Streit um die Zuwanderung Showdown im Bundesrat
15.03.2002, 17:36 UhrÜber anderthalb Jahre liegt die Schlappe der Union im Streit um die Steuerreform nunmehr zurück. Doch die Erinnerung an den Überraschungscoup der SPD im Bundesrat ist bei den Konservativen noch nicht verblasst. Damals setzte sich die Regierungskoalition in der Ländervertretung deutlich mit 41 Stimmen gegen die unionsgeführten Bundesländer durch. Die "Abwehrfront", von der CDU-Chefin Angela Merkel noch wenige Tage vor der Abstimmung im Juli 2000 gesprochen hatte, war in sich zusammengebrochen, die Blamage perfekt.
Dass ein ähnliches Trauerspiel im Wahljahr kein gutes Licht auf die Regierungsfähigkeit der Union werfen würde, wissen die Spitzenpolitiker von CDU und CSU nur zu gut. Rund eine Woche vor der Abstimmung über das rot-grüne Einwanderungsgesetz im Bundesrat ist die Aufregung in Unionsreihen demnach nicht zu übersehen.
Koch erwägt Unterschriftenkampagne
Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) und CDU-Fraktionschef Friedrich Merz bekräftigen unisono das Nein der Union zum Entwurf der Regierungskoalition. Hessens Ministerpräsident Roland Koch erinnert sich altbewährter politischer Strategien und erwägt schon einmal, eine Unterschriftenkampagne gegen die geplanten Zuwanderungsregelungen durchzuführen.
Den meisten Druck aber bekommen diejenigen zu spüren, von deren Stimmen im Bundesrat abhängt, ob die Gesetzesvorlage die Länderkammer erfolgreich passieren oder noch einmal in den Vermittlungsausschuss wandern wird. Die rot-schwarze Regierung des brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) wird dabei auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Der Koalitionsvertrag besagt, dass sich Brandenburg seiner Stimmen enthält, wenn die Regierungspartner wegen Meinungsverschiedenheiten keine gemeinsame Position finden können.
Mehrheit für Regierung im Bundesrat ungewiss
Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) unterstrich zuletzt noch einmal, dem vorliegenden Gesetz von Rot-Grün nicht zustimmen zu können. Er habe keinen Zweifel an Ministerpräsident Stolpe, kenne aber den Druck aus dem Kanzleramt nicht.
Dort wünschen sich Kanzler Gerhard Schröder, Innenminister Otto Schily und ihre Strategen nichts sehnlicher, als erneut einen symbolträchtigen Triumph über die Opposition feiern zu können. Im Bundesrat mit seinen 69 Stimmen verfügen jedoch weder Regierung noch die Union über eine Mehrheit. 38 Stimmen gehen an SPD-geführte Regierungen. Davon aber gelten die Stimmen Brandenburgs (vier) und Bremens (drei) wegen Koalitionen mit der CDU als unsicher. Inzwischen hat auch die FDP verlauten lassen, die Länder, in denen sie an der Regierung beteiligt sei, würden sich der Stimme enthalten. Dies gilt demnach fürs SPD-geführte Rheinland-Pfalz (vier Stimmen), aber auch für Hessen, Hamburg und Baden-Württemberg, wo die Liberalen mit der Union regieren.
Im Hickhack um Stimmen und Mehrheiten gingen in den vergangenen Wochen die unterschiedlichen Positionen in der Zuwanderungsfrage weitgehend unter.
Regierung: Daueraufenthalt für Hochqualifizierte
Der Gesetzentwurf von Innenminister Otto Schily sieht eine umfassende Neuregelung des Ausländerrechts vor. Künftig soll es nur noch zwei Arten von Aufenthalt geben: eine (befristete) Aufenthaltserlaubnis und eine (unbefristete) Niederlassungserlaubnis.
Einen Daueraufenthalt sollen von Anfang an nur Hochqualifizierte erhalten können. Außerdem ist vorgesehen, im Bedarfsfall "besonders geeignete Zuwanderer" über ein Auswahlverfahren aufzunehmen. Dieses zusätzliche Verfahren werde "voraussichtlich zunächst nur einer sehr begrenzten Anzahl von Zuwanderern offen stehen".
Flüchtlinge erhalten nach dem Schily-Entwurf künftig genauso wie Asylberechtigte zunächst einen befristeten Aufenthalt. Bei beiden Gruppen wird nach drei Jahren geprüft, ob sich die Verhältnisse im Herkunftsland geändert haben. Auch Flüchtlinge sollen künftig arbeiten dürfen.
In der Frage des Familiennachzugs sehen die Änderungsvorschläge der Regierung vor, das Höchstalter auf zwölf Jahre zu begrenzen. Mit den Grünen, die bis zuletzt auf 14 Jahre gedrängt hatten, wurde ein Kompromiss ausgehandelt. Demzufolge sollen Kinder, die älter als zwölf Jahre sind, ihren Eltern nach Deutschland folgen können, sofern sie über "ausreichende Deutschkenntnisse" verfügen. In Härtefällen plädiert die Regierung auch für eine humane Handhabe mit dem Nachzugsalter.
Union: Einwanderung steuern und begrenzen
Die Union sieht in zusätzlicher Einwanderung eine Gefahr für den einheimischen Arbeitsmarkt. Statt auf Zuwanderung setzt sie deswegen auf Aus- und Fortbildung. Zentrale Ziele sind - ähnlich wie bei der FDP - die Begrenzung und Steuerung der Einwanderung unter Berücksichtigung nationaler Interessen. Zuwanderung in die Sozialsysteme müsse zurückgefahren werden, um dort Raum für Zuwanderung zu schaffen, wo es Deutschland nutze. Beide Unionsparteien akzeptieren die Zuwanderung, halten jedoch daran fest, dass die Bundesrepublik kein klassisches Einwanderungsland ist. Die
Der Gesetzentwurf von CDU/CSU setzt auch auf eine Verlängerung der Arbeitszeit, Steigerung der Produktivität und höhere Erwerbsquoten. Bei den Höchstqualifizierten sieht das Grundsatzpapier einen weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe vor. Deutschland könne nur mit attraktiven Zuwanderungs- und Aufnahmebedingungen bestehen.
Besonders unnachgiebig erweist sich die Union in der Detailfrage des Nachzugsalters. Hier bestehen CDU und CSU darauf, die jetzige Altersgrenze von 16 Jahren auf zehn zu senken, und befürchten andernfalls eine "erhebliche Erweiterung des Familiennachzuges".
Quelle: ntv.de