Olympia vorbei, Chaos bleibt Macron muss nun schnell einen neuen Premier finden
11.08.2024, 13:58 Uhr Artikel anhören
Macrons Renaissance-Partei hat vor einem Monat klar verloren. Die Tage seines Premiers Attal sind nach Olympia-Ende gezählt.
(Foto: picture alliance / Sipa USA)
Olympia schafft Ablenkung von der tiefen Regierungskrise, in der sich Frankreichs Präsident Macron befindet. Noch immer ist unklar, wie die künftige Koalition aussehen, geschweige denn, wer sie leiten soll. Die Zeit drängt jedoch, um schlimmeres Chaos zu verhindern.
Mehr als einen Monat ist die vorgezogene Parlamentswahl in Frankreich her, doch wie eine neue Regierung aussehen könnte, ist noch immer unklar. Präsident Emmanuel Macron spielt auf Zeit und wollte erst einmal die Olympischen Spiele abwarten, die nun aber zu Ende gehen. Bekommt Frankreich jetzt einen neuen Regierungschef? Zumindest der Druck auf Macron dürfte aus allen Richtungen wachsen, um das Land vor politischem Stillstand zu bewahren.
Aber noch einmal von vorn: Anders als erwartet hatte bei der Neuwahl der französischen Nationalversammlung Anfang Juli nicht das rechtsnationale Rassemblement National um Marine Le Pen, sondern das Linksbündnis Nouveau Front Populaire den Sieg eingefahren. Macrons Mitte-Kräfte landeten auf Platz zwei.
Die Wählerinnen und Wähler stellten die Abgeordneten mit dem Ergebnis vor eine große Herausforderung, denn keines der Lager verfügt über eine absolute Mehrheit. Eine verzwickte Situation, denn größere Kompromisse und Koalitionen sind in der französischen Politik eher ungewöhnlich.
Hinzu kommt, dass die Lesarten des Wahlergebnisses erheblich auseinandergehen. Das linke Lager sieht einen klaren Regierungsauftrag und echauffiert sich über Staatschef Macron, der die vorgeschlagene Premierministerin Lucie Castets nicht ins Amt hebt. Der Präsident hingegen deutet das Ergebnis so, dass die Wählerschaft eine Zusammenarbeit über politische Lagergrenzen hinweg will - und daher seine liberale Renaissance-Partei Teil der Regierungskoalition sein sollte.
Nächster Premier womöglich nicht aus Macrons Reihen
Ist Macron, der die vorgezogene Parlamentswahl ohne wirkliche Not angezettelt und krachend verloren hat, einfach nur ein schlechter Verlierer, der keine Macht abgeben will? Oder ist er Realist? Sucht er - im Gegensatz zu französischen Konventionen - nach einer möglichen großen Koalition, um aus der politischen Sackgasse zu entkommen?
Aus Macrons Lager mehren sich jedenfalls die Stimmen, die erklären, wo es Überschneidungen mit den Konservativen sowie den Sozialisten, Grünen und Kommunisten gibt, die man aus ihrem Bündnis mit der Linkspartei La France Insoumise herauszulösen versucht.
Die beigeordnete Landwirtschaftsministerin Agnes Pannier-Runacher dringt auch auf Zugeständnisse des eigenen Lagers. Und die beigeordnete Ministerin für Gleichstellung, Aurore Bergé, gibt gar zu: "Wir müssen den Parlamentswahlergebnissen ins Auge sehen und viel Demut an den Tag legen. Das bedeutet auch, dass der nächste Premierminister nicht aus unseren Reihen stammen kann."
Zusammenfinden der Parteien überaus schwierig
Auch eine Gruppe von Fachleuten, die an den Programmen des Linksbündnisses, des Mitte-Lagers oder der Konservativen mitgewirkt hat, veröffentlichte unlängst 40 Politikvorschläge, die linke, konservative und Zentrums-Parteien ihrer Meinung nach gemeinsam umsetzen könnten.
Doch wie die konträren Parteien zusammenfinden könnten, ist bislang ungewiss. Das linke Lager, das schon von einer Zusammenarbeit mit Macrons Partei wenig hält, dürfte mit den Konservativen erst recht nicht koalieren wollen. Andersherum gilt das genauso. Und auch unter Macrons Leuten haben einige Schwierigkeiten, womöglich mit den Grünen gemeinsame Sache zu machen. Dass die Parteien sich langsam aber sicher auch für die nächste Präsidentschaftswahl 2027 in Stellung bringen wollen und damit eher Abgrenzung zueinander suchen, dürfte ebenfalls nicht helfen.
Auch wenn Macron betont, dass es nicht um einen einzelnen Namen geht, dürfte die Frage, wer die Regierung anführt, in den Gesprächen durchaus eine zentrale Rolle spielen. Neben der von den Linken eingebrachten Castets werden etwa der konservative Regionalpräsident Xavier Bertrand, der ehemalige Premier Bernard Cazeneuve und der frühere französische Außenminister und spätere EU-Kommissar Michel Barnier als potenzieller Premier gehandelt. Doch wie schon zuletzt beim noch geschäftsführenden Regierungschef Gabriel Attal könnte Macron auch einen Überraschungskandidaten aus dem Hut zaubern.
Regierungs-Limbo schürt Frust
So schwierig es auch sein mag, auszuhandeln, wer in Frankreich künftig mit welcher Mannschaft regiert, die Zeit drängt. Denn für das kommende Jahr muss ein Haushalt verabschiedet werden. Eigentlich würden die Beratungen dazu im Parlament bereits im Herbst beginnen. Die neue Regierung wird vorher mit Sicherheit noch einmal den bisherigen Entwurf der aktuellen geschäftsführenden Regierung von Attal überarbeiten wollen.
Nicht zuletzt droht eine langwierige Regierungsfindung auch, als Verzögerungstaktik Macrons verstanden zu werden und den Frust und den Vertrauensverlust in der Bevölkerung wachsen zu lassen. Viel Zeit bleibt dem Präsidenten also nicht, um einen neuen Premier zu finden.
Quelle: ntv.de, Rachel Boßmeyer, dpa