Politik

Anwaltverein rechnet mit KlagenSchwarz-Rot einigt sich bei umstrittener Bürgergeldreform

16.12.2025, 15:15 Uhr
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Das Bürgergeld soll künftig nur noch Grundsicherung heißen. (Foto: picture alliance / Eibner-Pressefoto)

Der Teufel liegt im Detail: Eigentlich findet die Koalition im Oktober einen Kompromiss zur Verschärfung des Bürgergelds. Dann legen Wirtschaftsministerin Reiche und Innenminister Dobrindt ihr Veto ein. Jetzt werden die Widerstände offenbar überwunden.

Mit einer Verständigung auf letzte zentrale Details hat die Bundesregierung den Weg frei gemacht für einen Kabinettsbeschluss zur Reform der Grundsicherung. Dabei geht es um die Regeln für einen kompletten Wegfall staatlicher Leistungen, der künftig in bestimmten Fällen möglich sein soll.

Im Oktober hatten sich Union und SPD nach längeren Verhandlungen im Koalitionsausschuss auf schärfere Regeln beim Bürgergeld geeinigt. Die Leistung soll künftig nur noch Grundsicherung heißen. Kurz darauf legte Arbeitsministerin Bärbel Bas von der SPD einen Gesetzentwurf zur weiteren Abstimmung vor. Bei drei Meldeaufforderungen ohne Reaktion soll der Leistungsanspruch demnach entzogen werden.

Doch in der Union wurde befürchtet, dass die Komplettsanktionen untergraben werden, wenn Betroffene vorher persönlich angehört werden müssen. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche von der CDU und Innenminister Alexander Dobrindt von CSU legten ein Veto ein.

Nun habe die Regierung sich auf die genauen Formulierungen für Menschen geeinigt, die als nicht erreichbar gelten und dann keinen Anspruch auf Leistungen mehr haben sollen, hieß es in Regierungskreisen. Betroffene sollen nun Gelegenheit zur Anhörung bekommen. Auch der Verlust der Übernahme der Wohnkosten droht.

Wer zwei Termine im Jobcenter versäumt, soll 30 Prozent seiner Leistungen verlieren. Dies ist für Menschen, sofern erreichbar, generell die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Obergrenze für Leistungsminderung.

Schutz von psychisch Kranken

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat vor einer Benachteiligung von Menschen mit Einschränkungen gewarnt. "Menschen mit psychischen Erkrankungen oder vorübergehender Handlungsunfähigkeit drohen existenzielle Leistungsausfälle - bis hin zum Verlust des Krankenversicherungsschutzes", erklärte der Rechtsanwalt Thomas Franz vom DAV am Dienstag. "Gleichzeitig sollen Sanktionen bis zum vollständigen Wegfall des Regelbedarfs möglich werden, obwohl das Bundesverfassungsgericht klare verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt hat."

Indes betonte Bas, dass etwa psychisch Kranke vor diesen Sanktionen geschützt werden sollten. Die Möglichkeit zur Anhörung sei wichtig, damit "wir nicht die Falschen treffen bei Sanktionen", hatte sie gesagt. Die SPD-Sozialpolitikerin Annika Klose hatte im "Handelsblatt" erläutert, 50 bis 80 Prozent der Leistungsempfängerinnen und -empfänger hätten psychische Probleme, und es dürfe nicht passieren, dass solche Menschen in der Obdachlosigkeit landeten. Unter anderem wegen solcher Sorgen wollen Teile der SPD-Basis die Reform noch per Mitgliederbegehren stoppen.

Teile der Anfang 2023 in Kraft getretenen Bürgergeld-Reform sollen mit der Neuregelung rückabgewickelt und Rechte und Pflichten verbindlicher geregelt werden. Das Motto soll laut Regierung lauten: Wer Hilfe brauche, könne sich auf Unterstützung verlassen - wer arbeiten könne, müsse daran mitwirken, wieder für sich selbst zu sorgen. Wesentliche Einsparungen sollten sich - anders als von Teilen der Union vorher angekündigt - nicht ergeben, wie Bas erklärt hatte. Nach Angaben von Kanzleramtschef Thorsten Frei vom Wochenende soll die Reform zur Jahresmitte 2026 zur Umsetzung kommen.

Kritik an Absenkungen

Konkret kritisierte der DAV auch, dass die Zumutbarkeitsgrenze für Eltern kleiner Kinder ab der Vollendung des ersten Lebensjahres und die Vermögensfreibeträge abgesenkt werden sollen. All das verschärfe soziale Ungleichheiten und verhindere Rücklagen.

Der DAV hält zahlreiche Regeln der Reform noch für unklar und geht davon aus, dass dadurch die Grundrechte Betroffener "in unzumutbarer Weise" beschränkt würden. Daher werde das neue Gesetz "mutmaßlich zu einem deutlichen Anstieg von Widerspruchs- und Klageverfahren führen", warnte der Verband. Der Entwurf müsse daher grundlegend überarbeitet werden "und insbesondere die verfassungsrechtlich gebotene Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu gewährleisten".

Quelle: ntv.de, gut/dpa/AFP

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