EU unter Druck, aber uneins Selenskyj hält von Trumps Waffenruhe nichts
19.12.2024, 17:19 Uhr Artikel anhören
Putin sei nicht zu trauen, sagt Selenskyj.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Wird Trump die Ukraine zu Verhandlungen drängen? Einen Monat vor dem Machtwechsel in den USA steigt der Druck auf die EU. Bei einem gemeinsamen Gipfeltreffen warnt Präsident Selenskyj vor einer Waffenruhe ohne Sicherheiten. Doch auch er weiß: Den Ton gibt Washington an.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Vorstoß des künftigen US-Präsidenten Donald Trump für eine Waffenruhe mit Russland zurückgewiesen. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sei nicht zu trauen, sagte Selenskyj nach einem Treffen mit den EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Putin würde dann nach zwei oder sechs Monaten erneut angreifen. Zudem reichten europäische Sicherheitsgarantien nicht aus, es brauche die Unterstützung aus den USA.
"Ich hätte sehr gerne Trumps Hilfe, um diesen Krieg zu beenden", sagte Selenskyj. "Ich bin aber gegen das Wort Waffenruhe." Denn wenn Putin dann erneut angreife, werde "jeder verlieren", sagte er zu einer möglichen Wiederaufrüstung in Russland. "Deshalb brauchen wir einen echten Plan", um die Ukraine vor möglichen Verhandlungen in eine "starke Position zu bringen", fügte Selenskyj hinzu.
Er hoffe, dass sich Trump und die Europäer auf einen einheitlichen Kurs einigen könnten. Selenskyj äußerte zugleich grundlegende Vorbehalte gegen einen Frieden mit Putin. Dieser sei "verrückt" und "liebt es zu töten", sagte der ukrainische Präsident. Der russische Präsident lebe in einer Art "Aquarium".
Trump will schnelles Kriegsende
Hintergrund der Gespräche in der EU und unter europäischen NATO-Staaten ist die Sorge, dass Donald Trump als US-Präsident versuchen könnte, die Ukraine und Russland zu Verhandlungen zu drängen. In Kiew wird befürchtet, dass er der Ukraine androhen könnte, im Fall einer Weigerung die Militärhilfe einzustellen. Trump hatte zuletzt angekündigt, den Krieg Russlands gegen die Ukraine möglichst schnell beenden zu wollen. Für die Europäer stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob sie im Fall der Fälle Friedenstruppen für eine Absicherung eines Waffenstillstandes in die Ukraine schicken würden.
Für den Fall, dass die USA ihre Unterstützung ganz einstellen sollten, zeichnete Selenskyj ein düsteres Bild: "Es ist sehr schwierig, die Ukraine ohne die Hilfe der USA zu unterstützen, und genau das werden wir mit Präsident Trump besprechen, wenn er im Weißen Haus ist", sagte er in Brüssel. "Ich glaube, nur gemeinsam können die Vereinigten Staaten und Europa Putin wirklich stoppen und die Ukraine retten."
Vor dem Hintergrund der schwierigen militärischen Lage im Osten des Landes bat Selenskyj die EU-Staaten um weitere Luftverteidigungssysteme, mit denen auch Atomkraftwerke und Gasspeicher geschützt werden können. Zudem forderte er die Partner eindringlich dazu auf, sein Land dabei zu unterstützen, Schutzräume an Schulen einzurichten und bei der Lebensmittelversorgung von Familien zu helfen. Zusagen für die 19 geforderten Luftverteidigungssysteme gegen russische Angriffe erhielt Selenskyj nach eigenen Worten nicht. Er verwies auf bereits angekündigte Lieferungen von Deutschland und Kanada. Das Treffen der 27 EU-Staats- und -Regierungschefs mit Selenskyj war das letzte vor Trumps Amtsantritt am 20. Januar.
EU will Trump überzeugen
Bei dem Gipfeltreffen stand die Frage im Raum, wie die Ukraine in die Lage versetzt werden könnte, mögliche Friedensverhandlungen mit Moskau aus einer Position der Stärke zu führen. Für die EU geht es darum, Trump davon zu überzeugen, dass eine fortgesetzte Unterstützung der Ukraine auch im Interesse der USA ist. Seit Wochen wird deswegen auch immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Sieg Russlands auch dessen Verbündeten China stärken würde. China sieht Trump als Hauptkonkurrenten der USA an.
Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich beim EU-Gipfel zuversichtlich, dass auch unter Trump eine gute Kooperation zwischen den USA und Europa möglich sein werde. Mit Blick auf die Bemühungen um eine Beendigung des Krieges bekräftigte er, dass es keine Entscheidungen über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg geben dürfe. "Das gilt für uns, wie für alle anderen."
Scholz rief dazu auf, Einigkeit zu zeigen. Es müsse klar sein, dass man bereit sei, der Ukraine so lange Unterstützung zu leisten, wie diese gebraucht werde. Scholz sagte, er habe bei den Bündnispartnern dafür geworben, weitere Hilfe mit Luftverteidigung, Artillerie oder auch Munition zu prüfen. Für Deutschland versprach er: "Wir werden auch weiter der größte Unterstützer der Ukraine in Europa bleiben." Alleine die zugesagten oder gelieferten Rüstungsgüter hätten einen Wert von 28 Milliarden Euro.
Orban weiter gegen Ukraine-Hilfen
Ob es die von Scholz geforderte Einigkeit geben kann, ist allerdings höchst fraglich: Mit Ungarn unterstützt auch einer der Mitgliedstaaten die Politik Trumps. Regierungschef Viktor Orban lehnt es bislang ab, die Ukraine weiter militärisch zu unterstützen. Es muss deswegen damit gerechnet werden, dass er mögliche neue Pläne für einen Ausbau der EU-Unterstützung mit einem Veto blockiert. Bereits derzeit können wegen der ungarischen Haltung knapp sieben Milliarden Euro an EU-Mitteln nicht verwendet werden.
Orban hatte jüngst auch für eine weihnachtliche Waffenruhe und einen großangelegten Gefangenenaustausch zwischen der Ukraine und Russland geworben und behauptet, Russland sei bereit, einem solchen Vorschlag zuzustimmen. Selenskyj sagte dazu, dass Orban kein Mandat habe, die Verhandlungen mit Putin zu organisieren.
Quelle: ntv.de, mdi/dpa/AFP