Politik

Wieduwilts Woche So langsam reicht es mit der Harmonie

Bundespräsident statt Böller - aber vielleicht ist Steinmeier ja doch der Richtige für die Kamillentee-Zeit.

Bundespräsident statt Böller - aber vielleicht ist Steinmeier ja doch der Richtige für die Kamillentee-Zeit.

(Foto: picture alliance / Flashpic)

Ruhig war es die letzten Tage: Halb Deutschland dämmert in den Weihnachtsferien, der Politbetrieb holt noch Luft fürs neue Jahr, die FDP nutzt die Zäsur für das Dreikönigstreffen. Doch die Stille liegt nicht nur an der Jahreszeit - in der politischen Mitte will grade niemand so recht streiten. Auch nicht über den Bundespräsidenten.

Wenn schon das Böllern ausfällt, hätte man doch wenigstens ein politisches Feuerwerk wegen der Wahl des Bundespräsidenten abbrennen können! Ein Gegenkandidat der Union hätte zumindest das politische Signal gesetzt: Frank-Walter Steinmeier fetzt uns nicht genug, nicht einmal für das öde Amt des nationalen Kranzniederlegers. Die Grünen hätten eine (ihre) Frau (Katrin Göring-Eckardt) mitwählen können, da hätte es auch gleich in der Koalition ein bisschen geknirscht.

Stattdessen also Steinmeier. Keine-Experimente-Steinmeier. "Gerade in diesen Zeiten braucht es an der Spitze unseres Staates eine glaubwürdige Stimme, die zusammenführt und nicht ausgrenzt", sagte Armin Laschet dazu knapp. Alle Beteiligten bestellen das höchste deutsche Staatsamt so beiläufig, als würden sie im Bürodrucker einen Stapel Papier nachlegen. Diese Streitlosigkeit ist Ausdruck der gegenwärtigen Machtverhältnisse in Regierung und Opposition - nicht nur in diesem Fall führt sie nicht zum besten Ergebnis.

Streiten ist in etablierten Zirkeln out

Steinmeier ist so kommod wie eine mittelwarme Tasse Kamillentee. Seine Reden sind ein bisschen besser als die von Olaf Scholz, das ist aber auch alles, was sich von ihm sagen lässt. Angesichts einer bisher eher stimmlosen Ampel wären kraftvolle Reden und Ermutigungen durch die Staatsspitze, Versöhnendes oder gar ein zorniges Rucken am Volk eigentlich wünschenswert. Es muss schließlich noch viel ausgehalten werden in den nächsten vier Jahren: Pandemie, Digitalisierung, Klimawandel, Russland, Fackel-Spinner auf der Straße, und wer weiß, was noch alles kommt. Kamillentee hilft da wenig, er macht weder betrunken noch mutig, er beruhigt nicht und hält nicht wach.

Doch das Streiten ist ein bisschen out auf den Fluren der Macht. Ob es um den Bundespräsidenten, Atomkraftwerke oder Russland geht, es ist trotz im Tagesrhythmus aufbrechender Konfliktlinien relativ ruhig. Es herrscht ein großes Harmoniebedürfnis in der Ampel, denn sie möchte nicht schon in den ersten 100 Tagen auseinanderfliegen. Die politischen Gräben sind weit und mühsamst überbrückt - jetzt nur keine Erschütterungen!

Doch auch die Union gibt sich in diesen Tagen verkuschelt: CSU-Chef Markus Söder und der werdende CDU-Chef Friedrich Merz zeigten sich zusammen an der frischen Luft - "Sturm der Liebe", schrieb das SZ-Magazin trefflich. Das Publikum lacht herzlich über die stetig dusseliger werdenden Politiker-Fotos. Söders Bildredakteur, ein Mensch mit düsterem Herzen und loderndem Talent, suchte die Schüsse wieder einmal gezielt so aus, dass Söder aussieht wie Aragorn, der Gollum durch Kirchsee führt. Söder kann das, er ließ schon Armin Laschet auf Bildern schlecht aussehen.

Das Politische ist privat

Die Pärchenbilder von Markus und Friedrich sind auch schon der schärfste innenpolitische Konflikt dieser Tage. Den Zank übernehmen die hinteren Reihen: Der große Liberale Gerhart Baum wetterte vor der liberalen Dreikönig-Sause gegen Wolfgang Kubicki, erteilte dem norddeutschen Anwalt und Bundestagsvizepräsidenten Lektionen in Sachen "Freiheit".

Die Parteispitzen sind da disziplinierter. Im Zentrum der Macht regieren Pragmatismus und Disziplin: Impfpflicht regelt jeder wie er mag, da muss man pragmatisch sein, abräumen das Thema - so geht das, aber sogar der parlamentarische Streit wird erst einmal vertagt. Integration im Sinne von "den Laden zusammenhalten" ist das Gebot für die Ampel, die Union, die CDU und auch die FDP. Während sich Herren wie Kubicki und Baum und vielleicht noch Hans Ulrich Rülke und Winfried Kretschmann zanken, regieren die Jungen durch.

Dass Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf ihrer Reise Pfeile gegen Russland und Nord Stream 2 verschießt, nimmt etwa der Bundeskanzler anscheinend gelassen hin. Er lässt Leine, weist lediglich darauf hin, dass es eine solche durchaus gibt. Dabei sieht die SPD die Angelegenheit Gasleitung aus Russland durchaus anders als die Grünen: Nord Stream 2 sei ein privatwirtschaftliches Projekt, kein politisches. Gerüchten zufolge haben Parteichef Lars Klingbeil und Kanzler Scholz nächtelang mit einem Coach geübt, den Satz "Nord Stream 2 ist nicht politisch" ohne Kichern über die Lippen zu bekommen.

Polemisieren, Positionieren, Profilieren

"Das Private ist politisch" hieß es früher - "das Politische ist privat" könnte das Motto der Ampel sein. Sie kann sich nicht einmal mehr über Atomkraft streiten, auch das ist anders als in den Siebzigern. Auf die atomfreundliche Taxonomie-Politik der EU-Kommission reagiert Deutschland, indem es noch mal den Kaffee umrührt und mit den Achseln zuckt. Protestschreiben folgt, das war’s dann aber auch.

Allein Sigmar Gabriel, Politveteran aus einer anderen, streitlustigeren Zeit, machte seinem Unmut über die nukleare Wurschtigkeit Luft. "Mein Rat: nur den ernst nehmen, der bereit ist, bei sich zu Hause nach einem Atommüll-Endlager suchen zu lassen", dozierte Gabriel auf Twitter. Denn: "Alle anderen sind ahnungslose Maulhelden."

Das ist er, der Männer-Sound der alten Republik. Kretschmann, Baum, Kubicki, Gabriel spielen ihn noch, sie streiten, kanten, grätschen, sie polemisieren, positionieren und profilieren, wie es mittelalte Männer besonders gern tun - schreibt der mittelalte Mann.

Sogar Merz ist entschärft

Nur einer, der sonst durchaus stilistisch an die Neunziger anknüpfte und immerhin mit 66 kurz vor dem Rentenalter steht, will nicht mehr Teil dieser Revival-Band sein: Friedrich Merz. Seine klarsten Worte gelten inzwischen allein der AfD - zu ihr solle "eine Brandmauer" stehen. So hätte es auch Laschet gesagt.

Man kann diese Phase der Harmonie begrüßen. Wenn Streit nur noch wohlgesittet in Parlaments- und Parteigremien ausgetragen wird, statt über die Medien, können sich Kontrahenten danach leichter wieder zusammenraufen. Der Lärm des Streits mit Extremisten und Querdenkern auf Marktplätzen und an Esstischen ist schließlich laut genug. Das gilt unabhängig davon, ob man das Land "gespalten" sieht oder diesen Gedanken vehement und bei jeder Gelegenheit demonstrativ abstreitet, wie die SPD um Olaf Scholz.

Streit ist der Pulsschlag der Demokratie

Doch Streit ist der Pulsschlag der Demokratie. Er kann reinigende Wirkung haben. Dass Merz sich etwa noch immer nicht zum zündelnden Ex-Geheimdienstler Hans-Georg Maaßen äußert, ist sicher harmoniedienlich - aber es ist auch verhuscht. Ist es wirklich Privatsache, dass sich Deutschland von Russland abhängig macht, obwohl die grüne Außenministerin richtigerweise dagegen ist? Hätte anstelle des Ur-Liberalen Baum nicht vielleicht jemand mit aktiver Position etwas zu Kubickis Corona-Einschätzungen sagen müssen?

Vielleicht braucht das Land ja nur ein bisschen Ruhe nach zwei Jahren Pandemie und Getöse auf Straßen und Internetkanälen. Wir streiten nicht, wir böllern nicht, wir rühren im Kamillentee. Insofern ist Steinmeier vielleicht doch genau der Richtige für diese Zeit.

Quelle: ntv.de

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