Politik

"Sehr dramatische Lage" Städte fordern mehr Steuereinnahmen und weniger Aufgaben

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Die neue Bundesregierung werde "große Räder" drehen müssen, sagt Lewe (r.).

Die neue Bundesregierung werde "große Räder" drehen müssen, sagt Lewe (r.).

(Foto: IMAGO / Metodi Popow)

Viele Kommunen beklagen eine knappe Stadtkasse: Nur zwei Prozent bewerten ihre finanzielle Lage als gut oder sehr gut. Doch die Ursache für die Geldprobleme liegt laut Städtetag nicht bei ihnen selbst. Vom Staat bekommen die Gemeinden demnach immer mehr aufgebürdet.

Der Deutsche Städtetag schlägt wegen der Finanznot vieler Kommunen Alarm und fordert nach der Bundestagswahl eine Trendwende bei den Kommunalfinanzen. Bund und Länder müssten die Kommunen finanziell stärken. Laut einer Umfrage des Städtetags gibt es kaum noch Städte mit ausgeglichenen Haushalten. Angesichts der angespannten Lage drohten Einschnitte im kommunalen Sport- und Kulturangebot oder etwa auch beim Bau von Schulen oder beim Angebot von Bussen und Bahnen.

Der Präsident des Deutschen Städtetags, Oberbürgermeister Markus Lewe aus Münster, sprach von einer "sehr dramatischen Lage". Man erlebe "eine komplette Kehrtwende hin zum Schlechteren". Ähnlich hatte sich zuvor auch der Deutsche Landkreistag geäußert.

Der Städtetag forderte, dass die Städte einen höheren Anteil an den Gemeinschaftssteuern wie etwa der Umsatzsteuer bekommen. Außerdem dürfte es von Bund und Ländern keine zusätzlichen Aufgaben mehr für die Städte geben, die nicht ausfinanziert seien. Zudem fordern die Kommunen, dass keine steuerpolitischen Entscheidungen getroffen werden, die zu Einnahmeausfällen bei den Kommunen führen. Notwendig seien zudem häufiger feste Budgets statt komplizierter Förderprogramme und eine Reform der Schuldenbremse.

Haushaltslage dreht sich um 180 Grad

"Die Zeit ausgeglichener kommunaler Haushalte gehört erst einmal der Vergangenheit an. Das hat viele strukturelle Gründe, ist aber kein selbstverschuldetes Problem der Städte. Die Sozialausgaben, auf die wir kaum Einfluss haben, laufen uns davon", sagte Lewe. Zusammen mit der anhaltenden Wachstumsschwäche führe das zu einer völligen Überlastung der kommunalen Haushalte. Die neue Bundesregierung werde "große Räder" drehen müssen, damit die Kommunalfinanzen nicht komplett zusammenbrechen und die Städte endlich wieder vor Ort gestalten können, so der Verband.

Sollte sich aber nichts ändern, wird laut Städtetag die Finanznot der Städte weiter anwachsen. Die Einschätzung der Städte zu ihrer Haushaltslage hat sich in wenigen Jahren vielerorts um 180 Grad gedreht. Lewe sagte, eine neue Blitzumfrage in den deutschen Städten hat "erschreckende Ergebnisse" geliefert: Nur noch 2 Prozent der Städte bewerten ihre finanzielle Lage in der Gegenwart und den kommenden 5 Jahren gut oder sehr gut, 95 Prozent dagegen schlecht oder sehr schlecht. 37 Prozent der Städte können keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen, weitere 47 Prozent schafften einen ausgeglichenen Haushalt nur, indem sie auf finanzielle Rücklagen zurückgreifen. 100 Großstädte nahmen an der Umfrage teil.

Besonders der deutliche Anstieg der kommunalen Sozialausgaben sorgt für die prekäre Finanzsituation der Städte. Denn die Sozialausgaben der Städte legten viel stärker zu als die Einnahmen. So seien die kommunalen Sozialausgaben in den vergangenen zehn Jahren in fast allen Bereichen um mindestens ein Drittel, teilweise um mehr als 100 Prozent gestiegen. Beispiele sind demnach die ganztägige Kinderbetreuung, die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen oder die Hilfe zur Pflege im Alter.

"Es ist wirklich sehr, sehr ernst"

"Jahr für Jahr bringen die deutlich ansteigenden Ausgaben für soziale Leistungen viele städtische Haushalte an die Grenze", sagte Städtetagsvizepräsidentin Katja Dörner, Oberbürgermeisterin von Bonn. Deshalb hält der Städtetag eine Reform der Schuldenbremse für erforderlich, um mehr in den Erhalt von Infrastruktur und in Zukunftsaufgaben wie Energie- und Verkehrswende zu investieren. Dies sei gemeinsame, parteiübergreifende Position der Spitzenorganisation, sagte die Grünen-Politikerin.

Lewe verwies auf die Bedeutung kommunaler Leistungen für das Verhältnis zum Staat. Für die Menschen werde vor allem in den Kommunen sichtbar, dass und wie der Staat funktioniere. "Und wenn Menschen das Gefühl haben, dass Leistungen nicht mehr oder nur noch teilweise erbracht werden können, im ÖPNV oder in der Kultur oder im Sport, dann ist das eine Begegnung mit dem Staat, die durchaus problematisch ist für den einen oder anderen." Die Bürger spüren die schlechte Finanzlage: Einsparungen bei Schwimmbädern, Sportvereinen, Bibliotheken oder Museen und bei der Ausstattung von Schulen machen dies schon jetzt deutlich.

Der Städtetagsvizepräsident Burkhard Jung, Leipzigs Oberbürgermeister, verwies darauf, dass selbst viele Städte, die immer einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen konnten, jetzt ins Schlingern kämen. "Es ist wirklich sehr, sehr ernst um die finanzielle Situation der Kommunen bestellt", sagte er. Jung erwartet, dass etliche Städte sich vermutlich gezwungen sehen werden, in den kommenden Jahren Personal abzubauen, obwohl immer neue Aufgaben auf sie zukämen. "Das können auch Bund und Länder nicht wollen, sie müssen uns deutlich finanziell stärken. Zum anderen: Wir stehen mit Transformationsaufgaben wie der Verkehrswende, der Energiewende oder der Wärmewende vor Mammut-Aufgaben", sagte er.

Eine zentrale Aufgabe sei es, dass kommunale Altschulden übernommen werden, so Lewe. Das Bundesfinanzministerium hatte dazu einen Referentenentwurf für die nötige Änderung des Grundgesetzes erarbeitet. Das würde dem Bund die einmalige teilweise Schuldenübernahme ermöglichen. Der Entwurf hatte aber wegen des Scheiterns der Ampel und der bevorstehenden Bundestagswahl keine Chance mehr auf eine Umsetzung. Die neue Bundesregierung müsste sich neu mit dem Thema befassen.

Quelle: ntv.de, mpa/dpa/rts/DJ/AFP

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