Politik

Forderung nach Rückzug Sollte Baerbock doch Habeck vorlassen?

Plagiatsjäger werfen Annalena Baerbock vor, in ihrem aktuellen Buch abgeschrieben zu haben.

Plagiatsjäger werfen Annalena Baerbock vor, in ihrem aktuellen Buch abgeschrieben zu haben.

(Foto: dpa)

Nach mehreren Fehltritten steht die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock unter Beschuss. Nun werden Forderungen nach ihrem Rückzug laut. Was Wahlkampf-Strategen davon halten, doch noch auf Robert Habeck zu setzen.

Ausgerechnet. Sogar die linke "taz" veröffentlichte am Wochenende einen Kommentar, der Annalena Baerbock zum Rückzug von ihrer Kanzlerkandidatur drängt - sie solle den Posten stattdessen an ihren Co-Vorsitzenden Robert Habeck abgeben. Auch die Mehrheit der Wahlberechtigten hält es laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für einen Fehler, dass die Grünen Baerbock und nicht Habeck ins Rennen geschickt haben. Nur 24 Prozent der Befragten sehen in Baerbock die richtige Kandidatin. Sollte die 40-Jährige also hinschmeißen und Habeck den Vortritt lassen? Bloß nicht, sagen Wahlkampf-Strategen.

Baerbock kommt seit Wochen nicht aus den Negativschlagzeilen, in den Umfragen sind die Grünen deutlich zurückgefallen. Zuerst die zu spät gemeldeten Nebeneinkünfte, dann die Korrekturen ihres Lebenslaufs, jetzt auch noch die Plagiatsvorwürfe. Nach dem Plagiatsjäger Stefan Weber erhebt aktuell auch dessen Kollege Martin Heidingsfelder schwere Vorwürfe. In ihrem neuen Buch habe sich Baerbock "bei einer Studie von zahlreichen Wissenschaftlern bedient, und das geht einfach nicht", sagte er t-online. "Sie sollte in Sack und Asche gehen." Baerbock habe "ganz klar abgekupfert".

Die Grünen stellten sich am Montagnachmittag demonstrativ hinter Baerbock. "Wir gehen als Team, als grünes Team, gemeinsam in diesen Wahlkampf mit Annalena Baerbock an der Spitze", sagte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. "Daran ändert sich nichts." Auch die von Heidingsfelder genannten Wissenschaftler sehen kein Problem. "Es ist die Aufgabe eines Thinktanks wie Agora Energiewende, Ideen aus der Wissenschaft so aufzubereiten und weiterzuentwickeln, dass sie in der Politik diffundieren können", teilte die Denkfabrik mit, deren Ideen Baerbock übernommen hatte. Es sei daher keinesfalls ein Plagiat, sondern vielmehr gerade in ihrem Interesse, dass Politiker ihre Arbeit aufgreifen.

"Gelassenheit wäre besser gewesen"

Aus strategischer Sicht wäre ein Rückzug von Baerbock wohl kaum die Rettung, sondern würde womöglich alles nur noch schlimmer machen. "Ich glaube, das wäre nicht zielführend", sagt Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje. "Dann würde der nächste Vorwurf von einer mangelnden Widerstandsfähigkeit handeln." Außerdem könne der Beschluss des Bundesparteitags der Grünen für das Spitzenduo und Baerbocks Kanzlerkandidatur nicht einfach torpediert werden. In Hilljes Augen handelt es sich deshalb um eine "Scheindebatte, die von außen und ohne strategischen Sachverstand geführt wird". Wer einen Rückzug fordere, verstehe weder etwas von Wahlkampf-Strategie noch von innerparteilicher Demokratie.

Auch nach Meinung von Kajo Wasserhövel, einst SPD-Stratege und heute Chef einer Agentur für Strategieberatung, wäre es "Unsinn", wenn Baerbock zurückziehen würde. Denn der "heftige Gegenwind" gegen die Grünen wäre dadurch nicht beendet, schreibt Wasserhövel bei Twitter. "Es wäre das Eingeständnis eines Scheiterns… Ein Teil der Partei, der auf sie gesetzt hat und setzt, wäre demoralisiert." In Habeck sieht der Berater nicht die Lösung: "Warum sollte es nach ihrem Rückzug besser gelingen, die Union in eine inhaltliche Debatte zu ziehen? Für eine Zuspitzung ist Habeck nicht bekannt."

Einen strategischen Fehlgriff haben die Grünen nach Ansicht von Hillje allerdings bereits hinter sich. Auf die Plagiatsvorwürfe hätte die Partei gelassener reagieren sollen. Statt "Nachlässigkeiten" einzuräumen und so die Debatte darum schnell zu beenden, hätten sie diese durch die scharfe Reaktion mithilfe eines Star-Anwalts weiter gefüttert. "Jede Aktion löst eine Reaktion aus." Dabei müssten die Grünen eigentlich auf Sachthemen kommen - wofür das Wahlprogramm der Union genug Angriffsfläche biete. Der Berater betont, er wolle Baerbocks Fehler nicht beschönigen, doch seiner Meinung nach stellen diese ihre Kanzlerinnen-Fähigkeit nicht infrage.

"Auch Habeck wäre angegriffen worden"

Dass die Grünen mit Baerbock statt mit Habeck ins Rennen gingen, war und sei immer noch eine "völlig plausible Entscheidung", so Hillje. "Beide waren zum Zeitpunkt der Kandidatenkür gleich beliebt in der Öffentlichkeit." Auch Habeck wäre als Kanzlerkandidat angegriffen worden. Das sagt auch Wasserhövel für den Fall eines Wechsels voraus: "Nach ein paar Tagen Anstandsruhe ginge es auf Habeck - und Baerbock wäre weiter Ziel von Attacken." Die Grünen seien mit ihren starken Umfragewerten und der Nominierung eben in eine andere Liga gestiegen.

Dass manche Medien seit Tagen "fast nur über Baerbocks Buch" berichten, hält Hillje für unverhältnismäßig. Er fordert eine Debatte um Sachthemen. "Die Herausforderungen sind zu groß, um den Streit über Lösungskonzepte auszublenden." Die Diskussion um einen Rückzug Baerbocks sei charakteristisch für den "Erregungsdiskurs", den Politik und Medien führten. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte am Sonntag gemahnt: "Ich habe Sorge, dass es eine Schlammschlacht werden könnte." Grünen-Geschäftsführer Kellner sagte, junge Frauen seien Attacken in einem stärkeren Maß ausgesetzt als Männer. Klar sei aber auch, dass jeder Kanzlerkandidat hart angegriffen werden würde.

"Amerikanisierung" des Wahlkampfs

Hillje beobachtet eine zunehmende "Amerikanisierung" des Wahlkampfs hierzulande: Personen, Umfragen und Nebenschauplätze würden "überbelichtet" - zulasten der Inhalte. Ex-Familienministerin Franziska Giffey hält Anfeindungen gegen Politiker gar für eine Gefahr für die Demokratie. "Wir müssen uns in Deutschland mal fragen, wie wir mit denen umgehen, die sich bereit erklären, ihr Leben, ihre Kraft, ihre Nerven, ihre ganze Arbeit für ein politisches Amt zur Verfügung zu stellen", sagte die Berliner SPD-Bürgermeisterkandidatin, die vor kurzem ihren Doktortitel verloren hat, der "Bild am Sonntag".

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In einer Umfrage des Insa-Instituts verlor Baerbock in der K-Frage im Vergleich zur Vorwoche vier Prozentpunkte und steht nun bei nur noch 14 Prozent. SPD-Kandidat Olaf Scholz und Unionskandidat Armin Laschet schaffen jeweils 18 Prozent. Stratege Hillje hält es trotz der aktuellen Aufregung um Baerbock weiterhin für möglich, dass diese Kanzlerin wird. Den Grünen könnten zum Beispiel ein Hitzesommer, ein Fehler von Laschet oder weiteres Corona-Missmanagement der Bundesregierung in die Karten spielen. "Es gibt viel Potenzial für weitere Wendungen in diesem Wahlkampf."

Genauso groß seien allerdings die Schwankungen in der Wählergunst infolge der heutigen Schnelllebigkeit der medialen und politischen Debatten. "Das war sicher nicht die letzte Episode."

Quelle: ntv.de, mit dpa

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