Politik

Bedingungen längst erfüllt Peking will nicht sprechen

Die chinesische Führung hat Berichte über ein neues Gesprächsangebot an den Dalai Lama als "nicht ganz richtig" zurückgewiesen. In einer Reaktion auf Äußerungen des britischen Premierministers Gordon Brown, der sich auf ein Telefonat mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao bezog, machte der Sprecher des Pekinger Außenministeriums, Qin Gang, deutlich, dass es keine neue Initiative gebe.

Der chinesische Premier habe in dem Gespräch nur die alte Position der chinesischen Regierung bekräftigt, dass der Dalai Lama die Forderung nach Unabhängigkeit aufgeben und "alle separatistischen Aktivitäten einstellen muss". Unter diesen Bedingungen sei China zum Dialog bereit. Die Unruhen in Tibet, die der Dalai Lama vorsätzlich geplant und gelenkt habe, sowie die exiltibetischen Proteste weltweit hätten aber deutlich gezeigt, dass das religiöse Oberhaupt der Tibeter seine Unabhängigkeitsposition nicht aufgegeben habe.

Der Dalai Lama selbst bekräftigte, er wolle mit der chinesischen Regierung sprechen. "Ich bin immer bereit, unsere chinesischen Führer zu treffen, insbesondere Präsident Hu Jintao." Er sei gewillt, nach Peking zu reisen. Im Gegensatz zur Darstellung der chinesischen Regierung hat der Dalai Lama die Tibeter wiederholt zur Gewaltlosigkeit aufgerufen. Er ist deshalb in den eigenen Reihen in die Kritik geraten.

Von Todesschüssen "weiß ich nichts"

Erstmals räumte die chinesische Regierung ein, dass die tibetischen Proteste gegen die chinesische Fremdherrschaft auch auf Orte außerhalb Lhasas und in Ortschaften in angrenzenden Provinzen übergriffen haben - allerdings nur auf "eine kleine Zahl von Orten", so der Sprecher des chinesischen Außenministeriums. Im Umgang mit den Unruhen hielten sich die Behörden an die Gesetze und zeigten "äußerste Zurückhaltung".

Die staatliche Agentur Xinhua berichtete jedoch unter Berufung auf Sicherheitskreise, Polizisten hätten am Sonntag im Bezirk Aba in der Provinz Sichuan in einem Akt der Selbstverteidigung auf Demonstranten geschossen. Dabei seien vier Menschen verletzt worden. Damit hat China erstmals durchblicken lassen, dass zur Niederschlagung des tibetischen Protests auch scharfe Waffen eingesetzt wurden.

Auch Prinz Charles will Dalai Lama empfangen

Ungeachtet der chinesischen Proteste wird auch der britische Thronfolger Prinz Charles den Dalai Lama bei dessen Reise nach Großbritannien empfangen. Das sagte ein Sprecher des Prinzen. Am Vortag hatte bereits Premierminister Brown wissen lassen, er werde im Mai in London mit dem religiösen Oberhaupt der Tibeter zusammenkommen. Peking protestierte umgehend. China sei darüber "ernstlich beunruhigt", sagte Qin Gang nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua.

Den Appell des Papstes zu Dialog und Toleranz im Umgang mit den protestierenden Tibetern wies Qin Gang zurück. "Kriminelle sollten nach dem Gesetz bestraft werden", sagte er. "Wenn so etwas in Italien passiert, wird dann von Toleranz geredet? Wird die Polizei die Augen verschließen und sich zurückhalten?", fragte er einen italienischen Journalisten, der nach einer Reaktion gefragt hatte. Papst Benedikt XVI. hatte am Mittwoch in Rom zu den Unruhen in Tibet erklärt, alle Seiten sollten den Mut haben, den Weg des Dialogs und der Toleranz zu beschreiten. Gewalt verschlimmere die Probleme nur.

"VW soll Fackellauf boykottieren"

Die Pro-Tibet-Kampagne International Campaign for Tibet (ICT) appellierte in einem Schreiben an den VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn, sein Unternehmen als offiziellen Fahrzeuglieferanten vom olympischen Fackellauf durch Tibet zurückzuziehen. "Volkswagen muss alles tun, um zu einer friedlichen Entwicklung in Tibet beizutragen", sagte ICT-Geschäftsführer Kai Müller: "Ein Mitwirken am Fackellauf durch Tibet wäre daher absolut inakzeptabel."

VW-Sprecher Andreas Meurer lehnte das Ansinnen der ICT ab: "Wir halten an unserem Sponsoring und der Teilnahme am Fackellauf fest. Olympia dient der Völkerverständigung, und ausgerechnet an dieser Stelle zu blockieren, wäre nicht der richtige Weg." In Wolfsburg verfolge man die Ereignisse in Tibet zwar mit Sorge, sehe es aber als Aufgabe der Politik, die Probleme zu lösen.

In Berlin hat sich unterdessen ein 26-Jähriger bei einem Protest gegen die Tibet-Politik Chinas angezündet. Bei dem Vorfall nahe der chinesischen Botschaft sei der Mann nur leicht verletzt worden, teilte die Polizei mit. Er habe sich bei einer Mahnwache mit rund 100 Teilnehmern mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet. Umstehende hätten seine brennende Kleidung gelöscht. Die Polizei nahm den 26-Jährigen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz vorläufig fest. Das Mitbringen von brennbaren Flüssigkeiten sei illegal, hieß es.

Angst vor Augenzeugen

Als letzte ausländische Journalisten wiesen die chinesischen Behörden die beiden deutschen Korrespondenten Georg Blume und Kristin Kupfer aus Tibet aus. "Ein ranghoher Funktionär drohte uns mit dem Entzug der Aufenthaltsgenehmigung in China", berichtete Blume telefonisch der Deutschen Presse-Agentur in Peking. Offiziell begründeten die Behörden die Ausweisung mit der Sorge um die Sicherheit der beiden Korrespondenten.

Blume, der für die Berliner "tageszeitung" (taz) und für die Wochenzeitung "Die Zeit" aus China berichtet, und seine Kollegin Kupfer, die für das österreichische Magazin "Profil" und die Nachrichtenagentur epd tätig ist, waren Donnerstagfrüh von der chinesischen Polizei aus ihrem Hotel in Lhasa abgeholt und zum Bahnhof gebracht worden.

Mehrere Tage hatten sich die beiden geweigert, den Anweisungen der Polizei zu folgen, das Hochland nach den schweren Unruhen in Lhasa zu verlassen. "Uns wurde heute auf einschüchternde Weise gesagt, wenn wir jetzt nicht gehen, werden wir sehr große Probleme bekommen, und zwar auch in der Visafrage", sagte Blume. Zuvor hatten bereits der Korrespondent des "Economist", James Miles, sowie am Montag mehrere Hongkonger Journalisten Lhasa verlassen müssen.

"Tageszeitung" und epd protestierten gegen die Ausweisung ihrer Mitarbeiter. "Offensichtlich will die chinesische Regierung keine weiteren westlichen Zeugen in Tibet dulden. Das ist für uns keine wirkliche Überraschung - die Haltung der Volksrepublik zur Pressefreiheit ist ja bekannt", sagte der stellvertretende "taz"-Chefredakteur Reiner Metzger in Berlin.

Die Toten sind geheim

Nach offiziellen Angaben hat China in Tibets Hauptstadt Lhasa in der vergangenen Woche 24 Menschen verhaftet. Die Staatsanwaltschaft wirft den Verdächtigen Gefährdung der nationalen Sicherheit sowie Plünderungen, Brandstiftungen und andere gewaltsame Übergriffe vor, wie der amtliche tibetische Mediendienst mitteilte. Nach Augenzeugenberichten vom Mittwoch wurden bei der Verhaftungswelle in Lhasa bislang mehr als 1000 Tibeter festgenommen.

Nach exiltibetischen Angaben sind in Lhasa sowie bei den folgenden Protesten an anderen Orten in Tibet und den angrenzenden Provinzen bislang mehr als 140 Menschen ums Leben gekommen, darunter Dutzende durch Schüsse. Die chinesische Regierung spricht lediglich von 16 Toten, darunter 13 unbeteiligte Zivilisten, die von Aufständischen "ermordet" wurden. Ein Funktionär der Kreisregierung der Provinz Sichuan, wo mindestens 20 Tibeter erschossen worden sein sollen, sagte der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch telefonisch, er warte auf Anweisung der Zentralregierung, ob die Todeszahlen veröffentlicht werden. "Alles, was mit Toten zu tun hat, ist geheim."

Das alte Territorium von Tibet erstreckt sich heute nicht nur auf die 1965 von China gegründete Autonome Region Tibet, sondern auch auf angrenzende Gebiete der chinesischen Provinzen Qinghai, Gansu und Sichuan. Nachdem sich die Volksrepublik 1950 das Hochland einverleibt hatte, wurde Tibet in die heutige Autonome Region Tibet und auf die Nachbarprovinzen aufgeteilt.

Quelle: ntv.de

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