Syrische Opposition fürchtet Massaker Sicherheitsrat bleibt stumm
27.04.2011, 22:17 UhrEin auch von Deutschland eingebrachter Entwurf einer Erklärung zur Gewalt in Syrien wird vom UN-Sicherheitsrat nicht angenommen. China und Russland sperren sich. Immerhin scheinen Sanktionen auf europäischer Ebene machbar. Die syrische Opposition befürchtet derweil ein Massaker in Daraa. Sie berichtet von einer Verstärkung der Truppen.
Der UN-Sicherheitsrat hat sich nicht auf eine gemeinsame Erklärung zur Gewalt gegen Demonstranten in Syrien geeinigt. Nach Diplomatenangaben gelang es den 15 Ratsmitgliedern in New York hinter geschlossenen Türen nicht, Einigkeit über einen unter anderem von Deutschland eingebrachten Entwurf zu erzielen, der die gewaltsame Unterdrückung von Regierungsgegnern in Syrien verurteilte und eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle forderte.
Deutschland hatte den Entwurf gemeinsam mit Frankreich, Großbritannien und Portugal vorgelegt. Bundesaußenminister Guido Westerwelle hatte vor der Sitzung ein Ende der Gewaltspirale in Syrien gefordert. In der Sitzung äußerten jedoch Russland und China Vorbehalte. Westliche Ratsmitglieder forderten daraufhin nach Diplomatenangaben eine öffentliche Sitzung des Sicherheitsrates, um der internationalen Kritik am Vorgehen der syrischen Regierung eine Stimme zu geben. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hatte "die anhaltende Gewalt" und den "Einsatz von Panzern und scharfer Munition" verurteilt.
Opposition fürchtet Massaker
Syriens Opposition fürchtet derweil ein Massaker in ihrer Hochburg Daraa. Sicherheitskräfte von Präsident Baschar al-Asssad sind dort mit Panzern und Scharfschützen im Einsatz. Aus mehreren Städten berichteten die Aufständischen von neuen Festnahmen. Nach Angaben von Menschenrechtlern wurden seit Mitte März mindestens 453 Menschen getötet. Ihm liege eine entsprechende Liste mit den Namen der Opfer und den Orten vor, an denen sie getötet worden seien, sagte der Chef der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (OSDH) mit Sitz in London, Rami Abdel Rahmane.
Syrien stehe an einer "gefährlichen Wegscheide", sagte Westerwelle. Er geißelte die "brutalen Übergriffe" des Regimes von Präsident Baschar al-Assad auf friedliche Demonstranten und verlangte Konsequenzen für die Verantwortlichen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, Damaskus habe "sich schuldig gemacht am Tod von vielen hundert Menschen". Als Sanktionen seien Reisebeschränkungen für Regimevertreter sowie das Einfrieren von Vermögen oder EU-Wirtschaftshilfen denkbar, sagte Seibert. Westerwelle sprach auch von einem Waffenembargo.
Syrische Botschafter einberufen
Der Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton sagte in Brüssel, in der Debatte um Sanktionen gegen Syrien seien "alle Optionen auf dem Tisch". Der Sprecher bestätigte, dass die ständigen Botschafter der 27 EU-Staaten an diesem Freitag über das Thema beraten werden. Offen blieb, wie schlagkräftig EU-Sanktionen wirklich sein können. Waffen hat Syrien in der Vergangenheit vor allem von Russland, nicht aber aus EU-Staaten bezogen. Auch etwa der deutsche Handel mit dem Land ist beschränkt.
Deutschland und mehrere weitere EU-Staaten bestellten zudem die jeweiligen Botschafter des Landes ein. Der syrische Botschafter in Berlin sei am Dienstagnachmittag ins Auswärtige Amt einbestellt worden, sagte eine Ministeriumssprecherin. Auch die Regierungen in Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien bestellten die syrischen Botschafter ein. Der Sprecher des französischen Außenministeriums sprach von einer "abgesprochenen" Aktion der fünf Staaten.
Westerwelle sieht derweil noch Möglichkeiten für Gespräche mit Assad. Wenn man eine friedliche Lösung wolle, müsse mit allen Beteiligten geredet werden - auch mit Assad. Westerwelles britischer Amtskollege William Hague hatte zuvor erklärt, für Assad sei es "noch nicht zu spät", die Repressionen gegen sein Volk zu beenden. Es sei noch immer möglich für Assad, die demokratischen Reformen, die er versprochen habe, zu realisieren.
"Maßgeschneiderte" Reaktion erforderlich
Einen Vergleich mit Libyen, wo die NATO gestützt auf UN-Resolutionen militärisch in den internen Konflikt eingreift, lehnte Westerwelle ab. Jedes Land brauche "maßgeschneiderte" Reaktionen. In diesem "arabischen Frühling" dürften die Länder dieser Region nicht gleichgesetzt werden. Ähnlich äußerten sich der britische Verteidigungsminister Liam Fox und dessen US-Amtskollege Robert Gates.
Deutschland hatte sich im März bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über die Resolution zur Durchsetzung der Flugverbotszone über Libyen enthalten, während die wichtigsten Bündnispartner USA, Frankreich und Großbritannien zustimmten. Die Entscheidung hatte international für Verwunderung gesorgt. Ohne deutsche Beteiligung fliegt die NATO seither Angriffe gegen Stellungen der Truppen von Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi.
Verteidigungsminister Thomas de Maizière forderte ein Ende der Debatte über die deutsche Enthaltung. "Es wurde viel diskutiert, und jetzt irgendwann sollte die Diskussion auch mal zu Ende sein", sagte er in New York zum Auftakt eines USA-Besuches.
Syrische Armee verstärkt sich
Auf den Websites der Assad-Gegner wurden Aufnahmen veröffentlicht, auf denen Dutzende Sattelschlepper mit Panzern zu sehen sind, die auf einer Schnellstraße fahren. Die Oppositionellen erklärten, es handele sich um Verstärkung für die Truppen, die am Osterwochenende in die Stadt Daraa eingedrungen waren. Oppositionelle berichteten, Verletzte mit Schusswunden würden inzwischen unter primitiven Bedingungen in Häusern versorgt, da ihnen der Zugang zum Krankenhaus verwehrt werde. Die staatliche Nachrichtenagentur Sana sprach derweil von mehreren Übergriffen von "bewaffneten extremistischen Terrorbanden" auf Sicherheitskräfte.
Teile der Protestbewegung in Syrien bemühen sich um eine Verständigung mit den Einheiten der Streitkräfte, die nicht als verlängerter Arm der Führungsriege um Präsident Assad gelten. Ein Bewohner der von den Sicherheitskräften belagerten Ortschaft Al-Moadhamija in der Nähe von Damaskus sagte am Telefon, die Einwohner hätten das Gespräch mit den Kommandeuren der Armee gesucht. In den vergangenen Tagen hatte es erstmals Berichte über Zusammenstöße zwischen den besonders regimetreuen Spezialeinheiten und einzelnen Offizieren der Armee gegeben. Die Offiziere sollen sich geweigert haben, auf Zivilisten zu schießen.
Ausländer verlassen Syrien
Aus Protest gegen das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte erklärten rund 30 Mitglieder der regierenden Baath-Partei ihren Austritt. Das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen unbewaffnete Einwohner der Stadt Banias und umliegender Dörfer stehe "im Widerspruch zu sämtlichen menschlichen Werten und zu den Slogans der Partei", erklärten sie. Sie kritisierten namentlich Hausdurchsuchungen sowie "grundlose Schüsse mit scharfer Munition auf Menschen, Häuser, Moscheen und Kirchen". Dem Schritt sollen sich mehr als 200 weitere Parteimitglieder angeschlossen haben.
Derweil wächst die Zahl der Ausländer, die das Land verlassen. Augenzeugen in Damaskus sagten, unter den Ausreisenden seien auch Angehörige von Botschaftsmitarbeitern sowie Vertreter verschiedener Institutionen. Das Goethe-Institut in Damaskus wird von diesem Freitag an auf unbestimmte Zeit geschlossen. Das Auswärtige Amt hatte am Dienstag allen in Syrien lebenden Deutschen geraten, das Land zu verlassen. Bislang gab es in Syrien keine Übergriffe auf Ausländer.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts