Politik

Neue Gesetze in Teilen der USA Republikaner machen Kinderarbeit wieder salonfähig

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Es ist nicht bekannt, ob Gouverneurin Sarah Huckabee Sanders auch ihren drei Kindern empfiehlt, sich einen Job im Schlachthof zu suchen.

Es ist nicht bekannt, ob Gouverneurin Sarah Huckabee Sanders auch ihren drei Kindern empfiehlt, sich einen Job im Schlachthof zu suchen.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

In den vergangenen Monaten decken die US-Behörden illegale Kinderarbeit in mehreren Unternehmen auf. Die US-Regierung will die Kontrollen verschärfen, hat die Rechnung aber ohne die Republikaner gemacht: Einige Konservative wollen die Regeln lockern - zum Wohle der Wirtschaft.

Im vergangenen Juli erlebt Hyundai ein PR-Desaster: Eine Tochtergesellschaft des südkoreanischen Autobauers hat in den USA Kinder beschäftigt. In einem Metallstanzwerk in Alabama greift die Polizei ein 13-jähriges Mädchen und ihre beiden 12 und 15 Jahre alten Brüder auf. Sie haben gearbeitet, anstatt in die Schule zu gehen.

Man halte sich an die Bundes-, Landes- und Kommunalgesetze, erklärt die Hyundai-Tochter Smart Alabama. Schuld sei eine Zeitarbeitsfirma. Der südkoreanische Autobauer selbst sagt, dass "keine illegalen Beschäftigungspraktiken in irgendeiner Hyundai-Einheit geduldet" werden.

Aber bald muss diese Art von Arbeit womöglich vermutlich gar nicht mehr "geduldet"" werden. Denn eine Reihe von US-Bundesstaaten unter republikanischer Führung will die Regeln und Kontrollen mit Blick auf Kinderarbeit nicht verschärfen, sondern lockern.

"Staat hat sich rauszuhalten"

Zum Beispiel hat die Gouverneurin des konservativen Arkansas, die frühere Trump-Sprecherin Sarah Huckabee Sanders, im März ein Gesetz unterzeichnet, dass die Gesetzeslage für minderjährige Arbeitskräfte neu regelt. Für Unternehmen wird es damit einfacher, Kinder unter 16 Jahren einzustellen. Denn dafür war bisher eine Sondergenehmigung nötig, in der festgehalten wurde, wie alt die Kinder sind, in welcher Abteilung sie wie lange beschäftigt werden sollen und natürlich, dass ihre Erziehungsberechtigten einverstanden sind.

Mit dem neuen Gesetz fällt diese Dokumentationspflicht in Arkansas weg. Schluss mit dieser Bevormundung, erklärt Philipp Adorf im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" die republikanische Denke. "Wenn die Eltern kein Problem damit haben, dass ihr Kind arbeiten geht, hat der Staat sich rauszuhalten", sagt der Politologe, der an der Universität Bonn zur republikanischen Partei forscht.

Kinder als Hausmeister?

Mit diesem Argument sind die Republikaner in Arkansas nicht allein. Auch im konservativen Iowa arbeiten sie an einer Deregulierung der Arbeitsgesetze. Speziell die Beschäftigungsmöglichkeiten von 14- und 15-Jährigen sollen ausgeweitet werden - auf Arbeitsstätten, die bisher als zu gefährlich gelten, wie zum Beispiel Schlachthäuser, Baustellen, Minen oder Abrissunternehmen.

Der Nachwuchs soll in Zukunft in diese Branchen "reinschnuppern" dürfen und als eine Art "Lehrling" oder "Auszubildende" wertvolle Erfahrung sammeln. Das sei eine "unglaubliche Möglichkeit für alle Beteiligten", erklärt Jason Schultz in der Lokalzeitung "The Gazette" den Plan. Der Politiker sitzt für die Republikaner im Senat von Iowa und hat den Gesetzentwurf im Januar eingebracht.

Auch diese Erklärung ist für Politologe Adorf nicht neu: Harte Arbeit ist eine Schule fürs Leben - so habe vor mehr als einem Jahrzehnt bereits Newt Gingrich argumentiert, einer der bekanntesten Republikaner der letzten 20 bis 30 Jahre. "Er wollte speziell Kindern aus armen Gegenden das Geld verdienen erleichtern, damit sie ein gewisses Arbeitsethos erlernen", sagt der Parteienforscher. "Gingrich war auch gegen Hausmeister an Schulen. Er wollte, dass Kinder diese Arbeit machen und sich damit etwas hinzuverdienen."

Arbeitswege bis 80 Kilometer

Doch ob Arkansas oder Iowa - für diese Schule müssen eifrige Jungarbeitskräfte womöglich einen Preis bezahlen. Sollte ihnen etwas bei der Arbeit passieren, sie sich verletzten oder übermüdet die Schule verschlafen, sind nicht länger die Unternehmen schuld, sondern nach republikanischer Vorstellung die Kinder selbst. Arbeitgeber werden in den Neuregelungen weitgehend aus der Verantwortung entlassen, selbst, wenn es zu tödlichen Unfällen kommen sollte: Sie haften nur noch bei "groben Verstößen" gegen die Aufsichtspflichten oder bei "absichtlichem Fehlverhalten".

So sieht das Gesetz in Iowa zwar vor, dass der Arbeitseinsatz die Gesundheit der Jugendlichen und ihre schulischen Verpflichtungen nicht beeinträchtigen darf. Wie genau das im Alltag sichergestellt werden soll, ist allerdings unklar. Klar geregelt sind dagegen nicht nur die potenziellen Arbeitsstätten, sondern auch die Arbeitszeiten: In Zukunft sollen 14- und 15-Jährige auch an Schultagen bis 21 Uhr arbeiten und eigenständig Arbeitswege von bis zu 80 Kilometern zurücklegen dürfen.

"Es ist verrückt"

"Es ist verrückt. Wir verhandeln hier Dinge, die schon vor 100 oder 140 Jahren abgeschafft wurden", zitiert die Lokalzeitung "The Gazette" aus Iowa einen Gewerkschaftsvertreter, der sich nicht vorstellen kann, dass die neuen Regeln nicht missbraucht werden.

Wo finde ich "Wieder was gelernt"?

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Alle Folgen von "Wieder was gelernt" finden Sie in der ntv-App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.

Doch die Republikaner sind überzeugt: Es ist für alle vorgesorgt, erklärt Parteienforscher Adorf ein weiteres Argument: Das Gesetz, das Missbrauch bei 40-Jährigen verhindert, funktioniert auch bei 14-Jährigen, fasst der Politologe die konservative Herangehensweise zusammen. Jugendliche brauchen demnach keinen besonderen Schutz, und außerdem: "Warum sollte ein Teenager nicht das Recht haben, genauso zu arbeiten wie ein 40-Jähriger?"

102 Kinder beschäftigt

Ein naives oder zynisches Argument, denn ganz offenbar reichen schon die aktuellen Gesetze nicht aus, um Kinder vor illegaler Beschäftigung zu schützen. Denn wie die "New York Times" berichtet, werden die geltenden Regeln regelmäßig missachtet. Die Zeitung hat bei Recherchen immer wieder Kinder vorgefunden, teilweise erst zwölf Jahre jung, die auf Baustellen, in Auto- und Fleischfabriken beschäftigt wurden.

Zahlen der US-Regierung legen nahe, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Erst im Februar wurde ein Reinigungsunternehmen bestraft, das Schlachthäuser putzt - und für diese Arbeit 102 Kinder zwischen 13 und 17 Jahren beschäftigt hatte. Nach Angaben des US-Arbeitsministeriums haben Jugendliche mit gefährlichen Chemikalien auch schärfstes Schneidewerkzeug gereinigt, mit dem zuvor noch Tiere zerlegt wurden.

Eine Win-win-Situation

Tatsächlich nehmen die Verstöße bei der Kinderarbeit schon seit einigen Jahren zu: Insgesamt wurden vergangenes Jahr 835 US-Unternehmen bestraft, die illegal mehr als 3800 Kinder beschäftigt hatten. Das waren 69 Prozent mehr Verstöße als noch vor fünf Jahren. Neben Hyundai wurden auch bekannte Fast-Food-Läden wie McDonald's oder Dunkin' Donuts erwischt.

Keine Absicht, sagen die Unternehmen anschließend häufig. Die zuständige Zeitarbeitsfirma habe einen Fehler gemacht, ein Dienstleister sei schuld. Viele orientieren sich inzwischen aber auch an den Republikanern und geben der Bevölkerung eine Mitschuld. Denn die werde angeblich immer fauler und habe einfach keine Lust mehr, in bestimmten Branchen zu arbeiten, fasst Philipp Adorf die Unterstellung zusammen: Wenn man Jugendlichen erlaubt, in diesen Bereichen etwas hinzuverdienen, wäre das eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.

130.000 Kinder ohne Begleitung

Tatsächlich hat der Wunsch nach mehr jugendlichen Arbeitskräfte also relativ wenig mit der Schule fürs Leben und Arbeitsethos zu tun, sondern speziell im Niedriglohnsektor mit vielen offenen Stellen, die nicht besetzt werden können. Und gerade für diese Art von Arbeit, bei der nur wenig Vorwissen notwendig ist, sind Kinder und Jugendliche die ideale Besetzung.

Mehr zum Thema

Vor allem, wenn sie keine amerikanische Staatsbürgerschaft besitzen und ganz allein in den Vereinigten Staaten unterwegs sind: Nach Angaben der "New York Times" kamen allein 2022 130.000 Kinder ohne Begleitung in die USA und damit fast dreimal so viele wie 2017. Nach der Schule geht es für sie nicht auf den Spielplatz oder zu Freunden, sondern zur Arbeit: Sie reinigen Schlachthäuser und Hotelzimmer, decken Dächer oder stehen schon im Alter von 12 Jahren bei Hyundai am Band. Bald womöglich ganz legal. Denn Republikaner wie Sarah Huckabee Sanders, Mutter von drei kleinen Kindern, will, dass sie etwas lernen.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

Alle Folgen finden Sie in der ntv-App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.

Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcasts@ntv.de

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen