Freie Fahrt durch Europa Schlagbaum zersägt
20.12.2007, 14:09 UhrEuropa rückt an diesem Freitag enger zusammen. Millionen von Reisenden können nun auch in Ost- und Mitteleuropa ohne Grenzkontrollen ihre Nachbarländer besuchen. In Deutschland fallen die Schlagbäume nach Polen und Tschechien, die mit weiteren sieben EU-Ländern dem grenzenfreien Schengen-Raum beitreten. Damit gilt das 1985 geschlossene Abkommen nun für Reisen in fast die gesamte Europäische Union. Ausnahmen sind Großbritannien und Irland sowie Rumänien, Bulgarien und Zypern.
Am Freitag werden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Regierungschefs von Polen und Tschechien, Donald Tusk und Mirek Topolnek, im ostsächsischen Dreiländereck in Zittau an einer symbolischen Grenzöffnung teilnehmen. Auch die EU-Spitze ist bei der Zeremonie dabei. Ähnliche Feiern finden bis Samstag auch in den baltischen Staaten statt, an bisherigen Grenzübergängen zwischen Österreich, Ungarn und der Slowakei sowie zwischen Italien und Slowenien.
Gezielte Strafverfolgung
Die Grenzöffnungen sind begleitet von Befürchtungen deutscher Sicherheitsexperten, dass die Kontrollmaßnahmen als Ersatz nicht ausreichten. Dies wies EU-Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso zurück. "Europa wird sicherer als vorher", schrieb Barroso in einem Gastbeitrag für die "Schweriner Volkszeitung". Die Strafverfolgung könne nun gezielter stattfinden. Das grenzenlose Europa sei "ein bedeutender Schritt in Richtung eines echten Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts".
Für die Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Gesine Schwan, öffnet sich "eine großartige neue Etappe in der Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen und der Europäischen Union". Angesichts der Belastungen, die das deutsch-polnische Verhältnis seit dem Ende des 18. Jahrhunderts erlebt habe, sei es "geradezu sensationell", dass nun die Grenzkontrollen wegfallen, sagte sie der "dpa".
Der österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) begrüßte die Erweiterung des Schengen-Raums ebenfalls. Durch die faktische Verschiebung der EU-Außengrenzen um mehrere hundert Kilometer nach Osten erhielten angrenzende Länder wie Österreich einen "Sicherheitspuffer". Der Wegfall der Grenzüberwachung habe eine "unglaubliche Symbolwirkung".
Symbolischen Schlagbaum zersägt
Gusenbauer und sein slowakischer Kollege Ministerpräsidenten Robert Fico zersägten zur Feier des Tages einen symbolischen Schlagbaum. Es sei das große Privileg "unserer Generation, dass sie nicht Krieg und Zerstörung erleben" müsse, sondern "am Aufbau eines prosperierenden Europas" mitarbeiten dürfe, sagte Gusenbauer. Fico begrüßte, dass man nun vom "estnischen Tallinn über 4000 Kilometer bis ins portugiesische Lissabon fahren kann, ohne angehalten und kontrolliert zu werden." Die Abschaffung der Grenzkontrollen werde nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene neue Impulse setzen, sondern auch in den persönlich-menschlichen Beziehungen. Die slowakische Regierung sei sich allerdings bewusst, welche Verantwortung sie nun für die ganze EU übernehme. "Die Absicherung der neuen EU-Außengrenze zur Ukraine ist eine sehr wichtige Aufgabe", betonte der Politiker.
Mit dem Wegfall der Schlagbäume gilt der grenzfreie Verkehr zunächst für Auto- und Zugreisende sowie in Häfen. Vom 30. März an wird dann auch bei Flugreisen nicht mehr kontrolliert. Die Schengen-Zone hat damit 24 Mitgliedstaaten, von denen 22 zugleich EU-Staaten sind. Deutschland hat mit Polen eine 464 Kilometer lange Grenze, mit Tschechien sind es 810 Kilometer. In Brandenburg wird auf der Stadtbrücke in Frankfurt (Oder) und an den Übergängen Küstrin-Kietz-Kostrzyn sowie in Forst (Spree-Neiße) gefeiert, in Bayern in Philippsreut.
Sorgenfalten auf der Polizisten-Stirn
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sprach sich gegen einen Abzug der Bundespolizei unmittelbar nach Grenzöffnung aus. "Der Wegfall der Grenzkontrollen kommt zu früh", sagte der GdP-Bundespolizeichef Josef Scheuring in Görlitz. "Deutschland ist in diesem Prozess überhaupt nicht gut aufgestellt." Der vom Bund geplante Abzug von rund 2000 Grenzschutzbeamten dürfe keinesfalls schon 2008 stattfinden. Der GdP- Vorsitzende Konrad Freiberg sagte "stern.de", die Funksysteme der Polizei in Deutschland und Polen seien nicht kompatibel.
Die Innenpolitiker von Union und SPD, Wolfgang Bosbach und Sebastian Edathy, wiesen ebenfalls auf Schwachpunkte bei den Kontrollen an den EU-Außengrenzen hin. Bosbach verlangte mehr technische und finanzielle Hilfen. Das Kontrollnetz müsse so dicht geknüpft werden, "dass es für mögliche Straftäter eine abschreckende Wirkung hat", sagte Edathy ebenfalls der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Quelle: ntv.de