"Schwierige Phase" Selenskyj: Ich muss Scholz ständig überzeugen
09.02.2023, 15:50 Uhr
In der Ukraine wünscht man sich von Deutschland mehr Mut und Schnelligkeit bei Waffenlieferungen.
(Foto: picture alliance/dpa/Pool Reuters/AP)
Der ukrainische Präsident tourt durch Europa - nach Deutschland kommt er nicht. Stattdessen gibt es ein Treffen mit Kanzler Scholz in Paris und Brüssel. Selenskyj macht zeitgleich in einem Interview keinen Hehl daraus, dass das Verhältnis der beiden Länder aktuell besser sein könnte.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht die Beziehung zu Deutschland wegen der Debatte um die Lieferung von Kampfpanzern in einer "schwierigen Phase". "Ich muss Druck machen, der Ukraine zu helfen und ihn ständig überzeugen, dass diese Hilfe nicht für uns ist, sondern für die Europäer", sagte Selenskyj in einem Interview des "Spiegel" und der französischen Zeitung "Le Figaro" mit Blick auf SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz. Dabei hatte der "Spiegel" die Passage zunächst anders übersetzt. Ursprünglich hieß es: "Ich muss ihn zwingen, der Ukraine zu helfen." Im ukrainischen Original habe Selenskyj nicht das Personalpronomen "ihn" verwendet. Daher sei die Passage nun geändert worden.
Gleichzeitig dankte Selenskyj Deutschland für die Lieferung des Flugabwehrsystems Iris-T. Dies habe "eine Menge Leben gerettet". Das Verhältnis der Ukraine zu Deutschland verlaufe "wellenförmig, es ist ein Auf und Ab", sagte er. "Ich habe dem Kanzler gesagt: Olaf hör zu, uns fehlen Raketen. Ich weiß, dass du selbst keine mehr hast, wir haben ja auch einen Nachrichtendienst. Ich weiß, du gibst uns alles, was du hast. Und ich weiß nicht, wie, aber er hat es tatsächllich geschafft, dass sie schneller produziert werden. Das war positiv." Die Panzer-Debatte sei dagegen "emotional und komplex".
Selenskyj kritisierte zudem europäische Staats- und Regierungschefs, die er "täglich" um Waffen und Sanktionen gebeten habe. "Wenn alle davon wussten, dass Putin in unser Land einmarschieren würde, warum haben sie dann keine Sanktionen verhängt? Es ist doch absolut lächerlich, wenn ihr alle öffentlich für uns eintretet und trotzdem gern die Sanktionen umgeht oder Waffen zurückhaltet", sagte er.
Über die Unterstützung von Verbündeten in den ersten Tagen des russischen Angriffs auf sein Land sagte Selensky: "Ich sage nicht, dass es ideal lief." Eine ehrliche Antwort auf die Frage, ob er zufrieden sei, werde er geben, wenn der Krieg vorbei ist.
Putin soll Pläne zur Kontrolle von Moldau haben
Zum Auftakt des EU-Gipfels in Brüssel berichtete Selenskyj zudem, es gebe einen detaillierten russischen Plan zur Störung der politischen Situation in Moldau. Der ukrainische Geheimdienst habe entsprechende Informationen abgefangen.
Das russische Dokument zeige, wer wann und wie in Moldau die demokratische Ordnung zerschlagen und die Kontrolle über das Land errichten wolle. Über diese Informationen habe er vor kurzem mit der Präsidentin von Moldau, Maia Sandu, gesprochen. Er sagte auch, die Ukraine wisse nicht, ob Moskau tatsächlich den Befehl gegeben habe, die Pläne umzusetzen. Aber es habe auch einen ähnlichen Plan gegen die Ukraine gegeben.
Das kleine Moldau fürchtet bereits seit längerer Zeit, ins Visier Russlands zu geraten. Der dortige Geheimdienst hält eine russische Offensive für möglich. Die aktuelle Präsidentin Sandu ist prowestlich orientiert. Ein größerer Teil der Bevölkerung machte jedoch in der Vergangenheit gegen diese Ausrichtung mobil, unter anderem mit Massendemonstrationen. Russlands Außenminister Lawrow behauptete kürzlich mit Blick auf eine Annäherung an die EU oder NATO, Sandu sei "praktisch zu allem bereit" und ihr Land ein neues "anti-russisches Projekt" des Westens.
In der von Moldau abgespaltenen und international nicht anerkannten Republik Transnistrien sind rund 1200 russische Soldaten stationiert. Im vergangenen September hatte der Kreml der Republik mit militärischen Maßnahmen gedroht, sollte die Sicherheit der Truppen bedroht werden.
Quelle: ntv.de, rog/dpa