"Antiquierte Führungsmethoden" bei der Bundeswehr Robbe fordert radikales Umdenken
17.05.2011, 14:17 Uhr
Reinhold Robbe, kritisch.
(Foto: picture alliance / dpa)
Reinhold Robbe kritisiert die Bundesregierung scharf. "Man hat sich nicht für die Bundeswehr verantwortlich gefühlt", sagt der ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestages im Interview mit n-tv.de. Die Truppe habe völlig veraltete Strukturen, und sei weit davon entfernt modern zu sein. Bei einer Wiedereinführung der Wehrpflicht "werden wir gewaltige Aufstände in unserer Republik erleben", so der SPD-Politiker. Der Staat müsse stattdessen aktiv um Rekruten werben - auch an Schulen.
n-tv.de: Herr Robbe, Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière soll bei der Sitzung des Unionsfraktionsvorstands gesagt haben: "Die Bundeswehr ist gegenwärtig nicht zu führen - auch nicht von mir." Er berichtete von aufgeblähter Bürokratie, von Stäben, deren Existenzzweck nur die Kontrolle anderer Stäbe ist. Das sind drastische Worte. Wie kann es zu solchen Zuständen kommen?
Reinhold Robbe: Die Reaktionen und die Betroffenheit von einigen Vertretern des Regierungslagers auf die Äußerungen des neuen Verteidigungsministers zeigen, dass man sich in der Vergangenheit offensichtlich nicht besonders für die Bundeswehr verantwortlich gefühlt haben muss. Die Strukturmängel der Bundeswehr sind seit vielen Jahren bekannt. Tatsache ist, dass alle Warnrufe, die unter anderen auch von mir kamen, ganz bewusst oder unbewusst ignoriert wurden.
Welche Warnungen?
Diese Bundeswehr darf sich nicht modern nennen. Wegen völlig veralteter Strukturen, völlig antiquierter Führungsmethoden und anderen Dingen, die ich in meinem Bericht sehr deutlich gemacht habe. Diese Warnungen wurden in den Wind geschlagen - und man meinte, es würde sich schon irgendwie zurechtschaukeln. Der ehemalige Verteidigungsminister zu Guttenberg hat zwar die richtigen Fragen gestellt, aber die Reform leider vollkommen falsch angepackt. Deswegen haben wir es jetzt mit einer eskalierenden Situation zu tun. Die Wehrpflicht ist abgeschafft und das benötigte Personal bleibt offensichtlich weg, weil die von der Bundeswehr angebotenen Konditionen nicht ausreichen. Alle diese Probleme waren absehbar - sie wurden nur nicht zur Kenntnis genommen.
Sie spielen auf Guttenbergs politischen Köder innerhalb der Bundesregierung an, dass die Bundeswehrreform Geld spare, statt Geld zu kosten.
Diese Begründung war falsch. Es war zudem eine bewusst falsch gewählte, das muss man ihm unterstellen. Ansonsten hätte Guttenberg nicht glänzen und sein eigenes politisches Lager nicht hinter sich bringen können. Deshalb hat er gesagt: Wir müssen sparen, also reformieren wir die Bundeswehr und bekommen mehr Geld in die Kasse. Genau das Gegenteil ist jedoch der Fall, wie auch jeder in der Bundeswehr seit langer Zeit weiß.
Nun ist die Wehrpflicht ausgesetzt, doch im März und April interessierten sich nur 0,4 Prozent von knapp 500.000 Männern für den Freiwilligendienst der Bundeswehr. Warum?
Weil der Wehrdienst im Bewusstsein der jungen Bevölkerung offensichtlich schon nicht mehr vorhanden ist. Bisher wurden sie eingeladen zur Musterung und entsprechend eingezogen. Alles ging also aktiv vom Staat aus. Nun wird nicht mehr gemustert, nicht mehr eingezogen - also meldet sich freiwillig auch kaum jemand. Der Staat steht heute vor einer ganz neuen Aufgabe: Er muss aktiv auf die Leute zugehen und sie gewinnen. Das passiert aber nicht nur mit guten Argumenten, sondern auch mit harten Fakten und finanziellen Anreizen.
Erste Schulen sperren Bundeswehrvertreter aus, die um Rekruten werben wollen - es sei nicht mit den Bildungsidealen vereinbar, so die Begründung. Ist das legitim?
Hier sind auch die Parlamente und Regierungen der Länder in der Verantwortung. Dieses Thema muss auf die Kabinettstische. Die Kultusminister müssen für die Zugänge zu den Schulen sorgen, damit es gleiche Voraussetzungen gibt. In den einzelnen Bundesländern gibt es sehr unterschiedliche Beschlüsse und Empfehlungen. Ich bin jedoch dagegen, mit der Brechstange vorzugehen. Hier kann es auch neue Wege geben, etwa im politischen Unterricht der Schulen. Zum Beispiel könnte ein Jugendoffizier gemeinsam mit einem Vertreter von Aktion Sühnezeichen (Freiwilligendienst der Friedensbewegung, Anm. d. Red.) in die Klassen gehen, um für eine ausgewogene Debatte zu sorgen. Dann gäbe es eine richtige Diskussion über die außen- und sicherheitspolitischen Notwendigkeiten eines modernen Staates. Die Wege aus der Vergangenheit reichen da nicht mehr aus, als die Offiziere an den Schulen das machen mussten, wozu die Politik nicht den Mut hatte.
Auf der anderen Seite des Atlantiks gibt es viele Ansätze, um Rekruten anzuwerben - da werden Computerspiele programmiert, Hollywoodfilme mitfinanziert, große Werbeveranstaltungen organisiert - müssen wir uns auch ähnlich Zustände einstellen?
Das Werbebudget des US-Militärs wird auf 1,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt. Diese Summe lässt sich sicher nicht auf unsere Verhältnisse in Deutschland übertragen. Wir dürfen uns jedoch nichts vormachen: Es bedarf eines ganz neuen Denkens, auch was die Rekrutierung des Nachwuchses angeht. Wer eine moderne Bundeswehr haben will, und mit diesem Anspruch ist auch Herr de Maizière angetreten, der muss nüchtern und realistisch erkennen, was finanziell notwendig ist. Mit Hin- und Herschiebereien im Haushalt ist das nicht zu machen. Die Aufstellung einer Berufsarmee muss ehrlich, offen und transparent passieren. Wer jetzt unbequeme Wahrheiten verschweigt und dann in ein oder zwei Jahren kommen die großen finanziellen Nachforderungen kommt, wird die Quittung spätestes bei der nächsten Wahl bekommen. Dies passiert, wenn wie in Vergangenheit wieder nur eine halbe Reform gemacht wird, wenn Dinge ausgeklammert und auf die lange Bank geschoben werden.
Hat die Wehrpflicht trotz dieser Probleme ausgedient, befinden wir uns auf dem richtigen Weg?
Die Wehrpflicht hat ausgedient, weil die Mehrheit im Bundestag beschlossen hat, sie auszusetzen. Sie wird künftig niemals wieder eingeführt werden können. Wenn irgendwelche Schlaumeier Szenarien für sich entdecken, die es für die Zukunft wieder möglich machen sollen, kann ich nur sagen: Diese Leute sind so weit von der Realität weg, wie es weiter gar nicht sein kann. Mit ihrer Aussetzung ist die Wehrpflicht de facto abgeschafft. Ich möchte die Regierung sehen, die antritt und sagt, wir setzen sie wegen bestimmter Probleme wieder ein. Dann werden wir in unserer Republik gewaltige Aufstände erleben. Politisch wäre das nicht durchsetzbar.
Neuanschaffungen von Material dauern nach Aussage de Maizières mit den derzeitigen Prozessen 15 bis 40 Jahre. Das klingt, als würde man einen Trabant bestellen und dann darauf hoffen, dass er schnell fertig wird.
Hier gilt es zu differenzieren. Wenn ein neues Flugzeug für die Luftwaffe, wie etwa der Eurofighter eingeführt werden soll, dann sind das von der ersten Zeichnung auf dem Reißbrett bis zum fertigen Kampfjet auf der Startbahn Zeiträume von 20 Jahren. Bei derart großen und technisch komplizierten Projekten ist das normal. Ein anderes Beispiel: Zur Einführung eines neuen Pistolenhalfters, eines sehr überschaubaren technischen Produktes, benötigt die Bundeswehr mehr als zwei Jahre. Die Industrie könnte das innerhalb von wenigen Monaten auf den Markt bringen. Das macht deutlich, weshalb diese Armee auch wegen ihrer doppelten Strukturen nicht so arbeiten und sich nicht so aufstellen kann, wie das notwendig wäre.

Der Nachwuchs fehlt: Rekruten beim Gelöbnis am Kyffhäuserdenkmal bei Steinthaleben.
(Foto: picture alliance / dpa)
Doppelte Strukturen?
Diesen ganz wichtigen Punkt habe ich auch von Verteidigungsminister de Maizière bisher noch nicht gehört: Die Trennung von Truppe und Truppenverwaltung. Wir leisten es uns bis heute, dass die Verwaltung der gesamten Bundeswehr von der eigentlichen uniformierten Truppe getrennt geführt wird. Das heißt: Wir haben in allen Bereichen Doppelstrukturen, doppelte Entscheidungswege, viel zu lange Prozesse. Das macht einen großen Teil der Probleme aus, die wir beklagen. Ich warne aber davor, denen die Schuld zu geben, die heute in der Bundeswehr ihren Dienst tun. Hier ist die Politik in der Verantwortung. Sicher auch die militärische Führung, die lange Zeit die Augen vor der Realität verschlossen und einfach abgenickt hat, was die Politik an Vorgaben gemacht hat. Die Bundeswehr ist derart verkrustet, dass gewaltige Anstrengungen unternommen werden müssen.
Welche Anstrengungen?
Hier hat der Minister offenbar nicht den Mut, sich gegen die Bürokratie und gegen die starke Beamtenlobby durchzusetzen. Ich fürchte, dass er in diesem Punkt einknicken und sagen wird: Das machen wir weiter so, weil es so im Grundgesetz steht. Die eigenständige Truppenverwaltung hat vielleicht in den 1950er Jahren noch Sinn gemacht, aus Angst vor einem Staat im Staate; sie ist inzwischen aber völlig überflüssig. Ohne diese Trennung gäbe es eine viel schlankere, stringentere und damit auch besser ausgerichtete Bundeswehrstruktur.
Im Artikel 87a des Grundgesetzes heißt es: "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf." Herr de Maizière will offenbar die Aufgaben der Bundeswehr neu definieren – sie soll auch zum Einsatz kommen, wenn "nicht deutsche Interessen" vertreten werden. Ist das politisch durchsetzbar?
Wir sind auch Bündnispartner in der NATO und Mitglied der Vereinten Nationen. Wenn die UN an Deutschland die Bitte richtet, sich an einer internationalen Friedensmission zu beteiligen, ist die schlichte Frage: Wollen wir oder nicht? Vielleicht kann Herr Westerwelle das besser beantworten, aber: Es wäre für die internationale Staatengemeinschaft überhaupt nicht nachvollziehbar, wenn die Bundesrepublik auf der einen Seite eine bedeutende Wirtschaftsnation in der Welt sein will, sich andererseits aber nicht an derartigen Einsätzen beteiligen möchte. Das ist schlichtweg nicht möglich.
Sondern?
Wir werden in Zukunft als führende internationale Macht auch unsere Verpflichtungen bei sämtlichen Einsätzen haben, die völkerrechtlich, also durch einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates legitimiert sind. Und wer weiß schon, was in Zukunft passiert - wenn etwa, wie bei der Zerstörung des World Trade Centers, der Beistandsartikel des NATO-Paktes in Kraft tritt. Dann steht die Bundeswehr automatisch mit in der Pflicht. Die Verantwortlichen dürfen sich nichts in die Tasche lügen: Die Bundesregierung muss auf alle Szenarien vorbereitet sein und darf nicht so tun, als wenn wir auf einer Insel der Glückseligen sind und uns auf die Verteidigung unserer eigenen Grenzen zurückziehen könnten.
Bundesaußenminister Westerwelle und die Bundesregierung haben sich in Bezug auf Libyen also falsch entschieden?
Meiner Auffassung nach ganz klar, Ja.
De Maizière will die Pläne zur Bundeswehrreform am 18. Mai vorstellen. Was erwarten Sie, was erhoffen Sie sich?
Ich bin da im Laufe der Zeit sehr bescheiden geworden. Ich erhoffe mir, dass er eine ehrliche Bestandsaufnahme vorlegt, nichts kaschiert und nicht die Augen vor der Realität verschließt. Ich hoffe, dass der präsentierte Rahmen deckungsfähig ist - mit dem finanziellen Rahmen und den Anforderungen der Bündnispartner an Deutschland. Wenn es hier keine Übereinstimmung gibt, sind Zielkonflikte vorprogrammiert.
Das Konzept steht und fällt also mit der Finanzierung?
Es ist einer der beiden wichtigen Faktoren. Der andere ist eine offene und ehrliche Bestandsaufnahme, unter den von mir genannten Kriterien.
Mit Reinhold Robbe sprach Roland Peters
Quelle: ntv.de