Parteitag der Grünen in Dresden Schon genug vom Generationswechsel?
09.02.2014, 06:04 Uhr
Ska Keller (l.) muss Listenplatz Drei übernehmen. Rebecca Harms ist die neue Spitzenkandidaten der deutschen Grünen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Grüne Jugend verliert praktisch alle Abstimmungen. Und Nachwuchshoffnung Ska Keller scheitert an der altgedienten Rebecca Harms. Dabei sah vor dem Parteitag in Dresden alles nach einer großangelegten Frischzellenkur aus.
Rebecca Harms weiß um die Wirkung ihrer Worte. Sie sagt: "Mir ist sehr bewusst, dass ich schon weit über 30 bin, aber ich bin immer noch die Gorleben-Aktivistin und ich will immer noch die Welt verändern." Das klingt charmant, gewitzt. Doch dieser Satz ist wie der Rest ihrer Bewerbungsrede ein direkter Angriff auf den Jugendwahn in ihrer Partei. Und damit auch auf ihre Herausforderin Ska Keller.
Harms, 57 Jahre alt, Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, hat im Buhlen um die Spitzenkandidatur der deutschen Grünen für die Europawahl ihre politische Erfahrung ausgespielt. In ihren zwölf Minuten Redezeit machte sie nicht nur deutlich, dass Idealismus keine Altersfrage ist und sie erst vor ein paar Tagen mit Klitschko und Ruslana über den Maidan spazierte. Sie streute auch ein, dass sie schon bei den Grünen war, als man dort noch von der "ökologischen Transformation" statt des "Green New Deal" sprach. Harms Botschaft: Ich bin mindestens so idealistisch und engagiert wie eine 30-Jährige - und weiß obendrein auch noch, wovon ich rede. Harms sagte, dass sie das Drama in den Flüchtlingslagern am Mittelmeer schon seit Jahren kennt. Ein weiterer Stich gegen Keller. Die europäische Asylpolitik gilt als ihr Vorzeigethema, manch einer spottet gar, dass sie noch das einzige Thema der erst 32 Jahre alten Nachwuchshoffnung ist.
Harms Pochen auf ihre Erfahrung führte zum Erfolg. 65 Prozent der Delegierten stimmten auf dem Parteitag der Grünen in Dresden für die alte Gorleben-Aktivistin als Spitzenkandidatin. Ska Keller musste sich mit Listenplatz drei zufriedengeben. Ist das das Ende des großen Generationswechsels bei den Grünen?
Jürgen Trittin und Claudia Roth, auch Renate Künast: Nach der verlorenen Bundestagswahl mussten viele aus der Gründergeneration abtreten. Frische Gesichter übernahmen ihre Posten, bezogen Ämter in Fraktion, Geschäftsführung und Bundesvorstand. Bei den Green Primaries, der Wahl der Spitzenkandidaten für die europäischen Grünen schaffte es Ska Keller dann auch noch überraschend auf Listenplatz eins. Manch einer war sich sicher, dass sie nun auch bei den deutschen Grünen ganz nach vorne kommt.
Das Ende einer Erzählung
Hört man sich unter Parteimitgliedern um, die den Erfolg der jungen Grünen auch mit einer gewissen Skepsis beobachtet haben, ist die Wahl Harms ein Einschnitt in dieser Erzählung. Harms habe deutlich gemacht, dass sie thematisch viel breiter aufgestellt sei, sagt ein Mitglied der Bundestagsfraktion. Der Aufstieg rund um "Segel", einem Netzwerk junger Nachwuchspolitiker, zu dem neben dem neuen Fraktionschef Anton Hofreiter auch Keller gehört, ende hier. Als zusätzlichen Beleg führt der Abgeordnete an, dass auch die Grüne Jugend, die Kellers Kandidatur unterstützte, mit praktisch allen ihren Änderungsanträgen für das Wahlprogramm scheiterte. Dazu gehört der vergebliche Versuch, sich für eine sofortige Abkehr vom transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP auszusprechen. Auch das Ziel, die EU zu einem föderalen Bundestaat weiterzuentwickeln, setzten sie nicht durch.
Schon bei Kellers erstem Duell mit Harms gab es zudem Zweifel daran, ob die Nachwuchshoffnung der erfahrenen Politikerin wirklich gewachsen ist. Auch Harms kandidierte bei den Green Primaries, landete aber nur auf Rang drei. An der Abstimmung nahmen allerdings kaum 23.000 Bürger teil. Vor allem aber war die Stimmabgabe nur im Internet und per Handy möglich. Der internet- und technikaffinen Grünen Jugend dürfte es deutlich leichter gefallen sein, für ihre Favoritin zu werben.
Zu viele Lieblinge
Viele prominente ältere Mitglieder wirkten nach Harms Sieg tatsächlich so, als wäre das auch ein Triumph ihrer Generation. Vertreter aus Kellers Lager wollen davon allerdings nichts wissen. Ein Mitglied des Netzwerks "Segel" sagt: Das Hauptproblem sei nicht gewesen, dass Harms bei den Delegierten besser ankommen würde, sondern vielmehr dass sich viele auch einen prominenten Listenplatz für den beliebten Globalisierungskritiker Sven Giegold gewünscht hätten. Dies sei aber nicht mit einem Spitzenposten Kellers vereinbar gewesen.
Schon vor dem Parteitag hatte sich die Parteiführung mit den aussichtsreichsten Kandidaten darauf geeinigt, dass am Ende eine Wahlkampfspitze herauskommen müsste, die säuberlich nach Parteiflügel und Generation austariert ist. Die Losung war: Gewinnt Harms, kandidiert Giegold auf zwei, dann die unterlegene Keller auf drei und der Vorsitzende der europäischen Grünen, Reinhard Bütikofer, auf vier. So also, wie es auch eintrat. Hätte Keller dagegen gewonnen, wäre die Lage anders ausgefallen. Bütikofer wäre auf der zwei gelandet, Harms auf der drei. Und Giegold, den laut dem "Segel"-Mitglied viele unbedingt ganz weit vorn wollten, nur auf Listenplatz vier.
Giegold, 44 Jahre alt, heimst mit einer Zustimmung von 92 Prozent das mit Abstand beste Ergebnis auf den vordersten Listenplätzen ein. Ein Indiz dafür, dass diese Argumentation nicht abwegig sein muss.
Wie viel Realität und wie viel Wunschdenken in den Lesarten der verschiedenen Lager steckt, ist ungewiss. Eine Klarheit gibt es trotzdem: Es gibt einen klaren Verlierer. Während sich Harms und mit ihr auch die Gründergeneration darüber freuen kann, dass ihre Erfahrung bei den Grünen doch noch etwas zählt, und Keller darüber, dass sie es binnen Wochen von Miss Unbekannt in die Riege der Spitzengrünen geschafft hat, sieht es für den Europavorsitzenden Bütikofer düster aus.
Der 61-Jährige setzte die Green Primaries durch, die Keller nach oben spülten. Nicht weil er den Nachwuchs fördern wollte. Grüne sagen ihm nach, dass er dadurch seine Stellung an der Spitze der europäischen Grünen stärken wollte. Auf Kosten Harms'. Bei den Primaries ging der Plan auf, bei der Wahl der deutschen Spitzenkandidaten nicht. Vermutlich weiß er jetzt selbst nicht mehr, auf wen er in der Partei setzen kann, wenn es nach der Europawahl um seine Rolle an der Spitze der europäischen Grünen geht.
Quelle: ntv.de