Politik

"Zwei Bedrohungsszenarien" Putins Macht ist vor einem Putsch geschützt

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Muss keine Revolution von oben oder unten fürchten: Wladimir Putin.

(Foto: IMAGO/SNA)

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine läuft nicht wie geplant, die westlichen Sanktionen zeigen ihre Wirkung. Eigentlich müsste es innenpolitisch Probleme für Kremlchef Putin geben. Doch sein System ist davor gewappnet.

Es gibt nur wenige Szenarien, die den Krieg in der Ukraine sofort beenden würden. Eine schnelle diplomatische Lösung scheint trotz der Verhandlungen in Istanbul nicht in Reichweite. Militärisch ist ebenfalls kein rasches Ende in Sicht. Die dritte Möglichkeit wäre, dass der russische Präsident Wladimir Putin über innenpolitische Probleme stürzen könnte. Der Westen blickt deshalb mit einer gewissen Erwartungshaltung auf Russland selbst. Denn auch wenn die Kremlpropaganda anderes sagt, der Überfall auf die Ukraine läuft nicht wie geplant. Tausende russische Soldaten wurden getötet, die Militäroffensive kommt im Wesentlichen nicht mehr voran, zudem zeigen die westlichen Sanktionen erste Folgen.

"Das Putin-Regime steht auf jeden Fall an einem heiklen Punkt", sagt Fabian Burkhardt vom Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung im Gespräch mit ntv.de. Denn nicht nur der Blick in die russische Geschichte, sondern andere Autokratien zeigten, dass Angriffskriege auch immer die Innenpolitik entscheidend beeinflussten. "Insbesondere natürlich dann, wenn der Krieg nicht verläuft wie geplant."

Für Putin würden daraus "zwei wichtige Bedrohungsszenarien" erwachsen, sagt der Experte. Eine Gefahr wäre die Revolution "von unten", also durch die Bevölkerung. Doch dass sich seine Gegner organisieren können, hat Putin schon lange vor dem Krieg verhindert. "Die politische Opposition wurde in den vergangenen Jahren zerschlagen", erklärt Burkhardt. Das bekannteste Beispiel dafür ist der Kremlkritiker Alexej Nawalny, dessen Haftstrafe erst jüngst verlängert wurde.

Proteste sind kein Problem

"Ein organisierter Widerstand ist in Russland zurzeit unmöglich", sagt auch der ehemalige Duma-Abgeordnete Mark Feygin im ntv-Interview. Der langjährige Oppositionelle hat einst als einer von drei Anwälten die kremlkritische Punkband Pussy Riot vor Gericht vertreten, inzwischen hat er aufgegeben, auch wegen eines Berufsverbots. Denn die, die Protest trotz aller Widerstände versuchten, würden isoliert und Repressalien ausgesetzt. Es gibt niemanden mehr, der Massenproteste organisieren könnte.

Dennoch hat sich in Russland eine kleine Protestbewegung gebildet. Tausende sind bereits auf die Straße gegangen. Für den Kreml dürfte das jedoch nicht zum Problem werden, viele von ihnen wurden festgenommen. "Es gibt Gründe, die verhindern, dass sich eine Protestwelle hochschaukeln könnte", sagt Burkhardt. Die hätten auch dann noch Bestand, wenn viele Soldaten tot nach Russland zurückkämen oder die breite Bevölkerung trotz Propaganda die Folgen der Wirtschaftssanktionen spürte.

Zum einen fehlt der Opposition die Möglichkeit, sich zu organisieren, zum anderen hat ihr die verhängte Kriegszensur den letzten Freiraum genommen. Unabhängige Medien mussten ihren Betrieb einstellen, soziale Medien wurden weiter eingeschränkt. Für Russinnen und Russen wird es nicht nur schwieriger, sich untereinander auszutauschen: Wer den Angriffskrieg auf die Ukraine in Russland einen Krieg nennt, dem drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Es bleibt für Putin also nur das zweite Bedrohungsszenario - die Revolution "von oben". "Klassischerweise geht eine Palastrevolte vom Militär oder den Sicherheitsdiensten aus", sagt Burkhardt. Dort gibt es zumindest Motive. Aus Militärkreisen hätte es bereits vor Kriegsbeginn Warnungen gegeben, dass eine vollständige Invasion der Ukraine viele Todesopfer bedeuten könnte. Zudem waren viele bei der Entscheidung, einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland zu eröffnen, nicht involviert.

Ein "geschicktes System"

Doch auch dort hat der Kremlchef vorgesorgt. "Putin hat in den vergangenen Jahren ein geschicktes System von Organisationen und Diensten geschaffen, die sich gegenseitig bewachen und kontrollieren." Die verschiedenen Geheimdienste konkurrierten untereinander. "Wenn eine Gruppe versuchen würde, nur annähernd einen Putsch zu versuchen, würde die nächste bewaffnete Truppe bereitstehen." Entstanden sei so ein System von "Checks and Balances", das auch verhindere, dass wichtige Informationen nach draußen gelangten.

Dieses System funktioniert auch anderorts - etwa bei politischen Ämtern. Der Kremlchef hat sich von der Parteipolitik losgelöst. Die wichtigsten Entscheidungen über zentrale Posten würden von Putin persönlich getroffen und nicht von Parteigremien oder der Duma, schreibt Politikwissenschaftler Adam E. Casey in der US-Zeitschrift "Foreign Policy". So hat er auch dort Günstlinge um sich geschart, die sich gegenseitig misstrauen.

Wenn Militär und Politik kein Problem darstellen, bleibt nur noch die Wirtschaft übrig. Die westlichen Sanktionen haben die russischen Oligarchen hart getroffen, einige von ihnen mussten Milliardenverluste hinnehmen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, dass "diejenigen, die Putins Kriegsmaschinerie am Laufen halten, nicht länger ihren verschwenderischen Lebensstil genießen können sollen, während Bomben auf unschuldige Menschen in der Ukraine fallen". Zumindest bei einigen hat das geklappt. In einem Gespräch mit der "Financial Times" berichtet beispielsweise der ehemalige Leiter von Russlands größter Geschäftsbank, Pjotr Awen, dass er nicht wisse, ob er seine Rechnungen begleichen kann. Sein Leben habe sich über Nacht gedreht, seit er auf den Sanktionslisten Großbritanniens und der EU steht.

Jammernde Oligarchen

Andere Oligarchen haben deshalb schon das Ende des Kriegs gefordert. Etwa der Banker Michail Fridman, der von sich selbst sagt, dass er wegen der Sanktionen in London unter "Hausarrest" stehe. Doch auch hier muss differenziert werden. "Wenn es Kritik gab, dann von den Oligarchen, die bereits ein halbes Standbein im Ausland hatten", sagt Burkhardt. "Die haben sehr, sehr viel Geld verloren." Dennoch hätten auch ihre Aussagen eine gemeinsame Grenze. "Jeder versteht, dass es zu riskant ist, Putin direkt zu kritisieren, weil das bedeuten würde, Eigentum und Unternehmen auch in Russland zu verlieren."

Die, die ihr Vermögen in Russland haben, äußern sich sowieso nicht kritisch. Gazprom-Chef Alexei Miller forderte seine Mitarbeitenden etwa auf, eine Kundgebung zu Ehren Putins zu halten. Und auch aus dem Staatskonzern Rosneft gibt es wenige kritische Worte, dessen Chef Igor Setschin ist ein enger Vertrauter Putins. Vor einigen Tagen gab es Berichte, dass drei seiner Angestellten sich geweigert hätten, zu Putins Propaganda-Show anlässlich des Jubiläums zur völkerrechtswidrigen Annexion der Krim zu fahren. Sie hätten darin eine Kundgebung für den Krieg in der Ukraine gesehen. Der Staatskonzern räumte im Anschluss die Zweifel aus. Das Unternehmen teilte mit, dass es voll hinter dem russischen Präsidenten stehe und stolz auf ihn sei.

Und doch, von außen betrachtet könnte Putins Machtzirkel erste kleine Risse bekommen. Mit Anatoli Tschubais hat jüngst erst ein langjähriger Berater den Kreml verlassen. Doch auch der Abgang des ehemaligen Vize-Premiers der russischen Regierung, Arkadi Dworkowitsch, zeigt, dass es keine Schlüsselfiguren sind, die Moskau verlassen. "Es ist ein Zeichen, aber das hat keinen Effekt auf die Stabilität des Regimes", sagt Burkhardt. Spekulationen darüber, dass sich Eliten von Putin sogar lossagen würden, hält er bisher für haltlos. Solche Einzelfälle sagten eher etwas darüber aus, wie aktuell die Stimmung in der unteren und mittleren Ebene der Wirtschaftsbürokratie sei. Die Schlüsselfiguren, die am Krieg gezweifelt haben, hat Putin offenbar überzeugt. Wie zum Beispiel die Notenbank-Chefin Elvira Nabiullina, die vom Kremlchef zum Bleiben überredet wurde. Das schafft Sicherheit, der Rubel hat sich mittlerweile auch wieder erholt. Solange das so bleibt, ist es unwahrscheinlich, dass Russland für Putin zur Gefahr werden könnte.

Quelle: ntv.de

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