Politik

Zwischen Chaos und Hoffnung Tunesien sortiert sich

Kein seltenes Bild in Tunis: Das Militär versucht, Ordnung herzustellen.

Kein seltenes Bild in Tunis: Das Militär versucht, Ordnung herzustellen.

Tunesien sucht einen Weg aus der Staatskrise. Offenbar steht der kurzzeitige Interimspräsident Ghannouchi vor der Bildung einer Übergangsregierung. Präsidentschaftswahlen sollen in sechs Monaten stattfinden. Doch noch immer hallen Schüsse durch Tunis. Ein deutsch-französischer Fotograf wurde bei Straßenschlachten getötet.

"Froh, dass wir raus sind" - viele deutsche Urlauber teilen dieses Gefühl.

"Froh, dass wir raus sind" - viele deutsche Urlauber teilen dieses Gefühl.

Nach der Ernennung des neuen Übergangspräsidenten Foued Mbazaa hoffen die Menschen in Tunesien auf eine Beruhigung der Lage. Trotz des weiter geltenden Ausnahmezustandes und einer Ausgangssperre waren in der Hauptstadt aber wieder Schüsse zu hören. Die Armee ging gegen Mitglieder der Leibgarde von Ben Ali vor. Nach unbestätigten Berichten wurde der Chef der Leibgarde festgenommen. Tausende deutsche Urlauber wurden inzwischen von den Reiseveranstaltern aus dem Krisenland ausgeflogen. Bei ihrer Heimkehr berichteten sie von Verwüstungen und Plünderungen.

Schwere Unruhen hatten die Flucht des ehemaligen tunesischen Präsidenten Zine al-Abidine Ben Ali am Freitag nach Saudi-Arabien begleitet. Verärgert über Armut, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung hatten zahlreiche Demonstranten wochenlang Ben Alis Rückzug gefordert. Der autokratische Präsident hatte das Land mehr als 23 Jahre lang beherrscht.

Seit Beginn der Proteste starben weit mehr als 130 Menschen. Ein während der gewaltsamen Proteste in Tunesien verletzter deutsch-französischer Pressefotograf ist offenbar doch noch am Leben. Sein Zustand sei "kritisch aber stabil", teilte das französische Konsulat telefonisch aus Tunis mit. Der Mitarbeiter der Fotoagentur EPA, Lucas Mebrouk Dolega, war während der Proteste am vergangenen Freitag von einer Tränengasgranate am Kopf getroffen und schwer verletzt worden.

Opposition fordert mehr Zeit

Übergangspräsident Fouad Mebazza hatte Regierungschef Ghannouchi mit der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit beauftragt. Über den Verhandlungsstand der Beratungen mit führenden Oppositionspolitikern drang wenig nach außen. Probleme könnte es geben, wenn es um Einzelheiten wie die Besetzung der Kabinettsposten geht und darum, wie viele Vertreter der alten Garde in der neuen Regierung sitzen sollen.

Ghannouchi (rechts) im Gespräch mit Ben Jaffar.

Ghannouchi (rechts) im Gespräch mit Ben Jaffar.

Die Opposition fordert vor allem Zusicherungen, dass die anstehende Präsidentenwahl frei sein wird. Außerdem verlangen die Parteien genug Zeit für ihren Wahlkampf, demokratische Reformen und weniger Macht für die herrschende RCD-Partei. Zwei Oppositionsparteien haben bereits beklagt, dass die in der Verfassung vorgesehene Zwei-Monats-Frist für die Präsidentenwahl zu kurz sei. Oppositionsführer Najib Chebbi sagte nach einem Treffen mit Ghannouchi, die Wahl könne binnen sechs oder sieben Monaten unter internationaler Beobachtung stattfinden.

Nach Einschätzung des Beiruter Analysten Rami Chouri dürfte es Zeit brauchen, bis die Opposition aus nichtreligiös orientierten Parteien, Linken und Islamisten zusammenfindet. "Das wird wahrscheinlich mindestens ein paar Wochen dauern, und dann müssen die Details der Übergangsregierung geklärt werden", sagte Chouri. "Noch kein arabisches Volk hat das bisher einfach so aus dem Nichts geschafft."

 "Arabische Führer, lernt die Lektion"

Der Sturz Ben Alis könnte auch die Opposition in anderen arabischen Staaten ermutigen. Im Gazastreifen demonstrierten Dutzende Hamas-Anhänger mit großen Porträts von Ben Ali, auf denen die Worte standen: "Arabische Führer, lernt die Lektion". In Paris und Rom feierten Exil-Tunesier den Abgang Ben Alis.

Gerüchte über Lynchjustiz

Im Zentrum von Tunis waren am Sonntagnachmittag wieder zahlreiche Schüsse zu hören. Auf der Flaniermeile Avenue Bourguiba waren bewaffnete Soldaten und Dutzende Polizisten mit Schlagstöcken zu sehen. Die Straße ist von beiden Seiten mit mehreren Panzern abgeriegelt.

Auch von möglichen ersten Lynchjustiz-Fällen wird berichtet. Hintergrund ist der gewaltsame Tod von Imed Trabelsi. Der als Symbol für Korruption und andere krumme Machenschaften geltende Geschäftsmann wurde von Unbekannten erstochen, berichtete ein tunesische Privatsender. Er war der Neffe von Ben Alis Frau Leila.

Die französische Regierung gab zu verstehen, dass sie Angehörigen Ben Alis keine Zuflucht gewähren werde. Zuvor war bekannt geworden, dass sich Familienmitglieder, darunter seine 24-jährige Tochter Nesrinen und mindestens ein Enkel, seit Donnerstag im Hotel des Vergnügungsparks Disneyland bei Paris aufhielten. Diese hätten keinen Grund zu bleiben, sagte ein Regierungssprecher.

Gaddafi ist bestürzt

Libyens Staatschef Muammar Gaddafi kritisierte die Proteste im Nachbarland. Zu den neuen Machthabern, die Ben Ali nach 23 Jahren im Amt ablösten, sagte er: "Ich kenne diese neuen Leute nicht, aber wir alle kennen Ben Ali und die Veränderungen, die in Tunesien erzielt wurden. Warum zerstört ihr dies alles?". Er sei "schmerzhaft berührt", von dem, was in Tunesien geschehe, sagt er am Samstagabend im libyschen Fernsehen weiter. "Tunesien hat sich jetzt in ein Land verwandelt, das von Banden regiert wird", kritisierte Gaddafi, der selbst seit 40 Jahren an der Macht ist.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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