Mindestlohn-Kompromiss Streit geht weiter
16.07.2008, 08:39 UhrNach monatelangem Ringen hat die Bundesregierung die von der Wirtschaft heftig bekämpften Gesetzentwürfe zur Ausweitung von Mindestlöhnen beschlossen. Trotzdem bleibt völlig offen, in welchen weiteren Branchen Mindestlöhne gelten sollen. Selbst bei einer Einigung träten diese frühestens 2009 in Kraft.
Das Kabinett billigte die Vorlagen von Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD). Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) hatte seien Widerstand erst in letzter Minute auf Drängen von Kanzlerin Angela Merkel aufgegeben. Die SPD sieht den Kompromiss als Etappensieg. Glos betonte allerdings, er habe "eine möglichst wirtschaftsfreundliche Lösung durchgesetzt". Weite Teile der Union lehnen jegliche Gesetzgebung zu Mindestlöhnen rundweg ab.
Scholz sagte, die Zahl der durch Mindestlöhne nach dem Entsendegesetz geschützten Arbeitnehmer könnte sich im kommenden Jahr etwa verdoppeln. Derzeit sind 1,8 Millionen Arbeitnehmer betroffen. "Die neuen Gesetze sind besser als die heutigen in der Lage, Mindestlöhne einzuführen."
Der Parlamentskreis Mittelstand der Unionsfraktion forderte weitere Korrekturen. Die Arbeitgeber sprachen von einer Beschädigung der Tarifautonomie und kritisierten Merkel. Die Entwürfe erfüllten nicht ihre Zusage, dass die Tarifautonomie Vorrang haben müsse vor staatlicher Lohnfestsetzung, monierte Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt.
"Großes Getöse, geringer Ertrag"
Die Grünen kritisierten die Beschlüsse als unzureichend. "Für diese Flickschusterei hat die Bundesregierung nicht mal einen Mindestlohn verdient", sagte der Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn. Grünen-Chef Reinhard Bütikofer zog das Fazit: "Großes Getöse, geringer Ertrag."
"Besonders kritikwürdig ist, dass bei der Tarifkonkurrenz keine tragfähige Lösung gefunden wurde", so Bütikofer. Die anvisierte zeitliche Befristung von Mindestlöhnen schaffe für Arbeitnehmer keine Sicherheit.
Auch der DGB sprach von einem "nicht ausreichenden Kompromiss mit großen Pferdefüßen". "Tarifierte Dumpinglöhne sogenannter christlicher und anderer Mini- oder Pseudogewerkschaften" bekämen praktisch Bestandsschutz."
Streit geht weiter
Scholz äußerte die Erwartung, dass die Gesetzentwürfe bis Jahresende Bundestag und Bundesrat passiert haben. Weiterer Streit ist angesichts der Vorbehalte in der Union aber programmiert. Zudem muss eine Arbeitsgruppe unter Scholz noch festlegen, welche Branchen in das Entsendegesetz aufgenommen werden. Acht Branchen mit etwa 1,6 Millionen Beschäftigten haben Interesse daran bekundet, darunter auch die Zeitarbeit. Dies lehnt die Union ab. Scholz sagte aber, er gehe "ziemlich sicher davon aus, dass die Zeitarbeitsbranche dazugehört".
Seit Januar war in der Regierung über die Details bei der Ausweitung des Entsendegesetzes und die Neufassung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes von 1952 gestritten worden. Beim Entsendegesetz kann der Arbeitsminister auf Antrag der Tarifparteien einen Mindestlohntarifvertrag für die ganze Branche vorschreiben. Dies gilt bislang nur am Bau, für Gebäudereiniger und seit Jahresanfang auch für Briefträger.
"Schonender Ausgleich"
Beim Entsendegesetz ging es vor allem um die Frage, welcher Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden kann, wenn mehrere Verträge mit unterschiedlicher Lohnhöhe gelten. Bei konkurrierenden Tarifverträgen kann nun einer der beiden - und zwar der mit der geringeren Tragweite - verdrängt werden. Damit soll verhindert werden, dass eine Minderheit die Mehrheit dominiert. "Widerstreitende Grundrechtsinteressen" müssen dabei allerdings zu einem "schonenden Ausgleich" gebracht werden.
Konkurrierende Tarifverträge gibt es in vielen Branchen. Dabei sind erfahrungsgemäß die von Nicht-DGB-Gewerkschaften geschlossenen Verträge für Unternehmen günstiger. Hätte es der Arbeitsminister künftig in der Hand gehabt, allein die höheren Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, hätte dies aus Sicht der Union das Aus für die kleineren Gewerkschaften bedeutet.
Mindestlohn-Verordnung nur befristet
Das Mindestarbeitsbedingungengesetz soll Mindestlöhne in Branchen mit geringer Tarifbindung ermöglichen. Ein Expertenausschuss kann einen Mindestlohn vorschlagen, der von der Regierung per Verordnung festgesetzt werden kann. Glos erreichte vor allem hier Zugeständnisse. Er setzte durch, dass die Verordnung zeitlich befristet werden kann. Damit könnte eine neue Regierung den Mindestlohn wieder aufheben.
Erfolg für alle
Union und SPD beanspruchten jeweils für sich, Kernpunkte durchgesetzt zu haben. SPD-Chef Kurt Beck sprach von einem "wichtigen Schritt für faire Löhne". Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier, der als möglicher SPD-Kanzlerkandidat gilt, sagte, Scholz habe den Kompromiss "in schwierigen Verhandlungen durchgefochten". CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla zeigte sich zufrieden: "Der einheitliche gesetzliche Mindestlohn, den die SPD seit über einem Jahr gefordert hatte, ist vom Tisch."
Quelle: ntv.de