Sünden an Europas Zukunft Schily warnt München und Prag
20.05.2002, 19:16 UhrBundesinnenminister Otto Schily (SPD) hat Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber vorgeworfen, die deutsch-tschechischen Beziehungen aus Wahlkampfgründen zu belasten. "Scharfmacherische, gefährlich nationalistisch gefärbte Reden", wie Stoiber sie auf dem Pfingsttreffen der Sudetendeutschen gehalten habe, seien mit "verantwortungsvoller Europapolitik" unvereinbar, erklärte Schily am Montag in Berlin. Es diene nicht der Verständigung zwischen Deutschen und Tschechen, wenn der CSU-Chef den EU-Beitritt Prags von Entschädigungen und Rückübereignungen von Vermögen abhängig mache.
Gleichwohl warf Schily auch tschechischen Politikern vor, aus Wahlkampfgründen kurzsichtig zu handeln. "Wer immer auf deutscher und tschechischer Seite um kleinlicher parteipolitischer Vorteile willen den Streit statt der Verständigung sucht, versündigt sich an der europäischen Zukunft", sagte der SPD-Politiker. Indirekt kritisierte er damit Äußerungen des tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman zur nachträglichen Rechtfertigung der Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. "Törichte Äußerungen aus Prag" müssten ebenfalls zurückgewiesen werden, so Schily.
Zeman hatte am Sonntag bei einem Trauerakt in der Gedenkstätte Terezin (Theresienstadt) gesagt, weder die tschechische noch die slowakische Nation hätten die direkten oder indirekten Schuldigen des Weltkriegs nach Theresienstadt, Majdanek, Auschwitz oder in andere Konzentrationslager geschickt, sondern ihnen im Gegenteil "einen Wunsch erfüllt": "Sie wollten 'heim ins Reich', und dahin gingen sie auch."
In seiner Rede kritisierte der tschechische Sozialdemokrat auch Eigentumsforderungen von Seiten der Vertriebenen: "Ein Erfüllen solcher Ansprüche wäre gegen das Gedenken jener, die in Theresienstadt starben oder eingesperrt waren."
Stoiber hatte in Nürnberg den Beitritt Tschechiens zur EU von der Aufhebung der Benes-Dekrete abhängig gemacht, die 1945 die Ausweisung von drei Millionen Sudetendeutschen legitimierten. Schily hatte am Pfingstwochenende ebenfalls vor den Vertriebenen in Nürnberg gesprochen und dabei als erstes Mitglied der rot-grünen Bundesregierung die Aufhebung dieser Dekrete gefordert. Eine solche Forderung sei im Sinne einer symbolischen Geste gerechtfertigt, so Schily, als Anerkennung, dass die Vertreibung Unrecht war. Wer aber wie Stoiber damit Entschädigung und Rückübereignung verknüpfe, trage nicht unwesentlich dazu bei, dass sich die tschechische Haltung zu den Benes-Dekreten immer mehr verhärte.
Quelle: ntv.de