
Viele SPD-Politiker haben bereits Fehler in ihrer Russlandpolitik eingeräumt.
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Die Kritik an ukrainischen Politikern aus der SPD wird immer heftiger. Die Angriffe auf Melnyk und Selenskyj sind nicht nur ein reines Ablenkungsmanöver - sondern auch ein schlechtes.
Die SPD sieht sich seit Wochen wegen ihrer Russlandpolitik in der Defensive. Noch könnte man der Partei verzeihen, dass ihre "Wandel durch Handel"-Strategie nicht aufgegangen ist - auch wenn insbesondere die osteuropäischen Länder, die baltischen Staaten und die ehemaligen Sowjetrepubliken spätestens seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim Deutschland lautstark vor einer weiteren Annäherung an Putin warnen. Dass nun aber hochrangige SPD-Politiker die ukrainische Führung angreifen, statt sich mit der eigenen verfehlten Russlandpolitik auseinanderzusetzen, ist kontraproduktiv und ein reines Ablenkungsmanöver.
Vergangene Woche veröffentlichte der ehemalige Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel einen inzwischen gelöschten Blogbeitrag mit dem Titel "Es reicht, Herr Melnyk". Darin stellt der SPD-Politiker infrage, ob die Gräueltaten von Butscha wirklich als Genozid bezeichnet werden können. Er spricht von ukrainischer "Genozid-Rhetorik" und bezeichnet Kiews Botschafter Andrij Melnyk und Präsident Wolodymyr Selenskyj als "Social-Media-Alleskönner". Niemand würde mehr über Demokratiedefizite und Diskriminierung in der Ukraine sprechen, führt Geisel weiter aus.
Nach einer Aufforderung durch den nordrhein-westfälischen SPD-Chef Thomas Kutschaty wurde der Beitrag gelöscht. An seine Stelle tritt nun ein Beitrag mit dem Titel "Es reicht - auch mit den Shitstorms!", in dem Geisel feststellen will, "dass eine sachliche Diskussion zum Ukraine-Krieg offenbar kaum mehr möglich ist".
Genozid oder nicht, es ist kontraproduktiv
Eine sachliche Diskussion findet nach wie vor auf vielen Ebenen statt: Ob ein Gasembargo sinnvoll und machbar ist, wird seit Wochen unter vielen Ökonomen und Politikern intensiv debattiert. Ob schwere Waffen geliefert werden können, ist ebenfalls ein strittiges Thema nicht nur unter den Ampelpolitikern, sondern auch an vielen Frühstückstischen in der Bundesrepublik. Ob Gas aus anderen autoritären Regimen bezogen werden soll, wurde nicht nur von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in einem Youtube-Video ausführlich erläutert; auch hier darf es noch viele unterschiedliche Meinungen geben, ohne dass es zum sogenannten "Shitstorm" kommt.
Aber manche Themen haben ihren Platz und ihre Zeit. Und die SPD-Führung hat offenbar nicht das richtige Fingerspitzengefühl, um zu wissen, wann eine Diskussion über Korruption in der Ukraine angebracht ist. Dem russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny wurde auch nicht seine ausländerfeindliche politische Haltung vorgehalten, während er in der Charité um sein Leben kämpfte. Die Tatsache, dass Nawalny in der Vergangenheit häufig mit nationalistischen und rassistischen Parolen aufgefallen ist, darf angesprochen werden. Das hätte aber als es darum ging, nach einer Vergiftung sein Leben zu retten, überhaupt nicht weitergeholfen.
Genauso kontraproduktiv ist es, jetzt über die Bezeichnung der Gräueltaten in Butscha zu diskutieren, während das Land ums Überleben kämpft. Natürlich sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen - ein endgültiges Urteil steht noch aus. Aber das Massaker in Butscha ist grausam genug, dass zukünftige außenpolitische Entscheidungen der Bundesregierung nicht davon beeinflusst werden sollten, ob es nun als Genozid eingestuft wird oder nicht.
Ein reines Ablenkungsmanöver - und ein schlechtes noch dazu
Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet die SPD die ukrainische Führung seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar wiederholt kritisiert hat. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich äußert sich in herablassenden Tönen über die Entscheidung der ukrainischen Führung, einen Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Kiew zu blockieren. Auch der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel scheint seine eigenen Fehler nicht einsehen zu können, ohne im gleichen Atemzug Melnyk scharf zu kritisieren.
"Es war ein Fehler, bei den Einwänden gegenüber Nord Stream 2 nicht auf die Osteuropäer zu hören. Das war auch mein Fehler", sagt Gabriel der "Welt". Die Vorwürfe Melnyks, Steinmeier habe "seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft", seien jedoch "wirklich 'ne Unverschämtheit" - im Gastbeitrag für den "Spiegel" bezeichnet er den Vorwurf sogar als Verschwörungstheorie. Es sei "doch hanebüchen", dass jeder, der sich einmal um gute Kontakte auch nach Russland bemüht habe, jetzt als Kriegstreiber hingestellt werde, sagte er bei "Maybrit Illner".
Aber die SPD hat nicht nur mit Putin gesprochen. Bei den "guten Kontakten zu Russland" ging es nicht um Kaffeekränzchen im Kreml. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig ließ eine mit Gazprom-Geldern finanzierte Klimastiftung als Schatten-Auftraggeber für die Pipeline agieren. Schröder erhält immer noch eine Million Euro pro Jahr von russisch kontrollierten Energieunternehmen - und hat nicht vor, diese Posten aufzugeben. Selbst Gabriel traf sich zwischen 2015 und 2017 16 Mal mit Vertretern von Nord Stream 2 - wohlgemerkt, nachdem mit der Annexion der Krim ein krachender Warnschuss gefallen war.
Die SPD ist maßgeblich dafür mitverantwortlich, dass Deutschland derzeit in der schwierigen Position ist, Putins Kriegskassen weiter füllen zu müssen, weil die Abkehr vom russischen Gas nicht so schnell geht. Die SPD-Kollegen kommen offenbar nicht damit klar, dass ihnen die Russlandpolitik ihrer Partei jetzt zum Verhängnis wird. Und dass die ukrainische Führung sie nun dafür verantwortlich macht.
Statt sich mit der gescheiterten Russlandpolitik auseinanderzusetzen, schlagen hochrangige SPD-Politiker zurück und hoffen, dass der Fokus auf die Missstände in der ukrainischen Führung und nicht auf ihre eigenen Fehler fällt. Das ist nicht nur ein reines Ablenkungsmanöver - es ist auch ein schlechtes. Denn damit erreichen sie nichts anderes, als die Reputation der Partei und Deutschlands noch mehr zu beschädigen.
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 26. April 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de