Strack-Zimmermann im Interview "Wir stehen der Ukraine mit schweren Waffen zur Seite"
26.04.2022, 11:56 Uhr
Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags sowie FDP-Bundesvorstandsmitglied.
(Foto: dpa)
Eine bessere Koordination und "eine deutlich offenere Kommunikation dem Parlament, besonders aber den Menschen in Deutschland gegenüber", wäre hilfreich, mahnt die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann an. Mit Blick auf Warnungen vor einem dritten Weltkrieg sagt sie, die Situation sei ausgesprochen ernst. "Aber der russische Präsident ist ohnehin nicht berechenbar, unabhängig davon, was wir tun." Und sie erklärt, warum Bundeskanzler Olaf Scholz nicht den Ausdruck "schwere Waffen" in den Mund nimmt.
ntv.de: Die Union will in dieser Woche im Bundestag über die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine abstimmen lassen. Wie werden Sie sich verhalten?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Wir haben den Antrag der Union mit Interesse zur Kenntnis genommen und werden als Ampelkoalition auch einen Antrag einbringen. Dann haben die Mitglieder des Bundestages die Möglichkeit, sich zwischen einem der beiden Anträge zu entscheiden. Der Antrag der Union wird keine Mehrheit im Plenum finden, weil die Union in der Opposition keine Mehrheit hat. Die Debatte wird mit Sicherheit eine muntere werden.
Nachdem die SPD direkte Lieferungen von Panzern an die Ukraine gestern erneut ausgeschlossen hat, dürfte die Stoßrichtung des Antrags der Union Ihnen doch eher gefallen.
Wir als Ampel werden unseren Antrag einbringen. Ihnen wird der qualitative Unterschied im Vergleich zu dem der CDU ins Auge springen.
Welche Waffen kann die Bundeswehr überhaupt noch liefern, ohne noch blanker dazustehen als ohnehin?
Der Antrag stellt erst einmal klar, dass wir die Ukraine in Verteidigung ihres Landes grundsätzlich auch mit schweren Waffen zur Seite stehen. Die Bundeswehr hat bisher schon einiges geliefert, aber der Wahrheit geschuldet ist, dass die Bundeswehr nach 16 Jahren CDU-Verteidigungsministern und - ministerinnen nicht viel abgeben kann, ohne ihre eigene Wehrfähigkeit zu schwächen. Wenn die Lager der Bundeswehr bis unter die Decke mit Waffen vollgepackt wären, bräuchten wir das 100-Milliarden-Sondervermögen nicht. Deswegen macht es großen Sinn, den sogenannten Ringtausch in die Wege zu leiten: Die osteuropäischen NATO-Partner schicken unter anderem Panzer sowjetischer Bauart an die Ukraine, die sofort einsatzfähig sind, und sie bekommen dafür von uns über die Industrie in absehbarer Zeit modernes Material, etwa den Schützenpanzer Marder. Es ist gut, dass es endlich dazu kommt. Wir haben als FDP das bereits vor drei Wochen vorgeschlagen.
Am Wochenende hat ein Satz von Ihnen für Aufregung gesorgt; Sie haben dem ZDF gesagt: "Wir haben zu führen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch. Und für die, die diese Rolle nicht annehmen wollen, sage ich, dann sitzen sie möglicherweise im falschen Moment am falschen Platz." An wen haben Sie bei diesem Satz gedacht?
Jeder, der ein Mandat besitzt, kann plötzlich vor ungeahnt großen Herausforderungen stehen. Das gilt grundsätzlich für jeden im Kabinett und in den Fachschüssen, ganz besonders auch für mich als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Den Krieg haben wir in seiner Dramatik und Folgenschwere so nicht kommen sehen. Vor einem Jahr waren wir in der Opposition. Jetzt sind wir Partner in der Regierung. Der Verteidigungsausschuss hat mich zur Vorsitzenden gewählt und kurz danach bricht in Europa ein Krieg aus. Durch diese brutale russische Invasion in der Ukraine haben wir eine völlig andere Situation als noch vor wenigen Monaten. Wir haben zusammen in der Ampel einen Koalitionsvertrag geschmiedet, in dem wir uns alle wiederfinden. Darin kommt aber kein Kapitel "Krieg in Europa" vor. Wir alle müssen Konsequenzen daraus ableiten und entsprechend auch unangenehme Dinge entscheiden, die ich selbst noch vor wenigen Monaten für unmöglich gehalten hätte. In bestimmten Augenblicken sollte jeder an seinem Platz seiner Rolle gerecht werden.
Aber Sie gestalten Ihre Rolle offensichtlich freier als andere.
Jede und jeder Abgeordnete im Deutschen Bundestag sollte diese innere Freiheit grundsätzlich haben. Ich räume aber ein, dass die Exekutive - also Mitglieder des Bundeskabinetts - unter Umständen weniger Beinfreiheit haben. Aber jede und jeder Abgeordnete sollte aus seinem Herzen keine Mördergrube machen und seine Meinung in die Diskussion einbringen. Nicht jede Aussage sollte man überinterpretieren und daraus einen Spin konstruieren.
Dennoch gibt es innerhalb der Ampel sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, was Deutschland tun kann und sollte. Hat Anton Hofreiter recht, wenn er sagt, "das Problem ist im Kanzleramt"?
Das Kanzleramt hat natürlich eine tragende Rolle. Bei den Waffenexporten haben wir es mit vielen Ministerien zu tun: dem Auswärtigen Amt, dem Verteidigungsministerium, wenn es um die Ausrüstung und mögliche Lieferungen aus den Beständen der Bundeswehr geht, dem Wirtschaftsministerium, welches ausdrücklich grünes Licht geben muss, wenn Waffen exportiert werden beziehungsweise die Ukraine mit unserem Geld bei der Industrie Waffen kauft. Dem Kanzleramt obliegt es, diese Fäden zusammenzuführen.
Und wo hakt es?
Eine bessere Koordination zwischen den Ministerien und eine deutlich offenere Kommunikation dem Parlament, besonders aber den Menschen in Deutschland gegenüber, wäre angesichts des Dramas, welches sich in der Ukraine abspielt, schon hilfreich.
Was halten Sie von dem Argument, Deutschland und die NATO dürften nicht "Kriegsparteien in der Ukraine werden"?
Völkerrechtlich sind wir keine Kriegspartei und werden das auch nicht. Es wird nicht ein deutscher Soldat einen Fuß auf den Boden der Ukraine setzen oder gar gegen die russische Luftwaffe eine Flugverbotszone durchsetzen. Aber wir sind natürlich parteiisch. Die Ukraine wurde von Russland überfallen und darf sich zur Wehr setzen. Das Völkerrecht erlaubt zudem, dass andere Länder durch Lieferung entsprechender Ausstattung sie darin unterstützen dürfen.
Riskiert Deutschland mit der Lieferung schwerer Waffen einen dritten Weltkrieg?
Sie wollen sagen, dass Putin möglicherweise sich provoziert fühlt und Atomwaffen einsetzt, wenn zum Beispiel deutsche Panzer über die Grenze in die Ukraine transportiert werden?
Scholz hat das in seinem "Spiegel"-Interview als Möglichkeit angedeutet.
Wir sollten uns durch solche Szenarien nicht unter Druck setzen lassen und wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen, aus Angst, Putin könne Atomwaffen einsetzen. Die Situation ist ausgesprochen ernst. Aber der russische Präsident ist ohnehin nicht berechenbar, unabhängig davon, was wir tun. Wir sitzen nicht am Schachbrett und überlegen, welchen Zug der gegnerische Spieler wohl machen könnte. Putin hat das Schachspiel schon längst vom Tisch gefegt.
Es gibt den Verdacht, dass die SPD auch deshalb so zurückhaltend agiert, weil sie auf eine Rückkehr in die Zeit billiger Gaslieferungen hofft. Halten Sie das für möglich?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Ohne Zweifel sind viele Kolleginnen und Kollegen erschüttert, Putin als Kriegsverbrecher zu erleben. Aber keiner wird sich mit ihm noch mal an den Tisch setzen. Vertreter der Ukraine oder der Vereinten Nationen möglicherweise. Meiner Meinung nach definitiv keiner aus dem Westen. Es wird zu keiner "Normalisierung" mit einem Kriegsverbrecher kommen. Wir werden schnellstmöglich Alternativen zu den Öl-, Kohle- und Gas-Lieferungen aus Russland finden müssen. Das ist Konsens in der Ampel.
Sollte der Bundestag die deutsche Russlandpolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte aufarbeiten?
Ich bin sicher, dass eine solche Diskussion in Zukunft geführt werden wird. Aber im Moment finde ich die Diskussion, ob und in welchem Format das geschehen könnte, völlig deplatziert. Es tobt ein Krieg in der Ukraine. Den Menschen dort gehört heute und jetzt geholfen. Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit politischen Entscheidungen vergangener Regierungen sollte momentan wahrlich nicht im Vordergrund stehen. Später allerdings müssen wir uns die Frage stellen lassen, wie wir eigentlich mit der Annexion der Krim umgegangen sind. Das war ja das blutige Vorspiel für das, was jetzt passiert. 14.000 Menschen sind seit 2014 durch die Annexion der Krim und dem Angriff auf die Ostukraine ums Leben gekommen.
Können Sie erklären, warum Olaf Scholz der Begriff "schwere Waffen" nicht über die Lippen kommt?
Er hat in der Pressekonferenz in der vergangenen Woche von "Waffen mit erheblicher Auswirkung" gesprochen. Das ist vermutlich die hanseatische Form von "schweren Waffen". Allerdings hat jede Waffe eine "schwere" Wirkung. Wenn Sie jemand eine Pistole auf die Stirn setzen und abdrücken, hat das eine ausgesprochen schwere Wirkung. Ich glaube, dass sich einige schwertun mit manch militärischer Ausdrucksweise. Es ist Krieg, und wir sprechen über Dinge, die wir alle vor Monaten - mit Ausnahme unseres Ausschusses - nicht in den Mund genommen hätten. Als meine beiden Kollegen Michael Roth und Anton Hofreiter und ich in der Ukraine waren, haben wir mit Kolleginnen aus dem ukrainischen Parlament gesprochen. Eine davon ist 33 Jahre jung, sie hat zwei kleine Kinder. Sie sagte uns: "Ich rede von morgens bis abends nur noch über Waffen. Wir leben hier in einem Albtraum." Dass so etwas passiert, hätte sie nie für möglich gehalten. Und auch wir in Deutschland lernen gerade, konfrontiert mit der brutalen Wirklichkeit, uns damit zu beschäftigen. Das ist nicht schön. Aber im Moment notwendig.
Mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de