Unionsstreit als Chance? SPD - Seriöse Partei Deutschlands
26.06.2018, 17:18 Uhr
Wollen die SPD aus der Krise führen: Parteichefin Nahles und Vizekanzler Scholz.
(Foto: picture alliance / Wolfgang Kumm)
Die Sozialdemokraten halten sich im Unionsstreit auffallend bedeckt. Die Zurückhaltung dient einem Zweck: Die SPD will in der Koalition Verlässlichkeit demonstrieren und so zeigen, dass sie besser ist als ihr Ruf.
So lange ist es noch gar nicht her. Im Oktober 2017 sagte Angela Merkel beim Deutschlandtag der Jungen Union: "Es ist offenkundig, dass die SPD auf Bundesebene auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig ist." Das kränkte viele Sozialdemokraten, zumal die Kanzlerin die SPD schließlich doch noch als Koalitionspartner brauchte. Einer gewissen Ironie entbehrt Merkels Aussage auch mehr als acht Monate später nicht. Die neue Bundesregierung ist erst gut 100 Tage im Amt, da wird sie durch den Unionsstreit von schweren Turbulenzen erschüttert. Die SPD will die Gelegenheit nutzen - um zu zeigen, dass sie sehr wohl regierungsfähig ist.
Dabei ist die Lage auch für die Genossen nicht leicht. Die Partei ist mit großen Vorbehalten in das Bündnis gestartet und mit dem Vorsatz, diesmal vieles anders und möglichst besser zu machen - was bisher nicht wirklich gelungen ist. In den Koalitionsverhandlungen setzte die SPD inhaltlich einiges durch und sicherte sich wichtige Ressorts. Aber vieles wie die Brückenteilzeit, die Milliarden-Investitionen in Bildung oder die Rückkehr zur paritätischen Krankenversicherung wird nun vom übergroßen Thema Flüchtlinge überlagert. Viele GroKo-Kritiker sehen sich schon darin bestätigt, dass es ein Fehler war, erneut eine Große Koalition zu bilden.
Eigentlich wollte sich die SPD in der Regierung von der Union absetzen, was jedoch zurzeit kaum möglich ist. Die Partei vertritt denselben Kurs der Flüchtlingspolitik wie die Kanzlerin, fordert ebenfalls eine Reform der Dublin-Verordnung und eine europäische Lösung. Die SPD ist dadurch erneut in der absurden Situation, Merkel öffentlich gegen Kritik aus der eigenen Partei zu verteidigen - was in der Flüchtlingskrise 2015/2016 schon ein Problem war, weil es die Profilierung erheblich erschwert hat. In den vergangenen Wochen wirkte die Partei bisweilen fast, als sei sie unsichtbar. "Alle Lösungen müssen am Ende noch mit uns in Übereinstimmung gebracht werden", sagte Parteichefin Andrea Nahles am Montag. Es klang fast so, als müsste sie daran erinnern, dass die SPD auch in der Regierung sitzt.
"Verrohung des politischen Stils"
Die passive Rolle ist gewissermaßen jedoch sogar beabsichtigt. Statt sich in den Streit einzumischen und den Frust auf sich zu ziehen, was dazu beitragen könnte, dass sich die Reihen von CDU und CSU wieder schließen, will die SPD-Führung sich lieber zurückhalten. Abseits der streitenden Unionsparteien wollen sich die Genossen in schwierigen Zeiten als der verlässliche und regierungsfähige Teil der Koalition präsentieren. Chaos und Streit auf der einen Seite, Seriosität auf der anderen - dieser Kontrast soll dadurch noch deutlicher werden und die SPD für die Wähler wieder attraktiver werden lassen. "Viele Menschen schütteln den Kopf über das, was zurzeit in der Union passiert", sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil n-tv.de. "Jetzt rächt sich, dass CDU und CSU ihre internen Konflikte nie geklärt haben. Wir erleben gerade eine Verrohung des politischen Stils."
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, besagt ein altes Sprichwort. Für die SPD zahlt sich das bisher noch nicht aus. Obwohl CDU und CSU in Umfragen abrutschen, gelang den Sozialdemokraten nur bei einem der sieben großen Meinungsforschungsinstitute ein größerer Satz. Bei Insa kletterte sie innerhalb von vier Wochen von 16,5 auf 19,5 Prozent. Die neueste Forsa-Umfrage offenbarte derweil erneut das alte Problem: Die SPD kann von der Schwäche der Union nicht profitieren. Das liegt auch daran, dass ihr nach wie vor nur wenige Menschen zutrauen, mit den Problemen in Deutschland am besten fertig zu werden.Womöglich wirkt sich der Unionsstreit in den Umfragen erst verzögert in ein paar Wochen aus, das hoffen zumindest die Strategen in der SPD-Zentrale. Da es inhaltlich so schwierig ist, wollen sich die Sozialdemokraten zumindest stilistisch gegen die Union profilieren. Noch Mitte Juni bezeichnete Nahles den bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder als "Bonsai-Trump". Attacken wie diese sind jedoch die Ausnahme. Im ohnehin schon lauten Unionsstreit will man weder in einen Überbietungswettbewerb einsteigen noch in feixendes Triumphgeheul verfallen.
"Wir sind hier nicht im Kindergarten"
Nahles war am Montag sichtlich bemüht, möglichst ruhig und sachlich zu wirken. Die SPD stehe für Vernunft, Realismus, Humanität und Europa, betonte sie. Die SPD-Chefin will weder rote Linien, noch mit dem Boykott von CSU-Projekten drohen. "Wir sind hier nicht im Kindergarten", sagte sie darauf angesprochen. Mit Ultimaten zu arbeiten sei ein ganz schlechter Stil, "insbesondere mit der eigenen Schwesterpartei", stichelte Nahles Richtung CDU und CSU. Heute Abend treffen sich die Regierungsparteien. Die SPD hat einen Koalitionsausschuss beantragt. Man will dort einen Eindruck gewinnen vom Zustand der Union, Klarheit erhalten, wie es weitergeht. Die SPD will weder Paartherapeut noch Vermittler sein. Nahles sagt jedoch auch: So wie es in den vergangenen Wochen gelaufen ist, "werden wir das nicht akzeptieren".
Die Parteiführung wappnet sich auch für den Fall, dass es knallt und die Koalition zerbrechen sollte. "Die SPD ist auf alle Szenarien vorbereitet", sagt Klingbeil, dem als Generalsekretär die Organisation einer Kampagne obliegt. Dass die Partei erneut unvorbereitet in einen Wahlkampf stolpert, soll nicht wieder passieren. Dennoch lösen Neuwahlen alles andere als Euphorie aus, wenn man in der SPD nachfragt. Die Monate nach der Wahl waren kraftzehrend, die Neuausrichtung ist längst nicht abgeschlossen. Zugleich wäre es nicht ausgeschlossen, dass die Partei die 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl sogar unterbietet. Auch viele Sozialdemokraten sind völlig unsicher, welche unvorhersehbaren Dynamiken ein Sturz Merkels zur Folge hätte.
Mögliche Neuwahlen führen die Partei zwangsläufig auch zu der Frage nach einem Kanzlerkandidaten. Ein Thema, mit dem die SPD in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen gemacht hat. Ob sie von ihrem Erstzugriffsrecht Gebrauch machen würde, wurde Nahles in dieser Woche von einem Journalisten gefragt. "Diese Frage stellt sich nicht", entgegnete sie grinsend und wohl wissend, was passiert wäre, wenn sie über dieses Stöckchen gesprungen wäre. In der SPD sind sie gerade nicht undankbar, dass jetzt mal andere im Scheinwerferlicht stehen.
Quelle: ntv.de