Situation Wiederverheirateter an, die nach geltendem Kirchenrecht nicht zur Kommunion zugelassen sind, sowie auf den Missbrauchsskandal in der Kirche. Darüber hinaus forderte er stärkere Schritte zur Annäherung zwischen katholischer und evangelischer Kirche gefordert.
Bei einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel war neben Europa auch die Schuldenkrise Thema. "Wir haben über Finanzmärkte gesprochen, über die Tatsache, dass die Politik schon die Kraft haben sollte, für die Menschen zu gestalten und nicht getrieben zu sein", sagte Merkel nach dem Gespräch.
Dutzende Sitze bleiben frei
Mehr als die Hälfte der 76 Linken-Abgeordneten blieb der Rede im Bundestag fern. Bei der SPD blieben rund 20, bei den Grünen mehr als zehn Plätze frei. Von den anwesenden Linken trugen die meisten Schleifen am Revers, um damit auf die Aids-Problematik aufmerksam zu machen und gegen das Kondomverbot der Kirche zu protestieren.
Papst geht auf Kritik kaum ein
In der Opposition stieß die Papst-Rede im Bundestag auf verhaltene Reaktionen. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nannte die Rede ein bisschen enttäuschend. Die Rede sei keine Bewerbungsrede gewesen, um junge Leute zu gewinnen. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi sagte, er hätte sich gewünscht, dass das Kirchenoberhaupt auch etwas zur wachsenden Armut in der Welt gesagt hätte. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, der zu den Boykotteuren der Sondersitzung zählte, warf dem Papst vor, Auffassungen zu vertreten, die "politisch unverantwortlich und gefährlich" seien.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP/rts