Bundesbank zögert noch SPD will Sarrazin rauswerfen
30.08.2010, 10:14 Uhr
Sarrazin ist ein PR-Stratege: Mit seinen kruden Aussagen bringt er sein neues Buch überhaupt erst ins Gespräch.
(Foto: dpa)
Streitbar war er schon immer, für seine Genossen ist Thilo Sarrazin nun aber zu weit gegangen. Einstimmig beschließen SPD-Präsidium und Vorstand die Einleitung eines Parteiordnungsverfahrens gegen ihn. Sarrazin sieht keine Gründe für den Ausschluss und will auch den Job bei der Bundesbank behalten. Doch auch dort wäre man ihn gern los.
Nach seinen umstrittenen Äußerungen hat die SPD ein Parteiausschlussverfahren gegen den früheren Berliner Finanzsenator und jetzigen Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin eingeleitet. SPD-Präsidium und Parteivorstand beschlossen einstimmig die Eröffnung eines Parteiordnungsverfahrens mit dem Ziel, den 65-Jährigen auszuschließen.
Sarrazin habe sich mit seinen Äußerungen über Ausländer und Migranten "außerhalb der sozialdemokratischen Partei und Wertegemeinschaft begeben," sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel nach den Beratungen der Parteigremien in Berlin.
Krisensitzung bei der Bundesbank

Bundesbank-Chef Weber wird sich klar positionieren müssen.
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Der Vorstand der Bundesbank distanzierte sich "entschieden von den diskriminierenden Äußerungen" Sarrazins, verzichtet vorerst aber auf einen Antrag auf Entlassung. Sarrazin habe sich mehrfach und nachhaltig provokant geäußert, insbesondere zu Themen der Migration. Sarrazin gebe darin nicht die Ansichten der Deutschen Bundesbank wieder. Seine Äußerungen störten aber zunehmend den Betriebsfrieden und ließen Rücksicht auf die Pflichten seines Amtes vermissen. Der Bundesbankvorstand werde nun "unverzüglich" ein Gespräch mit Sarrazin führen, ihn anhören und "zeitnah" über weitere Schritte entscheiden, teilte die Bundesbank mit.
Gabriel und FDP-Generalsekretär Christian Lindner hatten "Konsequenzen" von der Bundesbank gefordert. Auch die Bundesregierung sieht die Bundesbank am Zuge. Sie sehe das nationale und internationale Ansehen der Bundesbank durch die Äußerungen Sarrazins beeinträchtigt, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.
Keine Unstimmigkeiten
Sarrazin selbst verteidigte bei der Vorstellung seines Buches "Deutschland schafft sich ab" in Berlin seine Thesen zur Integration. "Ich lade alle ein, Unstimmigkeiten in meiner Analyse zu finden", sagte der frühere Berliner Finanzsenator. Das werde aber nicht einfach sein. Er zeigte sich entschlossen, Posten und Parteibuch zu behalten. "Ich bin in einer Volkspartei und werde in einer Volkspartei bleiben, weil ich meine, dass diese Themen in eine Volkspartei gehören", sagte er vor Journalisten aus dem In- und Ausland. Er gehe auch davon aus, dass er noch in einem Jahr im Bundesbankvorstand sitzen werde. "Natürlich kenne ich meinen Dienstvertrag, und ein Mitarbeiter der Deutschen Bundesbank, und auch ein Bundesbankvorstand, hat wie jeder andere Bürger das Recht, auf Gebieten, die nicht seinem dienstlichen Obliegenheitenkreis gehören, sich frei zu äußern."
Sarrazin bekräftige seine Warnung, dass die Deutschen wegen der niedrigen Geburtenrate zu "Fremden im eigenen Land" werden könnten und warf Einwanderern aus muslimischen Ländern mangelnde Integration vor. "Dafür ist die Herkunft aus der islamischen Kultur verantwortlich", sagte er. Er forderte höhere Hürden für Einwanderer und größeren Druck auf Ausländer in Deutschland. Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wies er indirekt zurück. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Merkel das Zeitbudget hat, dass sie schon meine 464 Seiten gelesen hat."
Protest und Zuspruch
Während Sarrazin sprach, protestierten vor der Tür etwa 150 Menschen. Der Ökonom wiederholte auch seine umstrittene Aussage vom Wochenende über das Erbgut von Juden und Basken. "Neue Untersuchungen offenbaren die gemeinsamen genetischen Wurzeln der heute lebenden Juden. Das ist ein Faktum." Daraus ergäben sich aber weder negative noch positive Zuschreibungen. An die Adresse seiner Kritiker sagte Sarrazin: "Einigen passt nicht, dass ich mit meinem Buch an der Debatte teilnehme. Offenbar gibt es den Versuch einer gewissen bürgerlichen Hinrichtung aus gewissen Ecken."
Der frühere Vize-Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, warf Sarrazin unhaltbare Verallgemeinerungen vor. "Man kann den Menschen nicht auf sein Erbgut allein reduzieren." Es gehe vor allem um das Wie der Äußerungen Sarrazins. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Ayyub Axel Köhler, nannte Sarrazin den "Inbegriff des hässlichen Deutschen". "Er hat dem Ruf unseres Landes mit seinen rassistischen und menschenverachtenden Äußerungen schweren und nachhaltigen Schaden zugefügt", sagte Köhler der Nachrichtenagentur dpa. "Sarrazin verführt, er ist populistisch und appelliert an die niederen Instinkte der Bevölkerung."
Die türkischstämmige Sozialwissenschaftlerin Neclá Kelek, die das Buch vorstellte, nahm Sarrazin dagegen in Schutz. "Hier hat ein verantwortungsvoller Bürger bittere Wahrheiten drastisch ausgesprochen und sich um Deutschland einen Kopf gemacht", sagte Kelek. "Um diesen Kopf soll Thilo Sarrazin offensichtlich jetzt kürzer gemacht werden.""
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts