Politik

Eskalation in Hamburg Suche nach den Ursachen

Die seit Jahren brutalsten Krawalle im Umfeld einer Neonazi-Demonstration hätten nach Einschätzung der Polizei in Hamburg am 1. Mai zu Todesfällen führen können. "Wenn sich die Polizei nicht dazwischen geworfen hätte, dann hätte es Tote gegeben", sagte Einsatzleiter Peter Born bei seiner Bilanz in der Hansestadt.

"Die Aggression und nackte Gewalt ging von den Rechten aus", sagte Born. Es hätten sich unter den rechten Demonstranten so genannte Autonome Nationalisten befunden: "Diese sind offenkundig auf Stichwort auf die Linken eingestürmt. Es kam zu wüsten Schlägereien." Polizeigewerkschafter gaben eine Mitschuld dem Hamburger Oberverwaltungsgericht (OVG), das Auflagen aufgehoben hatte.

Friedliche Demo in Nürnberg

In Nürnberg verlief eine Demonstration von knapp 10.000 Menschen gegen einen NPD-Aufmarsch weitgehend friedlich. In Berlin zogen Polizeipräsident Dieter Glietsch und Innensenator Ehrhart Körting (SPD) trotz einzelner Gewaltausbrüche und Krawalle von Linksautonomen eine vergleichsweise positive Bilanz.

In der Walpurgisnacht und am 1. Mai wurden in der Hauptstadt insgesamt 162 Menschen festgenommen, 92 sollten einem Haftrichter vorgeführt werden. 103 Polizisten wurden durch Stein- oder Flaschenwürfe verletzt - im vergangenen Jahr waren es 130 gewesen.

Vorwürfe gegen Polizeipräsidenten

Glietsch, der am Abend des 1. Mai im Stadtteil Kreuzberg von Randalierern angegriffen und von Leibwächtern in Sicherheit gebracht worden war, wies Vorwürfe zurück, er habe durch seine Anwesenheit selbst Gewalt provoziert. Körting betonte, der Trend der vergangenen Jahre - weg von Straßenschlachten hin zu einem friedlichen 1. Mai - habe sich fortgesetzt. Er betonte aber: "Der Spuk ist noch nicht vorbei."

Seit 1987 hat es am 1. Mai in Berlin immer wieder Ausschreitungen gegeben. Seit drei Jahren wurde die Gewalt aber deutlich eingedämmt.

Erhebliche Schäden

In Hamburg richteten die Randalierer erhebliche Schäden an, deren Höhe zunächst nicht feststand. So gingen mehrere Autos und ein Reifenlager in Flammen auf, Geschäfte und Cafes wurden beschädigt. Nach den Ausschreitungen im Stadtteil Barmbek gab es auch in der Nacht zum Freitag im Schanzenviertel Zusammenstöße zwischen Polizei und Autonomen. Rund 2500 Beamte waren im Einsatz. 30 Polizisten wurden den Angaben zufolge verletzt. Es gab 59 Festnahmen.

Hamburg Polizeipräsident Werner Jantosch unterstrich die hohe Gewaltbereitschaft sowohl auf linker als auch auf rechter Seite. "Die Aggression war so hoch, dass es auch Schwerstverletzte oder Tote hätte geben können." Das Auftreten eines sogenannten autonomen nationalistischen Blocks kenne er bislang nur aus den neuen Bundesländern, sagte Jantosch. Von den rund 1500 versammelten Rechtsextremisten rechnete er rund 200 diesem Block zu.

Viele auswärtige Demonstranten

Rund 6600 Menschen hatten gegen den Aufzug der Neonazis in dem traditionellen Hamburger Arbeiterviertel demonstriert. Jantosch sagte, viele der Gewalttäter seien aus anderen Bundesländern und Staaten angereist. Von 59 Festgenommenen stammten lediglich 15 aus Hamburg. Die meisten seien auch sehr jung gewesen.

Der Hamburger Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Joachim Lenders, sagte: "Die Gewalteskalation ist mitverschuldet durch die OVG-Entscheidung, die die Polizeiauflagen aufgehoben hat und für beide Gruppen die gleiche Marschroute zuließ."

Mitschuld des Gerichts

Zuvor hatte schon Hamburgs Innensenator Udo Nagel (parteilos) den Richtern eine Mitschuld an der Eskalation der Gewalt gegeben. "Wir wussten, dass mit Gewalt zu rechnen war. Die Polizei hatte dagegen eine Taktik entwickelt, die aber durch das Oberverwaltungsgericht unterlaufen wurde", sagte Nagel der "Bild".

Die Polizei habe Auflagen verfügt, die ein direktes Aufeinandertreffen von NPD und Gegendemonstranten verhindern sollten. Diese Auflagen seien kurz vorher vom Gericht aufgehoben worden. Danach sei es für eine neue Polizeistrategie zu spät gewesen, so Nagel.

"Richtern fehlte das nötige Fingerspitzengefühl"

Kritik äußerte auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Es ist unverantwortlich, wenn die Justiz die wohlüberlegten und aus der Erfahrung heraus gebildeten polizeilichen Maßnahmen torpediert und so die Einsatzkräfte in ein Kreuzfeuer linker und rechter Gewalt schickt", sagte GdP-Chef Konrad Freiberg. Die Ausschreitungen hätten verdeutlicht, dass den Richtern das nötige Fingerspitzengefühl gefehlt habe, um zu erkennen, welch großes Gewaltpotenzial sich durch die direkte Nähe von rechtsextremistischen Aufmärschen und linksextremen Gegendemonstrationen zusammenbrauen würde.

In Nürnberg warfen bei einer Abschlusskundgebung der NPD am Donnerstag Gegendemonstranten vereinzelt Eier, Flaschen und Milchtüten auf die rund 1500 Extremisten. Zur Auseinandersetzung zwischen Polizei und militanten NPD-Gegnern kam es, als diese versuchten, die Polizeikette zu durchbrechen. Insgesamt gab es 25 Verletzte, darunter 16 Polizisten. 48 Personen wurden vorübergehend festgenommen.

Dank an Nürnberger Bürger

Der Zentralrat der Juden hat den Nürnberger Bürgern für ihren deutlichen Protest gegen den NPD-Aufmarsch in der Stadt am 1. Mai gedankt. Die Nürnberger hätten der NPD sprichwörtlich die kalte Schulter gezeigt, sagte die Zentralratsvorsitzende Charlotte Knobloch während einer Gedenkveranstaltung für ermordete Gewerkschafter in Oranienburg bei Berlin. Die Gegenkundgebung habe gezeigt, dass Nürnberg eine weltoffene und tolerante Stadt sei, in der Gegner der Demokratie keine Chance hätten.

Knobloch betonte, der Protest gegen die NPD sei von allen demokratischen Gruppierungen - von Kirchen und Gewerkschaften bis zur bayerischen Staatsregierung - getragen worden. Noch am Mittwoch hatte Knobloch die Stadt heftig kritisiert: Der Aufmarsch sei die Folge der diffus-rechtsextremistischen Stimmung eines ganzen Milieus, das sich in Nürnberg offenbar breit gemacht habe, hatte sie erklärt. "Auch 75 Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten müssen wir schon wieder rufen: Wehret den Anfängen", hatte sie gesagt.

Auschreitungen auch in Neustadt

Auch im rheinland-pfälzischen Neustadt an der Weinstraße kam es am Donnerstag bei rechten und linken Demonstrationen zu Ausschreitungen. Gewalttätigen Autonomen, sei es nicht um Protest gegen Rechts gegangen, sondern um Krawalle, Sachbeschädigungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei, wie diese erklärte.

Insgesamt kamen rund 600 Angehörige der linken Szene nach Neustadt. Gewalttätige Kleingruppen hätten in der Innenstadt randaliert, Scheiben eingeworfen sowie Mülltonnen und Papierkörbe angezündet. Insgesamt wurden 28 Personen festgenommen. Zwölf Polizeibeamte wurden leicht verletzt.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen