Treffen mit Gaddafi-Gesandten Russland lehnt Vermittlung ab
17.05.2011, 17:37 UhrMoskau will nicht zwischen Regime und Rebellen in Libyen vermitteln. Gleichwohl wird ein Ende der Gewalt gegen Zivilisten gefordert. Unterdessen greifen NATO-Kampfjets wieder Regierungsgebäude in Tripolis an. Die UN fordert eine Kampfpause, um vor allem die Hunderttausenden Vertriebenen zu versorgen.

Nach Angaben des Regimes wurde dieses Gebäude bei NATO-Luftangriffen getroffen - und brannte aus.
(Foto: dpa)
Russland hat eine Vermittlerrolle im Libyenkonflikt abgelehnt. Das machte Außenminister Sergej Lawrow bei einem Treffen mit Gesandten des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi in Moskau deutlich. "Wir unterstützen die Bemühungen der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union, aber wir übernehmen keine Vermittlerrolle zwischen der Regierung in Tripolis und der Opposition", sagte Lawrow nach Angaben der Agentur Interfax. Er forderte die Führung des nordafrikanischen Landes erneut auf, die Truppen aus den Städten abzuziehen. Die libyschen Regierungsvertreter verlangten ihrerseits ein sofortiges Ende der NATO-Luftangriffe.
Der russische Außenminister sprach sich für einen baldigen Waffenstillstand in Libyen und einen "Dialog der Konfliktparteien zur nationalen Versöhnung" aus. Die Vetomacht Russland hatte sich bei der Abstimmung über eine Flugverbotszone über dem nordafrikanischen Land im UN-Sicherheitsrat enthalten. Die Moskauer Regierung zeigte sich zudem bereit, die Abgesandten des oppositionellen Nationalen Übergangsrats zu empfangen, sagte Lawrow.
Rebellen im Grenzgebiet getötet
An der libysch-tunesischen Grenze wurden bei Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Rebellen acht Aufständische getötet und 15 weitere verletzt. Wie eine regierungsnahe Quelle in Tunis weiter mitteilte, wurden die Opfer in das Krankenhaus am Grenzübergang Dehiba im Süden Tunesiens gebracht. Nach Angaben eines Vertreters des Roten Halbmonds schlugen in dem Gebiet etwa 20 libysche Granaten auf tunesischem Staatsgebiet ein.
Die tunesische Regierung protestierte scharf gegen den Granatenbeschuss und schloss nicht aus, den Fall vor die UNO zu bringen. Die amtliche Nachrichtenagentur TAP meldete, der tunesische Botschafter in der libyschen Hauptstadt Tripolis sei angewiesen worden, die libysche Seite entsprechend zu unterrichten.
Rätselraten um Ghanim
Widersprüchlich gestalteten sich auch die Angaben zum Vorsitzenden der staatlichen Ölgesellschaft NOC, Schukri Ghanim, der auf der tunesischen Ferieninsel Djerba eintraf. Nach Oppositionsangaben hat er sich vom Regime in Tripolis abgewendet. Gaddafi-Offizielle sprachen von einer Dienstreise des libyschen "Öl-Zaren". Ghanem, der auch lange Ministerpräsident war, steht auf der schwarzen Liste des US-Finanzministeriums. Alle seine Guthaben in den USA sind daraufhin eingefroren worden.
Der 68-Jährige befinde sich in einem Hotel mit anderen Vertretern der Regierung, hieß es aus tunesischen Sicherheitskreisen. Einer anderen Quelle zufolge war der oberste Öl-Funktionär auf dem Weg in die Hauptstadt Tunis. Sollte sich die Nachricht bestätigen, wäre das ein schwerer Rückschlag für Gaddafi.
Offizielle tunesische Stellen bestätigten, dass Ghanim auf Djerba eingetroffen ist. Zum Zweck und zur Natur seiner Reise verlautete nichts. Ein Sprecher des Übergangsrates in Bengasi sagte, Ghanim habe sich den Aufständischen angeschlossen. In Oppositionskreisen hatte es schon vor Wochen geheißen, er wolle Tripolis verlassen. Er habe jedoch bislang keine Gelegenheit dazu gefunden, da mittlerweile alle Top-Funktionäre, an deren Loyalität Zweifel bestünden, streng überwacht würden.
Tripolis wieder bombardiert
NATO-Kampfflugzeuge bombardierten unterdessen erneut Ziele in der libyschen Hauptstadt Tripolis. Nach Angaben aus libyschen Oppositionskreisen wurden zwei Einrichtungen der Geheimdienste des Machthabers Muammar al-Gaddafi getroffen. Bilder des staatlichen libyschen Fernsehens zeigten Gebäude in Flammen mitten in Wohngebieten.

Der internationale Haftbefehl gegen Machthaber Gaddafi basiert laut Libyens Regierungssprecher auf Medienberichten.
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Auch das Militärlager Bab al-Asisija, in dem sich Gaddafi häufig aufzuhalten pflegte, bekam Treffer ab, berichteten Augenzeugen. Nach Darstellung des Regierungssprechers Mussa Ibrahim handelte es sich bei den getroffenen Gebäuden um eine Polizeiwache und ein Amt der Anti-Korruptionsbehörde.
Die NATO kommentierte die jüngsten Angriffe in Tripolis nicht substanziell. Das nordatlantische Bündnis betrachte Gebäude, in denen Angriffe auf die libysche Zivilbevölkerung geplant und koordiniert würden, als legitime militärische Ziele, sagte Sprecherin Oana Lungescu in Brüssel. "Jedes Ziel, das wir angreifen, ist ein militärisches Ziel." Der libysche Regierungssprecher Ibrahim erklärte: "Wenn die NATO die Zivilbevölkerung schützen will, soll sie ihre Angriffe beenden und mit uns reden".
Keine Ausweitung der Angriffe
Die NATO lehnte es zudem ab, sich zur Forderung nach einer Ausweitung der Bombenangriffe zu äußern. "Wir reden nicht über Details des Einsatzes", sagte Bündnissprecherin Oana Lungescu in Brüssel. Der Chef der britischen Streitkräfte, General David Richards, hatte gefordert, auch die Infrastruktur Libyens müsse angegriffen werden. Es reiche nicht aus, militärische Ziele zu bombardieren. Ebenso wie Lungescu sagte der Sprecher des internationalen Militäreinsatzes, der britische Oberstleutnant Mike Bracken, das Bündnis halte sich "strikt" an das Mandat des UN-Sicherheitsrates.
Der Haftbefehl des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen Gaddafi basiert nach Auffassung der libyschen Regierung auf Medienberichten. Dadurch seien "zusammenhanglose Schlüsse" gezogen worden, erklärte Regierungssprecher Ibrahim. Seit Beginn des Konflikts in Libyen stütze sich der IStGH auf Medienberichte, um die Situation in dem Land zu beurteilen, kritisierte er. IStGH-Chefankläger Luis Moreno-Ocampo hatte zuvor Haftbefehl gegen Gaddafi, dessen zweitältesten Sohn Seif el Islam und den Chef des libyschen Geheimdienstes beantragt.
Vertrieben brauchen dringend Hilfe
Die Vereinten Nationen fordern indes eine "humanitäre Pause" bei den Kriegshandlungen in Libyen. "Wir brauchen die Möglichkeit, etwa (die umkämpfte Stadt) Misrata zu Land und zu Wasser zu erreichen", sagte der für Libyen zuständige Koordinator des UN-Büros für humanitäre Hilfe (Ocha), Panos Moutzis, in Genf. Vor allem den etwa 250.000 innerhalb des Landes Vertriebenen müsse dringend geholfen werden. Misrata sowie die westlichen Berggebiete seien dabei die größte Sorge, weil dort die Not am größten sei, sagte der Koordinator. Nach diesen Angaben sind seit Ausbruch der gewalttätigen Auseinandersetzungen 750.000 Menschen aus Libyen geflohen.
Seit Beginn der Kämpfe sind nach UN-Angaben etwa 14.000 Menschen aus Libyen nach Italien und Malta geflohen. Davon seien fast 1700 am vergangenen Freitag und Samstag angekommen, sagte die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Melissa Fleming, in Genf. Das UNHCR-Personal stellte außerdem fest, dass hunderte Menschen, die zunächst nach Tunesien oder Ägypten geflohen waren, nach Libyen zurückkehrten, um von dort mit Schiffen nach Europa zu gelangen. Laut UNHCR gelten 1200 Menschen, die das Mittelmeer überqueren wollten, seit dem 25. März als vermisst.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP