Komorowski liegt vor Kaczynski Polen müssen in Stichwahl
20.06.2010, 20:26 Uhr
Wahlsieg ohne Wirkung: Komorowski muss in einer Stichwahl offenbar noch einmal kandidieren.
(Foto: dpa)
Die Polen müssen in einer Stichwahl über ihren neuen Präsidenten entscheiden. Der liberalkonservative Komorowski liegt zwar vor seinem nationalkonservativen Herausforderer Kaczynski. Doch verfehlt auch der Kandidat des Regierungslagers die notwendige absolute Mehrheit.
Über den neuen Präsidenten Polens muss in einer Stichwahl entschieden werden. Bei dem Urnengang, der wegen des tragischen Unfalltodes von Staatschef Lech Kaczynski im April angesetzt worden war, verfehlte der liberale Kandidat Bronislaw Komorowski einer Prognose des öffentlichen Fernsehens TVP zufolge mit 40,7 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit. Sein Konkurrent Jaroslaw Kaczynski kam demnach auf 35,8 Prozent.
"Im Leben ist es wie im Fußball und allen Sportarten: Die Nachspielzeit ist besonders schwierig", sagte der 58-jährige Komorowski von der liberalen Bürgerplattform vor jubelnden Anhängern in seiner Wahlkampfzentrale in Warschau. "Wir müssen wach bleiben und unsere Stärke und Energie für die letzte Strecke des Präsidentenrennens mobilisieren." Wenn im ersten Durchgang keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent erhält, wird eine Stichwahl nötig. Diese soll am 4. Juli stattfinden. "Die Verlängerung wird sehr schwierig sein", sagte Komorowski. Er fühle sich als Politiker glücklich und erfüllt, betonte er aber in einer ersten Reaktion. "Ich danke und bitte um mehr", so der 58-Jährige.
Zwei weiteren Umfragen privater Fernsehsender zufolge kam Komorowski auf 45,7 Prozent (TVN24) oder 46,2 Prozent (Polsat), Kaczynski auf 33,2 Prozent oder 32,8 Prozent. Von den insgesamt zehn Kandidaten erhielt der Sozialdemokrat Grzegorz Napieralski zwischen 12,4 Prozent und 14 Prozent der Stimmen, alle weiteren kamen nicht über die Drei-Prozent-Hürde. Die Beteiligung lag - je nach Institut - zwischen 52,3 und 58 Prozent.
"Das Ergebnis fiel geringer als erwartet aus", kommentierte der Politologe Kazimierz Kik. Vor seinen Anhängern im Wahlstab gab sich Jaroslaw Kaczynski deshalb nun siegessicher. "Den Schlüssel zum endgültigen Sieg ist unser Glaube, dass wir siegen können", sagte der 61-jährige Oppositionsführer. "Wir müssen für das Vaterland siegen", sagte er. "Alles für Polen, weil Polen am wichtigsten ist." Kaczynskis Anhänger verweisen auf die Situation vor von fünf Jahren. Im Herbst 2005 gewann Tusk als damaliger Präsidentenbewerber die erste Runde gegen Lech Kaczynski. Zwei Wochen später verlor er das Rennen.
Alles wieder offen
Bei der Stichwahl in zwei Wochen ist alles offen. Komorowski will dabei vor allem um die Stimmen der linken Wähler werben. Die Linke sei in Polen notwendig, lobte er die Konkurrenten. Er hatte bereits vor der Wahl den linken Finanzexperten, Ex-Regierungschef Marek Belka als neuen Chef der Nationalbank NBP durchgesetzt. Volkswirte und politische Analysten zufolge würden die Finanzmärkte eine Wahl Komorowskis begrüßen, da er wohl gut mit Ministerpräsident Donald Tusk zusammenarbeiten würde. Tusk gilt als Unternehmerfreundlich und ist Befürworter des Euro.
Die Präsidentschaftswahl sollte eigentlich im Herbst stattfinden, musste aber wegen des tragischen Unfalltodes von Staatschef Lech Kaczynski vorgezogen werden. Er war am 10. April beim Absturz seines Flugzeuges mit 95 weiteren Mitgliedern der polnischen Staatselite nahe der russischen Stadt Smolensk ums Leben gekommen. Der verstorbene Präsident war der Zwillingsbruder von Jaroslaw Kaczynski. Komorowski übernahm nach dem Unfall als Parlamentspräsident geschäftsführend das Amt des Staatschefs.
Tusks Kandidat
Ein Sieg Komorowskis würde die Regierung von Ministerpräsident Tusk, der ebenfalls der Bürgerplattform angehört, stärken. Der polnische Staatspräsident hat ein Vetorecht, und Lech Kaczynski hatte eine Vielzahl von Gesetzen der liberalen Regierung blockiert. Dabei stimmte er sich bis zuletzt eng mit seinem Bruder Jaroslaw ab, der die Opposition im polnischen Parlament anführt und von 2006 bis 2007 an der Spitze der polnischen Regierung gestanden hatte. Auf EU-Ebene war die gemeinsame Regierungszeit der Zwillinge von heftigen Konflikten gekennzeichnet.
In der Vergangenheit war es auch wiederholt zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen Tusks Regierung und Präsident Lech Kaczynski gekommen. Das national-konservative Staatsoberhaupt blockierte mehrere Reformprojekte der Regierung mit seinem Veto.
Polen in der Krise
2007 wurde Jaroslaw Kaczynski nach einer massiven Wahlniederlage seiner Partei von den Liberalen an der Regierung abgelöst. Sollte auch das Präsidentenamt an die Liberalen fallen, würden die Konservativen sich für die Parlamentswahl Ende nächsten Jahres in einer deutlich schlechteren Ausgangsposition wiederfinden.
Polen konnte als einziges Land der 27-EU-Staaten einen Wirtschaftsabschwung in der jüngsten Krise vermeiden. Allerdings wurde das Haushaltsdefizit auf mehr als sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes getrieben und die Zahl der Arbeitslosen stieg. Die europäische Schulden-Krise könnte das Land weiterhin beuteln. Investoren erhoffen in diesem Fall ein reibungsloses Handeln der Regierung.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts