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Der Mann mit dem Vorschlaghammer "Putins Koch" und nun Verräter: Wer ist Wagner-Chef Prigoschin?

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Lange Zeit agiert Jewgeni Prigoschin im Schatten. Bis September 2022 war nicht einmal öffentlich klar, dass er der Boss der Söldner-Gruppe Wagner war. Doch jetzt lässt er keine Zweifel daran. Und schickt seine Söldner nach Moskau.

Plötzlich eskaliert der Machtkampf in Russland: Am Freitagabend flutet Jewgeni Prigoschin seinen Telegram-Kanal mit Nachrichten im Minutentakt. Die Gründe für die "Spezialoperation"? Eine Lüge. Die ukrainischen Vorstöße? Plötzlich doch erfolgreich. Die Ursache für seine wilde Schimpftirade soll ein Angriff der russischen Militärführung auf eine Gruppe Wagner-Söldner gewesen sein. Dabei sei eine "sehr große" Zahl ums Leben gekommen. Der Schuldige aus Prigoschins Sicht war schnell gefunden: Sergej Schoigu, der Verteidigungsminister. Prigoschin ruft deshalb zum "Marsch der Gerechtigkeit" gegen die Armeeführung auf. Keinen Tag später kontrollieren seine Söldner bereits die strategisch wichtige Stadt Rostow am Don im Süden Russlands. Und Präsident Wladimir Putin schimpft in einer Ansprache über den "Verrat".

Doch wer ist der Mann, der lange Zeit ein treuer Unterstützer Putins war und das Land nun in Unruhen stürzt? "Prigoschin ist eigentlich ein Dienstleister, der von öffentlichen Aufträgen der russischen Armee abhängt. Mit dem Krieg hat er aber die Öffentlichkeit genutzt, um politisches Kapital aufzubauen", sagte Russland-Experte Stefan Meister im Gespräch mit ntv.de schon vor einigen Monaten.

Jahrzehntelang hat Prigoschin im Schatten agiert. Bevor er zum Geschäftsmann und Söldner-Chef wurde, saß er selbst neun Jahre wegen bewaffneter Raubüberfälle im Gefängnis. Nach seiner Zeit im Knast versuchte er sich in St. Petersburg als Gastronom und verkaufte Hotdogs. Dort lernte er in den 1990er-Jahren den stellvertretenden Bürgermeister kennen, Wladimir Putin. Dank ihm wurde Prigoschin einer der größten Caterer des Landes, es entstand der Spitzname "Putins Koch".

Brutalität im Ukraine-Krieg

Doch dabei blieb es nicht. Bald ist Prigoschin nicht mehr nur Putins Koch, er will mehr. Der britische "Guardian" hat mit mehreren Menschen gesprochen, die Prigoschin kannten. Es entstehe das Bild eines rücksichtslosen Intriganten, "der gegenüber Vorgesetzten unterwürfig und gegenüber Untergebenen oft tyrannisch war, während er an die Spitze aufstieg".

Der heute 62-Jährige baut selbstständig eine Söldnertruppe auf. Sie agiert über Jahre hinweg im Verborgenen, Moskau leugnet die Existenz, nimmt die Dienste aber dennoch gerne in Anspruch, wie sich in den vergangenen Monaten herausstellte. Erstmals taucht sie 2014 auf, als russische Kämpfer verdeckt in die Ukraine einmarschieren. Währenddessen vertritt die Söldnertruppe auch anderorts russische Interessen - besonders im Nahen Osten und Afrika. In Syrien etwa schützten sie den umstrittenen Präsidenten Baschar al-Assad und dessen brutales Regime. Aus der Zeit kursieren Videos, die zeigen sollen, wie Gefangene gefoltert und enthauptet werden. Überall, wo die Wagner-Gruppe auftritt, sind es die gleichen Anschuldigungen - unter anderem wahllose Tötungen, Vergewaltigungen und Plünderungen.

Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine tritt Prigoschin als Söldnerchef international erstmals offiziell in Erscheinung. Erst Ende des vergangenen Jahres hatte der Kreml die Existenz der Söldnertruppe eingeräumt. Prigoschin und seine Gruppe stehen während des Überfalls für eine besondere Brutalität.

Die Wagner-Armee kann grausamer als die russische Truppen vorgehen. Die ist zwar traditionell ebenfalls von einer Gewaltkultur geprägt, doch sei die in den vergangenen Jahren rückläufig gewesen, sagte etwa Russland-Experte Andreas Heinemann-Grüder von der Uni Bonn vor einigen Monaten. "Diese Art der Kriegsführung, bei der man Zivilisten und Kinder tötet, wie in Bachmut dutzendfach geschehen, hat erhebliche Auswirkungen auf Disziplin und Kampfmoral", sagte er. Die Folge: viele Deserteure und auffallend hohe Suizidraten in der russischen Armee. "Man braucht eine Todesschwadron, mit der man töten kann, ohne dass es sichtbar wird."

Propaganda mit dem Vorschlaghammer

Genau das übernimmt Prigoschin mit seiner Söldnertruppe. Immer, wenn es besonders brutal wird, ist auch die Wagner-Gruppe nicht weit entfernt - und ihr Chef verarbeitet das für die sozialen Medien. Im November 2022 richteten Söldner einen angeblichen Deserteur auf brutalste Art und Weise hin: mit dem Vorschlaghammer. Vor laufender Kamera zertrümmern die Soldaten den Kopf des Mannes. Prigoschin selbst feiert das Video. Der Getötete "sei ein Verräter", sagte er.

Ursprünglich bestand die Wagner-Truppe aus Veteranen der russischen Streitkräfte, in der Ukraine reicht das jedoch nicht mehr aus. Westliche Geheimdienste schätzen, dass für seine Söldnertruppe insgesamt etwa 50.000 Häftlinge mobilisiert worden seien. Prigoschin selbst soll von Gefängnis zu Gefängnis gereist sein. Dort habe er Mördern, Vergewaltigern und anderen Schwerverbrechern versprochen, dass sie Straffreiheit bekommen, wenn sie sechs Monate in der Ukraine kämpfen.

Und militärisch sorgt er für Erfolge. Im Sommer des vergangenen Jahres sind es seine Söldner, die bei der Besetzung des ostukrainischen Soledar entscheidende Hilfe leisten. Es war der erste größere Erfolg des russischen Überfalls nach mehreren Monaten. Und ganz vorne: Prigoschin. Er veröffentlichte daraufhin ein Video, in dem er Wagner-Söldner als "die wahrscheinlich erfahrenste Armee der Welt" lobte. Bloß die Anerkennung aus dem Kreml blieb aus. Das Verteidigungsministerium schrieb den Sieg den eigenen Truppen zu. Prigoschin beschwerte sich wütend, russische Angestellte zollten seinen Einheiten nicht genügend Respekt. Erst danach lenkte das Ministerium ein. Es ist immer wieder der gleiche Streit: Prigoschin gegen Schoigu.

Der Machtkampf eskaliert

Unterdessen drängt er weiter in die Öffentlichkeit - endgültig mit dem Kampf um Bachmut. Nach monatelangen Kämpfen im "Fleischwolf" nehmen sie Ende Mai die nur symbolisch wichtige Stadt ein. Auch hier wieder: Prigoschin postet mehrere Videos aus dem Trümmerfeld, das von Bachmut geblieben ist, und inszeniert sich als Anführer. Seine eigenen Söldner lobt er, die regulären russischen Soldaten verspottet er. Verteidigungsminister Schoigu wirft er regelmäßig Unfähigkeit vor. In Telegram-Videos brüllt er Schoigu an, den Streit über angeblich ausbleibende Munitionslieferungen trägt er mit ihm öffentlich aus.

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Genau diese Auseinandersetzungen hatten Putin bislang eigentlich genutzt. Denn während das reguläre Militär und die Söldner um Einfluss ringen, kann Putin mal den einen, mal den anderen die Gunst erweisen. "Das Regime Putins basiert auf der Möglichkeit, ständig mehrere Bälle in der Luft zu halten und die Konkurrenz unter den Sicherheitsapparaten aufrechtzuerhalten", sagte Heinemann-Grüder. Dabei habe sich ein Ritual eingespielt: Erst werde jemand eine Zeit lang öffentlich niedergemacht, dann wieder gelobt.

Doch das hat sich geändert. Der Kreml hat in den vergangenen Wochen versucht, den Einfluss der Söldnertruppe einzudämmen. Sie sollten eigentlich einen Vertrag mit dem russischen Verteidigungsministerium unterschreiben - Prigoschin lehnte ab. Jetzt die Eskalation. Putin hat die Wagner-Söldner als "Verräter" gebrandmarkt. Bei deren Aufstand handele es sich um eine "tödliche Bedrohung" für Russland. Und Prigoschin? Dem warf der Kremlchef vor, wegen "übermäßigem Ehrgeiz" sein Land "verraten" zu haben. Es ist wohl das Ende ihrer Beziehung.

Quelle: ntv.de

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